© Simon Bierwald (Filmwoche Duisburg 2022)

Menschen & Filme zusammenbringen

Ein Gespräch mit Vera Schöpfer und Alexander Scholz vom Netzwerk Filmkultur NRW

Veröffentlicht am
16. Oktober 2023
Diskussion

Ende September veröffentlichte das nach vielen Jahren loser Zusammenarbeit 2021 als Verein gegründete „Netzwerk Filmkultur NRW“ ein Positionspapier, das viele wichtige Forderungen an die Filmkultur heute – nicht nur in Nordrhein-Westfalen – formuliert. Wie so oft spiegelt der in vielerlei Hinsicht vorbildliche Einsatz und Vernetzungsgedanke des Zusammenschlusses verschiedener Akteure aus der Filmkultur ein zähes Ringen um die Anerkennung von Film als Kulturgut. Dass man darum im Jahr 2023 noch immer kämpfen muss, ist eigentlich beschämend, aber gerade deshalb hochrelevant. Das gilt gerade in Zeiten, in denen ein gesellschaftlicher Wandel und politische Kippbewegungen den Status des Kinos weiter gefährden. Jüngste kulturpolitische Erdbeben in Berlin sprechen da Bände. Im Gespräch berichten die Netzwerkmitglieder Vera Schöpfer (Geschäftsführerin vom Filmhaus Köln) und Alexander Scholz (Leiter der Filmwoche Duisburg) von ihrer Arbeit, den Schwierigkeiten und den Schrauben, an denen dringend gedreht werden muss.


Um Filmkultur muss man täglich aufs Neue kämpfen. Im September 2023 gab es im Generationenpark Volkhoven/Weiler in Köln Ärger bei einem Screening des Films „Aşk, Mark ve Ölüm –Liebe, D-Mark und Tod“, was zur Absage weiterer Vorführungen führte. Was ist dort genau passiert?

Vera Schöpfer: Wir wurden vom Theaterpädagogischen Zentrum angesprochen, ob wir uns vorstellen könnten, am nördlichen Rand von Köln, im Generationenpark, ein Open-Air-Kino zu organisieren. Es ging darum, dass Jugendliche Projekte entwickeln können, die sie gerne in ihrem Stadtteil hätten. Wir waren da eines von mehreren Projekten, die in diesem Kontext realisiert wurden. In Köln ist es unglaublich schwierig, auf öffentlicher Fläche Open-Air-Kino zu machen, und so kam relativ schnell die Idee auf, das auf dem vom Bürgerverein Volkhoven/Weiler gepachteten Teil des Generationenparks zu realisieren. Der Bürgerverein war auch bereit, uns die Fläche zu geben. Es waren drei aufeinanderfolgende Abende Anfang September geplant mit kostenlosem Eintritt. Die Jugendlichen haben aus einer Vorauswahl drei Filme bestimmt, die sie gerne zeigen wollen: Das waren „Aşk, Mark veÖlüm – Liebe, D-Mark und Tod“, „Köy“ und „Aftersun“. Der Bürgerverein kannte diese Auswahl vorher. Am ersten Abend zeigten wir „Aşk,Mark ve Ölüm – Liebe, D-Mark und Tod“. Ich war selbst nicht vor Ort, aber die Projektleiterin Mirjam Baumert hat mir ausführlich berichtet: Es waren insgesamt so 50 Leute da, junge Menschen auf Picknickdecken, eine schöne Stimmung. Die Leute vom Bürgerverein wurden aber relativ schnell unruhig. Sie haben gesagt, dass ihre Telefone heiß laufen und sich Anwohner:innen beschweren würden. Es ging um einzelne Äußerungen aus dem Film und die Lautstärke. Irgendwann kam dann das Ordnungsamt und meine Mitarbeiter:innen haben leiser gemacht, obwohl wir uns im Rahmen der Vorschriften bewegt haben. Am nächsten Morgen hat sich der Vorsitzende des Bürgervereins bei uns gemeldet und uns die Screenings von „Köy“ und „Aftersun“ abgesagt. Sein Grund waren Sicherheitsbedenken, er berief sich da auf Klankriminalität und eine total aufgeheizte Stimmung in Volkhoven. Vor allem „Köy“ wollte er auf keinen Fall zeigen. 

