© Uwe Schinkel (Marion Roemer)

#ichsehewas - Glanz der Vielfalt

Ein Interview mit Marion Roemer über Inklusion in Film und Theater

Veröffentlicht am
27. September 2023
Diskussion

Die „Glanzstoff Akademie für inklusive Künste e. V. bringt seit 2014 am Schauspiel Wuppertal Menschen mit und ohne Behinderung zusammen. Gemeinsam stehen sie auf oder hinter der Bühne und können sich im Schauspielstudio zur professionellen Berufsschauspielerin und zum Berufsschauspieler für Theater, Film und Fernsehen qualifizieren. Ein Gespräch über Vielfalt und Inklusion vor und hinter den Kulissen mit Marion Roemer, Gründungsmitglied und Vorsitzende des ehrenamtlich organisierten Vereins.



In Kooperation mit dem Schauspiel Wuppertal bietet „Glanzstoff“ Menschen mit Behinderung eine Laientheatergruppe sowie eine professionelle Ausbildung zur Schauspielerin oder zum Schauspieler an. Was war der Anlass Ihrer Initiative?

Roemer: Das hat ursprünglich mit unserer Familie zu tun. Es war uns immer sehr wichtig, dass unser Sohn mit Down-Syndrom Teil der Gesellschaft ist und nicht morgens in eine spezialisierte Einrichtung gebracht und abends wieder abgeholt wird. Von klein auf sollte er mit uns und den Kindern in unserem Umfeld aufwachsen. Auf der Suche nach Aktivitäten hat Merlin als junger Erwachsener dann Anschluss an eine inklusive Theatergruppe am Schauspiel Wuppertal gefunden. Durch seine Begeisterung fürs Theater und die der anderen aus der Gruppe habe ich entdeckt, wie wichtig ihnen eine künstlerische Teilhabe ist. Als das Projekt nach einem Intendantenwechsel gestrichen wurde, haben wir den Verein „Glanzstoff“ gegründet.

Wofür stehen der Verein und sein Name?

Roemer: Jeder Theater- oder Filmproduktion liegt ein Stoff zugrunde. Menschen bringen diese Stoffe auf der Bühne oder im Film zum Glänzen. Andererseits glänzen aber auch die Menschen bei der Darstellung dieser Stoffe – ob ohne oder mit Behinderung. Alle haben spezielle Möglichkeiten, sich auszudrücken. Der Zugang zu den darstellenden Künsten und ihre Sichtbarkeit sollte für alle gleich sein – auch für körperlich oder kognitiv eingeschränkte, psychisch beeinträchtige oder sinnesbeeinträchtigte Personen.

Seit 2009 gibt es in Deutschland die Verpflichtung des Bildungsbereichs zur Inklusion. Weshalb sind Angebote wie die von „Glanzstoff“ trotzdem notwenig?

Roemer: Das kann ich an einem Beispiel erläutern. Eine unserer Absolventinnen, Yulia Yáñez Schmidt, wurde an anderen Schauspielschulen nicht angenommen. Angeblich, weil sie bestimmte Ausbildungsinhalte, etwa Fechten, wegen einer Beinprothese nicht bewältigen könne. Heute ist sie festes Ensemblemitglied des Jungen Schauspiels Düsseldorf. Theater, Film und Werbung haben die Potenziale von Menschen mit Behinderung längst entdeckt. Davon zeugen auch die ersten Casting-Agenturen, die sich darauf spezialisiert haben. Dennoch gibt es noch immer viele Hürden. Das fängt mit barrierefreien Toiletten oder Bühnenzugängen an und reicht bis zur Frage der Gleichbehandlung bei der Bezahlung. Eine Filmrolle ist kein caritativer Akt, nur weil ein Schauspieler mit Behinderung involviert ist. Ohne diese und andere Voraussetzungen kann ein Mensch mit Behinderung weder zum Studium noch zur Arbeit erscheinen und unter fairen Bedingungen mitwirken. Im Bereich der Schauspielausbildung sind wir die ersten, die diesen Zugang systematisch und umfassend ermöglichen.

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"Inklusive" Pippi-Langstrumpf-Premiere am Schauspiel Wuppertal (© Uwe Schinkel)

In Deutschland lebt rund jede zehnte Person mit einer Behinderung. In den Theater-, Film- und Fernsehproduktionen sind Menschen mit Behinderung aber eher eine Ausnahmeerscheinung. Welche Chancen für die Wahrnehmung unserer Welt bietet Inklusion? Insbesondere für ein junges Publikum?

