Corpo Celeste

Drama | Schweiz/Italien 2011 | 90 Minuten

Regie: Alice Rohrwacher

Ein 13-jähriges, in der Schweiz aufgewachsenes Mädchen zieht mit seiner Schwester und der Mutter in deren alte Heimat nach Süditalien. In Reggio Calabria reibt es sich bald an den konservativen Glaubensvorstellungen, die das Umfeld prägen, während es auch mit den körperlichen und emotionalen Veränderungen der Pubertät zurechtkommen muss. Einfühlsam erzählt der Film von den Wirrnissen des Erwachsenwerdens und lotet überzeugend den Zwiespalt aus, in den die kleine Heldin gerät, als sie in ein ihr neues kulturelles Umfeld "verpflanzt" wird. - Sehenswert ab 12.
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Filmdaten

Originaltitel
CORPO CELESTE
Produktionsland
Schweiz/Italien
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
JBA/Amka Films/Tempesta
Regie
Alice Rohrwacher
Buch
Alice Rohrwacher
Kamera
Hélène Louvart
Musik
Piero Crucitti
Schnitt
Marco Spoletini
Darsteller
Yle Vianello (Marta) · Salvatore Cantalupo (Don Mario) · Pasqualina Scuncia (Santa) · Anita Caprioli (Rita) · Renato Carpentieri (Don Lorenzo)
Länge
90 Minuten
Kinostart
05.04.2012
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 12.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Marta – blau-graue Augen, langes blondes Haar – ist 13 Jahre alt und kommt aus Süditalien. Sie hat die letzten zehn Jahre mit ihrer Familie in der Schweiz gelebt und zieht nun mit ihrer Mutter und Schwester Rosetta in ihre Heimatstadt Reggio Calabria zurück. Das ist für Marta nicht ganz einfach. Nicht dass sie kein Italienisch kann; auch findet sie sich auf Grund früherer Verwandten-Besuche in der vertrauten Umgebung einigermaßen zurecht. Richtig einsam ist Marta ebenfalls nicht: Die neuen Schulkameraden sind nett, und nebst Mutter und Schwester sind da ja auch noch Tante, Onkel und Cousine, die sich um sie kümmern. Schwerer hingegen tut sich die jugendliche Protagonistin mit dem strengen süditalienischen Katholizismus, dem an Bigotterie grenzenden, sich in engherziger Frömmigkeit und übertriebenem Eifer ausdrückenden Glauben, der das ganze gesellschaftliche Leben bestimmt und um den sie nicht herumkommt: Wie alle ihre Klassenkameraden soll Marta demnächst gefirmt werden. Mit der Firmung öffne sich die Tür zum Paradies, erklärt die Religionslehrerin Santa, einen beseligten Enthusiasmus verströmend. Das mögen Martas Kameraden, die die Firmung offensichtlich nicht nur als religiöses, sondern auch gesellschaftliches Initiationsritual schätzen, der Lehrerin glauben. In Martas Ohren klingt es suspekt. Sie hat in der Schweiz zwar den Religionsunterricht besucht, dabei aber eine moderate und liberale Form des Katholizismus kennen gelernt. Nun soll sie von einem Tag auf den anderen die Bibel und etliche Gebete auswendig können und zudem die Namen von Heiligen kennen, von deren Existenz sie bisher kaum wusste. Marta interessiert anderes mehr. Ihr Körper zum Beispiel, der sich zu verändern beginnt und der ihre Aufmerksamkeit fordert: Bald wird sie eigene BHs besitzen und nicht mehr diejenigen von Rosetta stibitzen müssen. Ausnehmend hübsch, nämlich fein beobachtet und stimmig inszeniert sind die Szenen, in denen Alice Rohrwacher (die jüngere Schwester der Schauspielerin Alba Rohrwacher) in ihrem Spielfilmerstling Marta sich selbst überlässt oder die von leisen Eifersüchteleien, aber auch zärtlicher Zuneigung geprägte Beziehung der Schwestern schildert. Doch während die 18-jährige Rosetta wie die Mutter in der alten Heimat wieder Fuß fasst, beginnt Marta zu rebellieren. Nicht laut, das entspricht nicht ihrem eher schüchternen Wesen. Aber sie beginnt sich abzusetzen, zieht sich zurück. Lässt ihr schönes, langes Haar von der jüngeren Cousine abschneiden. Sie schwänzt die Religionsstunde, stromert durch die Gegend. Eines Tages trifft der Pfarrer Marta auf der Ausfahrtsstraße und nimmt sie kurz entschlossen mit auf seine Tour durch die Bergdörfer der nahen Umgebung. Dieser kurze Ausflug wird für Marta unverhofft zur Initiationsreise, in der sie nicht nur das erste Mal ihr Menstruationsblut fließen spürt, sondern auch ihre ureigene Begegnung mit einem hölzernen Sohn Gottes hat. „Corpo Celeste“ ist zuvorderst ein wunderbar feinfühliger, auch berührender Coming-of-Age-Film, in dem ein Mädchen couragiert seinen eigenen Weg zu gehen lernt. Er lebt vor allem vom traumtänzerisch unschuldigen Spiel seiner jungen Hauptdarstellerin Yle Vianello. Tatsächlich aber wirft er, weit über sich hinausweisend, leise und kritisch auch einen Blick auf die heutige Gesellschaft und bringt dabei ein Phänomen zur Sprache, das in der Zeit der Globalisierung zunehmend Thema wird: Die Re-Migration, die Rückkehr von (Wirtschafts-)Migranten an den Ort ihrer Herkunft und die damit einhergehende Entwurzelung ihrer Kinder, die zwischen alle Kulturen fallend, selbst in ihrer angestammten Heimat nicht mehr zu Hause sind.
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