Ein geplantes Screening von "Köy", einem Dokumentarfilm über drei kurdischstämmige Frauen unterschiedlicher Generationen in Deutschland, sorgte für Gegenwind (© Salzgeber)
Ein geplantes Screening von "Köy", einem Dokumentarfilm über drei kurdischstämmige Frauen unterschiedlicher Generationen in Deutschland, sorgte für Gegenwind (© Salzgeber)

Wir waren natürlich etwas verunsichert. Daher haben wir bei der zuständigen Polizeistation angerufen und die Polizistin dort meinte, es wäre gar kein Problem und es lägen ihr auch keine Anzeigen vor. Wir haben dann ein klärendes Gespräch mit dem Bürgerverein gesucht und vorgeschlagen, dass wir den Film gemeinsam anschauen und darüber sprechen. Aber alle unsere Angebote wurden abgelehnt. Im Nachgang wurde Lärmbelästigung vom Vorsitzenden als Grund für die Absage genannt. Aber das Ordnungsamt gibt an, keine „unangemessene Lautstärke“ festgestellt zu haben. Bis heute haben wir keine triftige Erklärung für die Absage. Der einzige Schluss ist, dass es Vorbehalte gegen die Inhalte des Films gibt.

Vera Schöpfer (© Paul Schöpfer)
Vera Schöpfer (© Paul Schöpfer)

Ist das ein Ausnahmefall oder spürt ihr mehr von solchen Tendenzen?

Vera Schöpfer: Ich will es jetzt nicht breiter treten als es ist, aber Lesungen von Transpersonen werden in Bayern abgesagt. Wir haben in Ostdeutschland eine Situation, in der es vermehrt bei Kulturveranstaltungen zu Vorfällen mit rechten Störern kommt und eine grundsätzliche Stimmung herrscht, in der bestimmte Sachen einfach nicht mehr angeboten werden, aus Angst vor den Reaktionen. Deshalb haben wir das Vorgefallene auch öffentlich gemacht, um uns mit dem Film zu solidarisieren und um ein Zeichen zu setzen, dass wir uns nicht einschüchtern lassen. Die zwei anderen Filmabende haben wir dann in die Jugendeinrichtung verlegt, und wir planen mit Kooperationspartnern in Volkhoven eine weitere Veranstaltung am 18. November, wo wir auch den Film noch einmal zeigen werden.

Ich hatte diese Frage eigentlich gestellt, um nebenbei ein bisschen was von eurer Arbeit zu erfahren, aber das scheint mir doch eine besondere und untragbare Situation zu sein. Trotzdem möchte ich jetzt zu eurem Positionspapier überleiten, in dem ihr passenderweise eine diverse Filmkultur fordert. Wie sieht es denn damit aus in NRW, in welchen Kontexten bewegt ihr euch da?

Alexander Scholz: Wir hatten unabhängig von der Veranstaltung in Köln ein Screening desselben Films in Duisburg organisiert. Wir haben uns dann gleich solidarisch erklärt. Unsere Veranstaltung war total eingebettet. Wir haben mit dem Goethe-Institut, einem Filmkollektiv aus Köln, dem Internationalen Zentrum und dem Soziokulturellem Zentrum Stapeltor in Duisburg zusammengearbeitet. Außerdem waren mehrere Protagonisten des Films da, es gab also ein großes Wohlwollen und eine breite Basis für die Veranstaltung. Es geht darum, ein Angebot zu machen, das auch auf einer sozialen Ebene funktioniert, was bei Film besonders niederschwellig möglich ist. Man muss aber unglaublich viel Netzwerkarbeit leisten, um die Potenziale des Kinos auszuschöpfen und um Menschen und Filme in Berührung und ein produktives Verhältnis zu bringen. Es geht um Austausch. Das ist eine aufwändige Arbeit, weil dafür jedes Mal neue Wege gefunden werden müssen und nicht die bekannten, ausgelatschten kommerziellen Wege. 