Roemer: Neben Erfahrungen in der realen Welt nehmen mediale Welten unter jungen Menschen einen großen Raum ein und können deshalb sehr prägend wirken. Genau hier liegt die Chance. In Filmen, Videos oder im Theater dominieren allerdings oft plakative, klischeehafte Bilder und Vorstellungen. Es gibt beispielsweise viele Figuren im Rollstuhl oder mit Down-Syndrom, weil diese Behinderungen visuell schnell erkennbar sind. Menschen mit Down-Syndrom treten nur dann in Erscheinung, wenn sie durch ihre Gesichtszüge sofort eingeordnet werden können. Außerdem werden sie überwiegend als anhänglich und lustig dargestellt. Doch das Down-Syndrom ist kein Persönlichkeitsmerkmal. Qualitätsvolle Kinder- und Jugendfilme sind auf mehrdimensionale Figuren und gehaltvolle Geschichten angewiesen. Dies schließt im besten Fall Menschen mit Behinderung weder bewusst ein noch aus. Ich muss verinnerlichen, dass ich für jede Figur vielfältige Möglichkeiten in der Darstellung wie auch in der Besetzung habe.

Schauspielerische Darstellungen von Menschen mit Behinderungen gelten oft als künstlerisch besonders herausragend und preiswürdig. Manche vergleichen das aber mit „Blackfacing“. Analog zum heutigen Tabu des Schwarzschminkens von weißen Schauspieler:innen sollen Filmfiguren mit Behinderung ausschließlich von Menschen mit Behinderung verkörpert werden. Was halten Sie von solchen Forderungen?

Roemer: Zunächst sind alle Schauspieler:innen zu beglückwünschen, die ihre Rollen überzeugend verkörpern. Es ist toll, wenn differenzierte Darstellungen gelingen, egal durch wen. Wir sind gegen alle Klischees und jegliche Form von Einschränkung. Es muss nicht jeder Rollifahrer von einem Rollifahrer gespielt werden. Bei der Gestaltung von Rollen und beim Casting darf es nicht darum gehen, eine Behinderung zu besetzen oder sich Fördergelder durch ein möglichst diverses Ensemble zu sichern. Dennoch bleibt es erstrebenswert, dass Menschen mit Behinderung verstärkt in die Entwicklung von Stoffen und Figuren sowie auch in der Produktion eingebunden werden, damit alle vom Teamwork profitieren. „Glanzstoff“ ist deshalb gerade dabei, neben der Schauspielerei weitere Berufsfelder im Film- und Theaterbereich für Menschen mit Behinderung zu erschließen.

Wie bewerten Sie Initiativen wie die geplante „Oscar“-Reform für mehr Diversität vor und hinter der Kamera? Oder Tests wie den sogenannten Dis-Rep- bzw. Tyrion-Lannister-Test, der die Repräsentationen von Menschen mit Behinderung in Filmen durch Kontrollfragen kritisch überprüft: Ist die Behinderung für die Filmhandlung wichtiger als die Figur? Wie realistisch wird sie dargestellt? Spielt die Figur eine aktive oder passive Rolle in der Handlung?

Roemer: Grundsätzlich freue ich mich über alles, was den Blick für mehr Diversität weitet. Solche Initiativen können für Orientierung und eine wachsende Sensibilisierung sorgen. Aber wir sprechen über Kunst, nicht über Pädagogik. Diversität darf keine Pflichterfüllung sein, sondern sollte zu einer Selbstverständlichkeit werden.

Welchen Wunsch haben Sie an die Film- und Theaterwelt von morgen?

Roemer: Mein Sohn Merlin hat mit Blick auf seine Leidenschaft für die Schauspielerei unseren Wunsch auf den Punkt gebracht: „Das ist mein Traum, dass jeder machen kann, was er möchte.“ Nachdem ich durch die jahrelange Arbeit bei „Glanzstoff“ gesehen habe, welche Potenziale Inklusion birgt und welch neue Facetten im Film und auf der Bühne dadurch erlebbar werden, bin ich von dieser Vision noch überzeugter. Ich wünsche mir, dass das Publikum von morgen in einer diverseren, gleichberechtigten, wertschätzenden Welt lebt. Diese Zukunft könnten Film und Theater heute bereits entwerfen.

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