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Bergmans Titanenkämpfe

Neu übersetzte Arbeitstagebücher geben Einblicke in die Arbeitsweise des schwedischen Regisseurs Ingmar Bergman.

Veröffentlicht am
25. März 2022
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Mit seinen Filmen hat Ingmar Bergman Kinogeschichte geschrieben – immer stand die menschliche Psyche, die Sinnsuche seiner Charaktere im Mittelpunkt. Neu übersetzte Arbeitstagebücher geben jetzt Einblicke in die Arbeitsweise des Schweden, die von seinen eigenen Hoch- und Tiefstimmungen nicht zu trennen war.


Nervosität überfällt Ingmar Bergman, als er 1956 mit Das Lächeln einer Sommernacht nach Cannes eingeladen wird. Gerade noch ist der Film in seiner Heimat zerrissen worden. Bergman notiert voller Selbstzweifel in sein Arbeitstagebuch: „Ich wünschte, ich wäre ein richtig tüchtiger Fachmann, den man anständig beurteilt (wünsche ich mir auch wieder nicht), ich wünschte, ich könnte mich hinsetzen, mich beruhigen und nachdenken: Was meine ich. Woran glaube ich. Was will ich eigentlich. Wo will ich hin. Mir ist nicht geholfen mit all dem Ruhm (mit dem ich mich nur allzu gern bekleckere), mir ist auch nicht geholfen mit dieser scheußlich vernichtenden Kritik, die mich lähmt und sehr müde macht.“

Ob Bergman in Cannes mit dem Gewinn des „Spezialpreises der Jury für poetischen Humor“ zufrieden war? Das lässt sich bezweifeln. In den Notizen vom Februar 1957 liest man: „Ich will nicht mehr an diesen Ehekonflikten herumtätscheln. Die langweilen mich mehr, als ich sagen kann, sie sind so grauenhaft humorlos und seriös und todernst und durchschaubar und übertrieben, ohne wirklich überzeugend begründet zu sein. Ich kann den Mist schon auf Anhieb nicht leiden.“

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Erbarmungslose Selbstreflexionen

Bekanntlich wird Bergman zu dem „Mist“ noch öfter zurückkehren. Warum er es tun wird, lässt sich überaus spannend in seinen Arbeitstagebüchern nachvollziehen, entstanden zwischen 1955 und 2001 in fast täglichen Einträgen auf Spiralblöcken mit Kugelschreiber oder Bleistift. Die ausgewählten Seiten quellen über von Stimmungsschwankungen, erbarmungslosen Selbstreflexionen, Misstrauen gegenüber den eigenen Fähigkeiten, aber auch Ideen, Träumen, Entwürfen von Figuren und unzähligen Entstehungsskizzen von Filmen, etwa von Das Gesicht, über den Bergman schreibt: „Ist es richtig, einen solchen Film zu machen? Man lässt mir wenig Spielraum. Aber Spielen kann auch lustig sein und jetzt will ich, verdammt, mal ein bisschen spielen. Mal ein wasserdichter Edelkitsch ist nicht so schlecht. Ich gebe ihn nur für Edelkitsch aus, oder für mehr als das, im Schutz des Warenetiketts kann ich dann ungefähr machen, wozu ich Lust habe.“

Ingmar Bergman: Ich schreibe Filme (© Berenberg Verlag)
Ingmar Bergman: Ich schreibe Filme (© Berenberg Verlag)

Was im Fall von Bergman stets von titanischen Kämpfen mit der eigenen Psyche begleitet wurde. Als er Die Jungfrauenquelle in Angriff nimmt, wird er im März 1959 von schlaflosen Nächten heimgesucht: „Wundersame Ideen und Einfälle. Wanderung durch Inferno und Purgatorio, ein Schimmer von Paradiso.“ Bei dem Rohmaterial von Das Schweigen verfällt er 1962 gar in Selbstironie: „Ich glaube, ich habe in meinem Körper eingesenkt ein Extraohr, in meine Därme verwurstelt eine Nase, mir ins Hirn starrend ein Auge, trostlos blutunterlaufen aus Mangel an Licht. Dieser Film artet immer mehr zu einem prima Leiden aus. Ich gratuliere.“


„Ein von Frauen besessener lesbischer Mann“

Wie überhaupt durch die entwaffnend ehrlichen Beschreibungen der eigenen Verfassung und des Seelenlebens seiner Figuren immer wieder amüsante Selbstkommentare schimmern, wenn er etwa seine Beziehung zu Schauspielerinnen 1971 charakterisiert: „Manchmal denke ich, ich bin ein von Frauen besessener lesbischer Mann. Manchmal denke ich, meine Wahrnehmungen und Gefühle sind extrem weiblich, sehr wenig männlich. Ja, was weiß denn ich.“

Nicht zuletzt sind die Arbeitstagebücher auch eine Informationsquelle für Projekte, die nicht zustande gekommen sind, oder unerfüllte Besetzungen, wie bei dem Psychodrama Schreie und Flüstern, für das sich Bergman Mia Farrow gewünscht hatte. Das lesenswerte Nachwort der Herausgeberin und Übersetzerin Renate Bleibtreu gibt zum Schluss wertvolle Auskünfte über seine Besonderheiten beim Verfassen von Drehbüchern, die Rolle seiner Essays oder die Ablehnung im eigenen Land. Nicht nur für die Bergman-Gemeinde eine Pflichtlektüre, die auf direktestem Wege in die Kreativitätszentrale eines Regie-Klassikers entführt, über den Jean-Luc Godard sagte, Ingmar Bergman sei wie ein Seestern, der sich öffnet und schließt, um seine Geheimnisse zu zeigen und dann gleich wieder zu verbergen.


Hinweis:

Ingmar Bergman: Ich schreibe Filme. Arbeitstagebücher 1955-2001. In einer Auswahl übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort von Renate Bleibtreu. Berenberg Verlag, Berlin 2021. 448 Seiten, 28 Euro. Erhältlich in jeder Buchhandlung oder hier.

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