Kino als Diskusraum: Foto von der Filmwoche Duisburg 2022, einem Mitglied des Netzwerks (© Simon Bierwald)
Kino als Diskusraum: Foto von der Filmwoche Duisburg 2022, einem Mitglied des Netzwerks (© Simon Bierwald)


Meine Erfahrung ist, dass Filmkultur da viel leisten kann. Zu Beginn des Jahres haben wir beispielsweise „Zigeuner in Duisburg“ von Rainer Komers gezeigt. Das kam zustande, weil kurz zuvor Peter Nestlers „Unrecht und Widerstand“ bei uns im Programm der Filmwoche lief und im Kontext der Auseinandersetzung mit diesem Film nochmal ganz deutlich wurde, was das für ein pulsierendes Thema im Ruhrgebiet ist. Daraufhin haben wir uns mit dem Sinti-Verein zusammengesetzt. Wir dachten, dass man bestimmte Filme nur unter Beteiligung jener zeigen kann, über die in den Filmen gesprochen wird. Diese Frage stellt sich natürlich bei Dokumentarfilmen ständig, und daher ist es notwendig, solche Netzwerke langfristig zu etablieren. Diese Aufgabe nimmt Filmkultur an, aber diese Aufgabe reibt sich mit der Art und Weise, in der Filmkultur finanziert wird. Die Finanzierung erfolgt nämlich häufig in Projektzyklen und in solchen Abläufen kann man schwieriger langfristige soziale Verbindungen zu Menschen aufbauen, die dann mehr als einmal kommen sollen. Umso wertvoller für die Filmwoche, dass es bei uns ein langfristiges Commitment der Stadt und des Landes gibt – das wäre allerdings für viele andere Akteure auch wünschenswert.

Alexander Scholz (© Tilman Lothspeich)
Alexander Scholz (© Tilman Lothspeich)

Vera Schöpfer: Ich sage immer, dass Diversität eigentlich das Doppelte kostet. Wenn ich mein Programm diversifizieren will und diverse Kurator:innen haben will oder ein diverses Team, die auch andere Impulse setzen würden als ich als weiße Frau, dann brauche ich mehr Geld. Das liegt daran, dass ich diesen Menschen Arbeitsplätze anbieten muss, die besser bezahlt sind, als das vielleicht in den bisher dominanten Schichten der Kulturarbeiter:innen der Fall ist, wo vielleicht eher Geld von zuhause oder Partnerschaften mit höherem Einkommen vorhanden sind. Eine Projektförderung ist zum Beispiel für Menschen, die sich gerade parallel um die deutsche Staatsbürgerschaft bewerben, keine Option. Die brauchen einen festen Job, damit sie überhaupt die Chance auf Staatsbürgerschaft bekommen. Das betrifft also auch unsere Programmarbeit. Es ist wahnsinnig aufwendig, aber total lohnenswert. Egal ob es um positive Beispiele geht oder um so etwas wie in Volkhoven. Der Film hat da etwas ausgelöst, und es wäre eine Schande zu sagen, dass wir da nicht mehr hingehen.

Alexander Scholz: Ja genau, es geht da zum einen um eine Kommunikation mit den Menschen, die an den Orten leben, an denen wir Angebote machen, und zum anderen geht es um eigene Prozesse. Wenn wir Filmprogramme machen, merken wir, dass wir aus einer homogeneren Gruppe kommen als diejenigen, die wir damit erreichen wollen. Das sind auch Fragen, die einer Auseinandersetzung und Änderungen bedürfen, und auch diese Prozesse sind nicht gratis.

Das Netzwerk Filmkultur scheint mir in dieser Hinsicht eine ziemlich vorbildliche Sache zu sein. Könnt ihr sagen, wie ihr da den Austausch erlebt und was da vielleicht noch fehlt, um sich noch besser zu vernetzen?

