Drama | Irland/Großbritannien 2014 | 91 Minuten

Regie: Leonard Abrahamson

Ein junger Musiker findet Anschluss an eine exzentrische Band, deren Sänger sich hinter einem Pappmaché-Kopf verbirgt. Bei den Proben für ein neues Album droht der Neuzugang von der Gruppendynamik aufgerieben zu werden, verschafft der Band aber auch einen Auftritt bei einem großen Festival. Die dramatische Komödie lotet ebenso humorvoll wie feinfühlig die exzentrischen Persönlichkeiten und ihre spannungsvollen Beziehungen aus und erzählt nebenbei von Kreativität, Selbstvermarktung und dem Ausverkauf der Musikindustrie. Der musikalisch mit bizarren Songs glänzende Film spielt überdies mit dem Status von Star-Identität und medialer Repräsentation. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
FRANK
Produktionsland
Irland/Großbritannien
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Runaway Fridge Prod./Element Pic./Film4/Indieproduction
Regie
Leonard Abrahamson
Buch
Jon Ronson · Peter Straughan
Kamera
James Mather
Musik
Stephen Rennicks
Schnitt
Nathan Nugent
Darsteller
Michael Fassbender (Frank) · Maggie Gyllenhaal (Clara) · Domhnall Gleeson (Jon Burroughs) · Scoot McNairy (Don) · Carla Azar (Nana)
Länge
91 Minuten
Kinostart
27.08.2015
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama | Komödie | Musikfilm
Externe Links
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Heimkino

Die umfangreichen Extras enthalten u.a. zum Teil ausführliche und und erhellenden Interviews, darunter: Domhnall Gleeson (16 Min.), Michael Fassbender (10 Min.), Maggie Gyllenhaal (9 Min.), Regisseur Lenny Abrahamson (17 Min.), Komponist Stephen Rennicks (17 Min.) und Produzent Ed Guiney (9 Min.). Die Edition ist mit dem Silberling 2015 ausgezeichnet.

Verleih DVD
Weltkino (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
Weltkino (16:9, 1.78:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Glänzende Musik-Dramödie über eine Experimental-Band

