Kriegsfilm | Israel/Libanon/Frankreich/Deutschland 2009 | 92 Minuten

Regie: Samuel Maoz

Am ersten Tag des Libanonkriegs 1982 rücken israelische Soldaten im Inneren eines Panzers in feindliches Gelände vor, wobei ihr Zug von der vorgegebenen Marschroute abkommt. Erzählt aus einem radikal subjektiven Blickwinkel und geprägt von den persönlichen Erfahrungen seines Regisseurs, blendet der (Anti-)Kriegsfilm politische Perspektiven angesichts der klaustrophobischen, in ihrem Blickfeld extrem eingeengten Herangehensweise weitgehend aus; seine Wirkung entfaltet er als erschütterndes, jedes Heldenpathos aushebelndes "Nacherleben" einer Kampfsituation, deren Eigendynamik alle moralischen und humanistischen Kriterien nivelliert. (Auch O.m.d.U.; diese Originalfassung ist ab 12 Jahren freigegeben.) - Ab 16 möglich.
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Filmdaten

Originaltitel
LEBANON
Produktionsland
Israel/Libanon/Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Ariel Films/Arsam Int./Paralite/Metrom Comm./Israeli Film Fund/Arte France
Regie
Samuel Maoz
Buch
Samuel Maoz
Kamera
Giora Bejach
Musik
Nicolas Becker
Schnitt
Arik Leibovitch
Darsteller
Yoav Donat (Shmulik) · Itay Tiran (Asi) · Oshri Cohen (Hertzel) · Zohar Strauss (Jamil) · Michael Moshonov (Yigal)
Länge
92 Minuten
Kinostart
14.10.2010
Fsk
ab 16; f (Originalfassung ab 12; f)
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16 möglich.
Genre
Kriegsfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Senator/Universum (16:9, 1.85:1, DD5.1 hebrä./dt.)
Verleih Blu-ray
Senator/Universum (16:9, 1.85:1, dts-HDMA hebrä./dt.)
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Diskussion
In der ersten und letzten Einstellung von Samuel Maoz’ Spielfilmdebüt ist der blaue Himmel über einem Sonnenblumenfeld zu sehen. Dazwischen liegen der erste Tag des israelischen Libanon-Feldzugs von 1982 und knapp 90 Minuten, in denen vier israelische Soldaten, die Kamera und mit ihnen das Publikum im Inneren eines Panzers gefangen sind. Zielfernrohr und Funkgerät sind die einzigen Verbindungen nach draußen, hin und wieder öffnet sich die obere Luke, und der Kommandant des Zugs lässt sich zu seinen Untergebenen herab. Bei seinem ersten Besuch blickt er prüfend in die Runde und sieht junge Rekruten, die ihrer Aufgabe vermutlich nicht gewachsen sind. Nach dem Marschbefehl setzt sich der Panzer ächzend in Bewegung, stinkende Abgase steigen in den Fahrerraum, der Lärm ist ohrenbetäubend. Während man in die fahlen Gesichter der Soldaten blickt, glaubt man zu sehen, wie ihnen der kalte Schweiß ausbricht. Die Schrecken des ersten Libanonkriegs lassen eine neue Generation israelischer Filmemacher nicht los. Nach Joseph Cedars „Beaufort“ und Ari Folmans „Waltz With Bashir“ (fd 38 978) ist „Lebanon“ der dritte international gefeierte Film zum Thema und der zweite, der von einem Kriegsveteranen stammt. Doch während Folman verstreute Erinnerungen an ein 20 Jahre zurückliegendes Trauma sammelt und sich dabei selbst über die Schulter zu schauen scheint, versucht Maoz, dem unmittelbaren Erlebnis so nah zu kommen wie möglich. Für ihn ist der Film eine Rückkehr in die dunkelste Stunde seines Lebens, die Nachstellung einer im Grunde nicht darstellbaren Realität und ein Mittel, um seiner persönlichen Geschichte etwas Allgemeingültiges zu verleihen. In diesem Sinne erscheint die 24-stündige Panzerfahrt sowohl als Exorzismus als auch als Metapher für das beschränkte Blickfeld des Kriegs. Samuel Maoz’ filmischer Stellvertreter ist Shmulik, der Schütze, der die Besatzung erst wenige Minuten vor der Abfahrt komplettiert. Bald kommt die erste Bewährungsprobe: Ein Auto nähert sich den israelischen Infanterie-Soldaten, durch sein Zielfernrohr kann Shmulik die Gesichter der Männer sehen, bringt es aber nicht über sich, den Abzug zu betätigen. Zu seinem Unglück erweisen sich die Insassen als feindliche Kämpfer: Es kommt zum Schusswechsel, bei dem auch ein israelischer Soldat verwundet wird. Über Funk hört Shmulik die verzweifelten Bemühungen der Sanitäter, doch der Verwundete ist nicht mehr zu retten. Als sich der nächste Wagen nähert, wird die Welt zum Fadenkreuz, Shmulik schießt sofort und tötet einen unschuldigen Bauern. Die Explosion schleudert den Mann aus seinem Wagen und reißt ihm beide Beine ab. Er schreit sich stumm die Seele aus dem Leib, bis ihn der Kommandant mit einem Kopfschuss von seinem Leid erlöst. Am Ende des kurzen Gefechts wird der tote Soldat in den Panzer gehievt und sitzt dem Schützen als leibhaftige Anklage im Nacken. Am nächsten Morgen dringt die Einheit in eine zerstörte Stadt ein. Der Besatzung des Panzers steht das Entsetzen ins Gesicht geschrieben, als sie Leichen und apathische Zivilisten passieren, die in den Trümmern ihrer Häuser sitzen. Auf der Höhe eines Reisebüros kommt der Zug zum Stehen. Im Fadenkreuz sind Plakate des Eiffelturms und des World Trade Centers zu sehen, dann wird plötzlich geschossen, und Shmulik „zoomt“ mit dem Visier hektisch hin und her. Wie sich später herausstellt, sind die israelischen Soldaten von der vorgeschriebenen Marschroute abgekommen und befinden sich mitten in einem von syrischen Truppen besetzten Gebiet. Ein schweres Geschoss trifft den Panzer, im Inneren dehnt sich die Zeit, aber niemand wird verletzt. Jetzt bekommt es auch der kampferprobte Kommandant allmählich mit der Angst zu tun, denn die Armee kann seinen Zug nicht evakuieren. Als sie im Schutz der Nacht endlich den Aufbruch ins Ungewisse wagen, ist die Nervosität der Panzerfahrer längst in blinde Panik umgekippt. In den Kampfpausen ähnelt „Lebanon“ einem existenzialistischen Drama über die psychologischen Auswirkungen des Kriegs. Die Männer reden sich die Köpfe heiß, um ihre Angst zu vertreiben, oder sinken mutlos in sich zusammen. Der klaustrophobische Zustand raubt dem Geschehen alles Heroische. Spätestens wenn der israelische Kommandant, am Anfang beinahe noch eine John-Wayne-Figur, seine Männer in die Irre führt, ist Konfusion das Leitmotiv des Films. Am deutlichsten wird dies beim Blick durchs Zielfernrohr, der die Welt in Gut und Böse teilt, ohne diese auch nur annähernd zu erfassen. Maoz benutzt das Visier wie eine Kamera, er schwenkt und zoomt und stilisiert die Handlung zuweilen in Stummfilm-Manier. Die Sterbenden und Verzweifelten schreien ihren Schmerz tonlos heraus – im Gefängnis seines Panzers hört der Filmemacher ihn trotzdem widerhallen.
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