Alexander Scholz: Das Netzwerk gab es lange als informellen Zusammenschluss aus Festivals, Filmhäusern, Werkstätten und Initiativen in NRW. Ich bin mit Vereinsgründung 2021 dazugekommen und habe das Netzwerk seither als solidarische Plattform erlebt, wo man Wissen und Erfahrungen austauscht. Das ist erstmal notwendig in einem Land, in dem Filmkultur in einer sehr großen Breite organisiert ist. Es gibt eben nicht eine große Institution, die Filmkultur macht, sondern sehr viele verschiedene Akteure, die nebeneinander existieren und die alle ihre eigenen Communitys und Expertisen haben. Die Perspektiven haben wir jetzt veröffentlicht, um nach außen hin sichtbar zu machen, was eigentlich der inhaltliche Nukleus ist, auf den wir uns im Netzwerk einigen können. Das Papier spiegelt auch, dass nicht nur die Akteure, sondern auch deren strukturelle Herausforderungen vernetzt sind. Ich glaube, es ist sehr wichtig, als Filmkultur sichtbar zu bleiben. In der Betrachtung von außen gibt es eine Unschärfe im Hinblick auf das, was Filmkultur ist. Wer sind diese Leute, die auch auf ästhetische Bildung Wert legen? Wer sind diese Leute, die Filme nicht primär von ihrer Auswertung, sondern aus Vermittlungsinteresse zeigen? Wer sind diese Leute, die Film und Kino als soziale Angelegenheit begreifen? Das gilt es, immer stärker herauszustellen.

Filmbildung in Aktion. Foto von einem Workshop der Filmwerkstatt Münster, die Teil des Netzwerks ist (© Jana Nestler)
Filmbildung in Aktion. Foto von einem Workshop der Filmwerkstatt Münster, die Teil des Netzwerks ist (© Jana Nestler)

Vera Schöpfer: Da geht es uns auch um das Kino als sinnliche Erfahrung. Das versuchen wir zu vermitteln. Es geht auch um den Genuss, den Film geben kann. Ich hatte gerade erst eine Gruppe von Referendarinnen da, und die haben wir erstmal mit diesem sinnlichen Potenzial von Filmen konfrontiert. Danach haben sie gesagt, dass sie im Schulkontext immer nur in Kompetenzen denken und wie wichtig dieser sinnliche Ansatz eigentlich ist. Ich finde, dass in Deutschland viel zu selten betont wird, wie schön das Kino eigentlich ist.

Wenn man sich das Netzwerk anschaut, sind wir über ganz NRW verteilt und auch im ländlichen Raum präsent. Trotzdem gibt es weiterhin Orte, die wir nicht abdecken. Im Filmhaus Köln erproben wir jetzt mit vielen Kooperationspartnern eine Zusatzqualifikation Filmbildung, das ist eine Weiterbildung für Filmbildung und Filmvermittlung, und da haben wir auch von kleinen Kinos aus dem Sauerland Bewerbungen bekommen. Das hat mich sehr gefreut, weil unser Netzwerk sicher noch breiter werden kann. Wichtig ist immer auch, dass wir über Inhalte und nicht nur über strukturelle Probleme sprechen.

Alexander Scholz: Ja genau, man bekommt immer das Gefühl, dass es mehr um Kompetenz oder Verwertungszusammenhänge geht. Es geht aber um die Filmkultur, und das klarzumachen, ist scheinbar im Filmbereich notwendiger als in anderen Kultursparten. Im Netzwerk ist eben auch der inhaltliche Austausch über Film wichtig. Für mich ist zum Beispiel sehr wichtig, mich mit Filmbildungsleuten zusammenzusetzen und zu erfahren, was die Menschen beschäftigt, von denen ich möchte, dass sie in zehn Jahren bei mir im Kino sitzen. Perspektivisch möchte ich noch anmerken, dass ich das Netzwerk auch als Ort sehe, der sich für faire Arbeitsbedingungen in unserem Bereich einsetzt. Kulturarbeit ist nicht ausreichend finanzierte Arbeit. Menschen in der Filmkultur arbeiten häufig für wenig Geld und das wird zu oft mit einer gewissen Selbstverständlichkeit hingenommen. Ich habe nicht den Eindruck, dass andere Berufsgruppen ihre Identifikation mit ihrer Arbeit vorschieben als Argument dafür, dass es in Ordnung ist, weniger zu verdienen. Im Kultur- und insbesondere im Filmbereich habe ich das Gefühl, dass das so ein Abfindungsargument ist. Es gibt aber keinen guten Grund dafür, dass das so ist. Wenn man sich da gemeinsam koordiniert, kann man einfordern, dass das, worüber in den Sonntagsreden geredet wird, finanziert werden muss, damit Menschen diese Arbeit auch über ein bestimmtes Alter hinaus machen können.

