Die „Glanzstoff Akademie für inklusive Künste e. V. bringt seit 2014 am Schauspiel Wuppertal Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Gemeinsam stehen sie auf oder hinter der Bühne und können sich im Schauspielstudio zur professionellen Berufsschauspielerin und zum Berufsschauspieler für Theater, Film und Fernsehen qualifizieren. Ein Gespräch über Vielfalt und Inklusion vor und hinter den Kulissen mit Marion Roemer, Gründungsmitglied und Vorsitzende des ehrenamtlich organisierten Vereins.
In Kooperation mit dem Schauspiel Wuppertal bietet „Glanzstoff“ Menschen mit Behinderung eine Laientheatergruppe sowie eine professionelle Ausbildung zur Schauspielerin oder zum Schauspieler an. Was war der Anlass Ihrer Initiative?
Roemer: Das hat ursprünglich mit unserer Familie zu tun. Es war uns immer sehr wichtig, dass unser Sohn mit Down-Syndrom Teil der Gesellschaft ist und nicht morgens in eine spezialisierte Einrichtung gebracht und abends wieder abgeholt wird. Von klein auf sollte er mit uns und den Kindern in unserem Umfeld aufwachsen. Auf der Suche nach Aktivitäten hat Merlin als junger Erwachsener dann Anschluss an eine inklusive Theatergruppe am Schauspiel Wuppertal gefunden. Durch seine Begeisterung fürs Theater und die der anderen aus der Gruppe habe ich entdeckt, wie wichtig ihnen eine künstlerische Teilhabe ist. Als das Projekt nach einem Intendantenwechsel gestrichen wurde, haben wir den Verein „Glanzstoff“ gegründet.
Wofür stehen der Verein und sein Name?
Roemer: Jeder Theater- oder Filmproduktion liegt ein Stoff zugrunde. Menschen bringen diese Stoffe auf der Bühne oder im Film zum Glänzen. Andererseits glänzen aber auch die Menschen bei der Darstellung dieser Stoffe – ob ohne oder mit Behinderung. Alle haben spezielle Möglichkeiten, sich auszudrücken. Der Zugang zu den darstellenden Künsten und ihre Sichtbarkeit sollte für alle gleich sein – auch für körperlich oder kognitiv eingeschränkte, psychisch beeinträchtige oder sinnesbeeinträchtigte Personen.
Seit 2009 gibt es in Deutschland die Verpflichtung des Bildungsbereichs zur Inklusion. Weshalb sind Angebote wie die von „Glanzstoff“ trotzdem notwenig?
In Deutschland lebt rund jede zehnte Person mit einer Behinderung. In den Theater-, Film- und Fernsehproduktionen sind Menschen mit Behinderung aber eher eine Ausnahmeerscheinung. Welche Chancen für die Wahrnehmung unserer Welt bietet Inklusion? Insbesondere für ein junges Publikum?
Schauspielerische Darstellungen von Menschen mit Behinderungen gelten oft als künstlerisch besonders herausragend und preiswürdig. Manche vergleichen das aber mit „Blackfacing“. Analog zum heutigen Tabu des Schwarzschminkens von weißen Schauspieler:innen sollen Filmfiguren mit Behinderung ausschließlich von Menschen mit Behinderung verkörpert werden. Was halten Sie von solchen Forderungen?
Roemer: Zunächst sind alle Schauspieler:innen zu beglückwünschen, die ihre Rollen überzeugend verkörpern. Es ist toll, wenn differenzierte Darstellungen gelingen, egal durch wen. Wir sind gegen alle Klischees und jegliche Form von Einschränkung. Es muss nicht jeder Rollifahrer von einem Rollifahrer gespielt werden. Bei der Gestaltung von Rollen und beim Casting darf es nicht darum gehen, eine Behinderung zu besetzen oder sich Fördergelder durch ein möglichst diverses Ensemble zu sichern. Dennoch bleibt es erstrebenswert, dass Menschen mit Behinderung verstärkt in die Entwicklung von Stoffen und Figuren sowie auch in der Produktion eingebunden werden, damit alle vom Teamwork profitieren. „Glanzstoff“ ist deshalb gerade dabei, neben der Schauspielerei weitere Berufsfelder im Film- und Theaterbereich für Menschen mit Behinderung zu erschließen.
Wie bewerten Sie Initiativen wie die geplante „Oscar“-Reform für mehr Diversität vor und hinter der Kamera? Oder Tests wie den sogenannten Dis-Rep- bzw. Tyrion-Lannister-Test, der die Repräsentationen von Menschen mit Behinderung in Filmen durch Kontrollfragen kritisch überprüft: Ist die Behinderung für die Filmhandlung wichtiger als die Figur? Wie realistisch wird sie dargestellt? Spielt die Figur eine aktive oder passive Rolle in der Handlung?
Roemer: Grundsätzlich freue ich mich über alles, was den Blick für mehr Diversität weitet. Solche Initiativen können für Orientierung und eine wachsende Sensibilisierung sorgen. Aber wir sprechen über Kunst, nicht über Pädagogik. Diversität darf keine Pflichterfüllung sein, sondern sollte zu einer Selbstverständlichkeit werden.
Welchen Wunsch haben Sie an die Film- und Theaterwelt von morgen?
Roemer: Mein Sohn Merlin hat mit Blick auf seine Leidenschaft für die Schauspielerei unseren Wunsch auf den Punkt gebracht: „Das ist mein Traum, dass jeder machen kann, was er möchte.“ Nachdem ich durch die jahrelange Arbeit bei „Glanzstoff“ gesehen habe, welche Potenziale Inklusion birgt und welch neue Facetten im Film und auf der Bühne dadurch erlebbar werden, bin ich von dieser Vision noch überzeugter. Ich wünsche mir, dass das Publikum von morgen in einer diverseren, gleichberechtigten, wertschätzenden Welt lebt. Diese Zukunft könnten Film und Theater heute bereits entwerfen.