Drama | Deutschland/Russland/Lettland/Weißrussland/Niederlande 2012 | 128 (24 B./sec.)/124 (25 B./sec.) Minuten

Regie: Sergej Loznitsa

Weißrussland im Zweiten Weltkrieg. Ein vermeintlicher Kollaborateur soll von russischen Partisanen gerichtet werden. Erzählt in verschachtelten Rückblenden, setzt der Film das Puzzle der letzten Lebensmonate seines Protagonisten zusammen und verdichtet dessen Leidensweg zum Essay über Schuld und Gewissen, Lebensnot und Todeswillen. Lange Plansequenzen, reduzierte Dialoge, der weitgehende Verzicht auf Musik, die Verwendung von Naturbildern als Spiegel der Seelen und die religiöse Motivik verweisen nachdrücklich auf das philosophische Kino von Andrej Tarkowski oder Béla Tarr. (Ökumenischer Filmpreis Cottbus 2012) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
V TUMANE | IN THE FOG
Produktionsland
Deutschland/Russland/Lettland/Weißrussland/Niederlande
Produktionsjahr
2012
Produktionsfirma
Ma.ja.de Fiction/Lemming Film/Belarus Film/GP Cinema Company/Rija Films
Regie
Sergej Loznitsa
Buch
Sergej Loznitsa
Kamera
Oleg Mutu
Schnitt
Danielius Kokanauskis
Darsteller
Vladimir Svirski (Sushenya) · Vlad Abashin (Burov) · Sergei Kolesov (Voitik) · Nikita Peremotovs (Grisha) · Julia Peresild (Anelya)
Länge
128 (24 B.
sec.)
124 (25 B.
sec.) Minuten
Kinostart
15.11.2012
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Den 1964 geborenen weißrussischen Regisseur Sergej Loznitsa treiben die alten und immer noch virulenten Themen von Schuld und Vergebung um, und die Frage nach der Möglichkeit, auch im Vorhof der Hölle, der Leben heißt, seine moralische Lauterkeit zu bewahren. In seinem zweiten Spielfilm „Im Nebel“ liefert ihm, wie schon in seinem Dokumentarfilm „Blockade“ (2005), der Zweite Weltkrieg eine Folie; jener Krieg, der für ihn „im Bewusstsein der Menschen weitergeht. Die Vergangenheit bleibt unreflektiert, die Geschichte unverstanden. Es wurden keine Schlüsse gezogen. Das bedeutet: Alles wiederholt sich immer weiter, wie in einem Teufelskreis“. Diese verzweifelte Sicht auf den Gang der Dinge lässt Loznitsa als Seelenverwandten von filmischen Visionären wie Andrej Tarkowski und Béla Tarr erscheinen, denen er auch in seiner Formsprache nahe ist: lange Plansequenzen, reduzierte Dialoge, der nahezu gänzliche Verzicht auf Musik und die Verwendung von Naturbildern als Gemütsspiegel der handelnden Figuren belegen die Verwandtschaft, ebenso der Rekurs auf religiöse Motive und die biblische Passionsgeschichte. Der Leidensweg des geschundenen Individuums, der Gang nach Golgatha, in „Im Nebel“ als Odyssee durch den schier undurchdringlichen russischen Wald variiert, war schon in der literarischen Vorlage, einer Novelle von Wassil Bykau (1924-2003), angelegt; Bykau hatte einst auch Larissa Schepitko zu ihrem berühmten Film „Aufstieg“ (fd 20 766) inspiriert. Hier wie dort geht es um Kollaboration und Gewissen, um die Wahrheit hinter den scheinbar eindeutigen Tatsachen. „Im Nebel“ fügt noch ein weiteres Motiv hinzu: die letztendliche Rettung der Unschuld durch den selbst gewählten Tod. Ein wahres Kompendium an weltlichen und christlichen Motiven, das zur Reflexion über den Sinn des Lebens einlädt. Loznitsa gibt die Geschichte seiner Hauptfigur, des Eisenbahnarbeiters und vermeintlichen Kollaborateurs Sustschenija, nach und nach durch Rückblenden preis. Der leise, vor der Zeit gealterte Mann, der mit Frau und Kind in einer Waldkate haust, wurde nach seiner Verhaftung durch deutsche Besatzer freigelassen, während andere, die zusammen mit ihm festgenommen wurden, hingerichtet wurden. Unchronologisch und in langen Blöcken setzt der Film das Puzzle der letzten Wochen zusammen: die auf eine tiefe Menschlichkeit gegründete Weigerung Sustschenijas, an einem Sabotageakt gegen die Faschisten teilzuhaben, die Kerkerhaft, seine Absage an eine Zusammenarbeit mit den Deutschen – und wie er daraufhin den russischen Partisanen gleichsam zum Fraß vorgeworfen wird. Es ist die Novelle eines Menschen, der auch im Krieg seine Humanität zu bewahren versucht und damit zwischen alle Fronten gerät. Seine Not, die am Ende im Aufschrei „Warum glaubt mir keiner?“ gipfelt, prägt sich dank des Spiels von Vladimir Svirskiy tief ins Bewusstsein ein. Doch alle Fragen, die Sustschenija an sich und andere stellt, werden vom Nebel verschluckt. Über die Totenruhe hinweg erklingt von fern das Motiv einer Mundharmonika.
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