Das war auch der Punkt in eurem Papier, der mich zunächst am meisten beschäftigt hat, nämlich die Mindestlohnforderung. Wie stellt ihr euch das vor? Ist es realistisch, eine Mindestlohnforderung für Freiarbeitende in der Filmkultur umzusetzen? Oder anders gefragt: An was scheitert das? Ich frage auch, weil für mich in diesem Zusammenhang Transparenz sehr wichtig wäre, also dass Budgets offengelegt werden und klar kommuniziert wird, für was ein Filmhaus oder Festival eigentlich welches Geld zur Verfügung hat.

Vera Schöpfer: Wir vertreten zwar Institutionen, aber eigentlich ist das eine fast komplett freie Szene. Wir sind alle stark darauf angewiesen, dass wir unsere Mittel fördertechnisch zusammenbekommen. Natürlich geht es da Filmhäusern oder -werkstätten besser als kleineren Initiativen, aber auch wir müssen Jahr für Jahr schauen. Da gibt es viel zu verbessern. Eine solche freie Szene müsste besser gefördert sein, um stabile Arbeitsbedingungen zu schaffen und um nicht so viel Zeit in die Mittelakquise stecken zu müssen, sondern mehr Zeit für Inhalte zu ermöglichen. Zumindest was die freien Honorare von Künstler:innen angeht, stehen Mindesthonorare seit kurzem in NRW im Kulturgesetzbuch, an der Umsetzung wird gearbeitet. Wir haben aber auch eine Umfrage gemacht und festgestellt, dass es beim Personal bis in die Leitungspositionen riesige Unterschiede gibt, was die Bezahlung angeht. Da sollte es doch in irgendeiner Form eine Gleichberechtigung geben.

Alexander Scholz: Deshalb gibt es in unserem Papier diese Forderung nach Standards. Es bedarf einer Vergleichbarkeit und Transparenz. Die fängt da an, wo ich Leute nach ihrem Aufgabenprofil und ihrer Arbeitszeit bezahle und nicht danach, wie viel im Topf ist. Aber bestimmte Mechanismen haben sich da festgefahren. Deshalb hilft es vielleicht auch, dem ständigen Wachstumsimpuls in der Kultur nicht unhinterfragt zu folgen. Natürlich ist es schön, wenn eine Institution wächst, aber die, die darin arbeiten, müssen das mittragen. Mit dieser Dynamik sind wir in den letzten Jahren verstärkt konfrontiert, denn selbst wenn die Fördersummen gleich bleiben, haben sie in den vergangenen zwei Jahren an Wert verloren. Welche Konsequenz soll ich daraus ziehen? Ich muss mir Partner suchen, um Veranstaltungen noch umsetzen zu können. Denn in dem Moment, in dem ich glaube, etwas noch weiter allein machen zu können, muss ich den Arbeitenden weniger bezahlen. Da ist dann auch wichtig, dass man ein filmkulturelles, kooperatives Denken entwickelt im Gegensatz zum kommerziellen Wachstumsdenken. Was die Honorare betrifft, ist es erstmal gut, dass es dieses Gesetz für Künstler:innen gibt. Aber für Kulturarbeiter:innen muss eine solche Untergrenze auch gelten. Das steht überhaupt nicht in Konkurrenz zueinander, es ist nur symptomatisch, dass für Kulturarbeiter:innen diese Untergrenze noch nicht durchgesetzt wurde. Das ist unbedingt ein Ziel, das wir verfolgen, und das muss natürlich mit Transparenz einhergehen.

Filmkultur - hier ein Foto vom Filmfestival Münster - braucht eine solide, nachhaltige finanzielle Basis (© Thomas Mohn)
Filmkultur - hier ein Foto vom Filmfestival Münster - braucht eine solide, nachhaltige finanzielle Basis (© Thomas Mohn)

Ich habe in einer Pressemitteilung von euch gelesen, dass für 2023 im Filmetat rund 180.000 Euro fehlten, um den Status quo aufrechtzuerhalten. Ist das noch so?