Diskussion
Ausgerechnet in dem Moment, in dem er mit seinen Fingern in die Tasten hauen soll, fällt Jon die Kinnlade herunter. Den Aushilfsjob als Keyboarder bei der Band „The Soronprfbs“, die an diesem Abend einen kleinen Auftritt in Jons Heimatort absolvieren, verdankt er dem Suizidversuch seines Vorgängers. Der junge Amateur-Musiker kommt zur Bühne wie die Jungfrau zum Kinde – gewünscht hat er sich dies aber schon lange. Mit erstarrten Fingern muss Jon nun mit ansehen, wie sich ein Mann im Neoprenanzug und mit riesigem Pappmaché-Kopf aus dem Schatten des Backstage-Bereichs löst, sich zwischen die wie entrückt vor sich hin spielenden Band-Kollegen stellt und von in Fett geschwenkten Ingwer-Croutons, Thunfisch in Salzlake und Aalen in Gelee singt. Was Frank in seinem kugelrunden Kunstschädel mit den hellblauen Augen und dem wie in Überraschung offenstehenden Mund an Songtexten ausbrütet, ist so bizarr wie genial – und damit weit entfernt von dem, was Jon bisher verzweifelt aus seinem Kopf und Keyboard zu prügeln versuchte. Jons Status auf Twitter: 14 Follower. Fortan bilden die sporadisch ins Bild getippten Zahlen und Hashtags den Social-Media-Erfolg des Möchtegern-Singer-Songwriters ab, dem auch der Zuschauer in die Geschichte folgt. Leonard Abrahamsons hinreißend charmante Außenseiter-Dramödie „Frank“ dreht sich nämlich um das, was Filmemacher und Musiker gleichsam umtreibt: um Inspiration und Kreativität, ihre Vermarktung und den Weg dorthin – und wenn er über eine abgelegene Waldhütte in Irland führt. Dorthin verfrachtet Frank seine Band inklusive Frischling Jon, um die Aufnahme eines neuen Albums in Angriff zu nehmen. Der wichtigste Posten in der Rechnung ist allerdings nicht der von allen bewunderte Frank, sondern die ihm Halt gebende Band. Denn nach elf Monaten Feldstudien in Wald und Flur stellt sich dieser Haufen Exzentriker als genauso labil wie ihr Manager Don heraus. „Der Kleber“, der alles zusammenhält, ist die berührungslos ihr Theremin bearbeitende Clara, die Frank abgöttisch liebt und seinen Schützling Jon abgrundtief hasst, während sie jeden kommerziellen Erfolg der Band zu sabotieren versucht. Das wird klar, als die Klicks der Videos, die Jon heimlich auf YouTube stellt, in die Höhe schnellen und „The Soronprfbs“ einen Gig auf dem größten Musikfestival der westlichen Hemisphäre bescheren: dem South by Southwest in Austin, Texas. 23.751 YouTube-Klicks, 1904 Twitter-Followern sei Dank. Jon und Frank sind euphorisch, Clara ist entsetzt – und das nicht ohne Grund. Die bis ins Detail ausgearbeitete Indie-Produktion weiß, von was sie erzählt, wenn sie eingangs die cool verunsicherten Konzertbesucher möglichst weit von der Bühne entfernt ans andere Ende der schummrigen Bar verfrachtet. Am anderen Ende des Films, im sonnigen Austin, harren die aufgedonnerten Horden auf die YouTube-gehypte Newcomer-Band, von der nun alle eine Kommerzialisierung erwarten. Ein Hype, der auf den „sitcomesken“ Ausfällen der Band gründet, auf Claras Messerangriff gegen Jon etwa, nicht auf der Qualität der Songs. Die sind dank Filmkomponist Stephen Rennicks nicht nur absonderlich, sondern sogar sehr besonders geraten. Mit Michael Fassbenders dunkler, an Ian Curtis erinnernder Stimme besitzen sie das Potenzial zu veritablen Experimental-Hits, wobei die Performances so wahnwitzig scheinen wie ihr Schöpfer Frank, dessen Maskerade erst spät in ihrem schädlichen Ausgrenzungseffekt pathologisiert wird: Frank scheint von der Welt überfordert, der Kugelkopf funktioniert wie ein anonymisierender Airbag des Lebens. Der Griff zur jede Identität und Gefühlsregung verbergenden Maske, die vom britischen Komiker und Musiker Frank Sidebottom inspiriert wurde, der Anfang der 1980er-Jahre damit auftrat, scheint aus einem unerträglichen Druck zu resultieren. Auch wenn oder gerade weil Frank mit dieser Aufmachung und dazu noch als Bandleader genau die Aufmerksamkeit einfordert, nach der Jon lechzt. Dass sich hinter dem großen Pappmaché-Kopf das prominente, perfekt geschnittene Gesicht von Michael Fassbender verbirgt und die Filmband „The Soronprfbs“ bereits eine Facebook-Seite besitzt, auf der die Fans augenzwinkernd eine Tour einfordern, führt das Versteckspiel um Star-Identität und Medienrealität über den Film hinaus. Letztendlich erzählt Abrahamson nicht nur das Drama von Frank, Jon und Clara, die in ihren Talenten, Ängsten und Wünschen so unterschiedlich sind und sich in einem unerbittlichen Kampf von Bromance versus Romance entzweien. Zudem treffen die wohldosierten Spitzen des Ausverkaufs einer Musikindustrie, in der Klick- und Follower-Zahlen zu neuen Qualitätsmaßstäben werden, angesichts derer man sich tatsächlich eine Decke über den Kopf ziehen möchte – aber ohne die kleinen Akustiklöcher, die Franks Maske „auf Ohrhöhe“ eben doch durchlässig machen.
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