Vera Schöpfer: Diese Lücke konnte das Ministerium für 2023 schließen. 2023 gibt es einen Filmkulturetat von 1.937.000 Euro. Dazu ist dieses Jahr noch der Etat für das Pilotprogramm Filmbildung und Kino gekommen. Das ist ein wichtiges Extra-Programm, das nur noch für nächstes Jahr gesichert ist. Es gibt dazu noch 50.000 Euro für die Substanzförderung und dann eben diese knapp 180.000 Euro, die noch zusätzlich für Projekte gebraucht wurden. Denn es ist so, dass der Filmkulturetat bereits vom Bedarf der großen Festivals, der Filmhäuser und -werkstätten aufgebraucht wird. In der Pressemitteilung ging es uns einerseits um die Sorge, dass diese zusätzlichen 180.000 Euro für Projektförderung aufgrund von angekündigten Kürzungen im gesamten Kulturhaushalt nächstes Jahr nicht mehr existieren werden. Das wäre fatal für die Filmkultur, denn unabhängig von diesen Summen haben wir im Sommer eine Umfrage bei unseren Mitglieder:innen durchgeführt, die ergab, dass eigentlich kurzfristig eine Steigerung der Mittel um dreißig Prozent nötig wäre, um den Status quo zu erhalten.

Alexander Scholz: Mir fällt es da fast schwer, von einem Status quo zu reden. Wenn ich mir ansehe, wie flexibel und kreativ Festivals und Filmhäuser in den letzten Jahren auf Veränderungen reagiert und dynamisch nach vorne gedrängt haben, dann reicht eine Status-quo-Sicherung nicht aus. Da gibt es so viel Mehrarbeit und Mehrleistung, und die kann nicht einfach so passieren. Eben sprach ich von der Niederschwelligkeit und Unmittelbarkeit von Film und ich möchte das jetzt gar nicht in so einen demokratiebildenden Kontext rücken, aber ich bin schon erstaunt, von welchen sozialen Räumen wir reden, wenn wir von Filmkultur reden. Wenn ich danebenhalte, dass die Renovierung des Schauspiels Köln bald bei 700 Millionen Euro angekommen ist, dann machen wir aus den Beträgen, die uns zur Verfügung stehen, wahnsinnig viel. Da zu kürzen, würde ästhetische und soziale Potenziale beschneiden.

In eurem Papier nennt ihr auch Anknüpfungspunkte für diese eben angesprochenen Entwicklungen, auf die die Filmkultur reagiert und die sie nach vorne gerichtet mit ihrer Arbeit verschränkt. Zum Beispiel geht es euch auch um Nachhaltigkeit. Was heißt es, nachhaltige Konzepte zu entwickeln in der Filmkultur? Wie sieht das aus?

Alexander Scholz: Da geht es einmal um das, was wir schon ein bisschen besprochen haben, also Ideen von Teilhabe und Diversität. Das andere ist eine ökologische Frage von Nachhaltigkeit. Da haben wir als Kulturinstitution schon die Möglichkeit, eine Rolle mit Signalwirkung einzunehmen. Wir wollen uns um diese Themen bemühen, aber wenn ich einen Katalog oder ein Programmheft nachhaltig drucken will, dann muss ich die Auflage senken, weil es teurer ist. Wenn ich sage, dass wir nur auf eine bestimmte Art und Weise reisen, dann wird es auch teurer. Wenn ich auf eine bestimmte Art und Weise verpflege, wenn ich bestimmte Hotels nutze, wenn ich eine bestimmte Energieversorgung im Kino in Anspruch nehme, dann wird das teurer. Das ist ein Konflikt, und sogenannte „Kosten“ bei diesem Thema sind generell schwer zu beziffern. Ich möchte eigentlich nicht in die Situation gebracht werden, in der ich nachhaltig denke und dann programmatische Kompromisse eingehen muss.

Vera Schöpfer: Der Klimawandel ist so schnell, dass ganz neue Fragen gestellt werden müssen. Das Filmhaus Köln ist ganz frisch renoviert. Es fehlt aber im Kino eine Klimaanlage. Die wurde beim Umbau noch nicht eingeplant, brauchen wir aber jetzt dringend. Wir haben also jemanden im Team, der sich damit beschäftigt, dass wir Solarpaneele aufs Dach kriegen, durch die wir dann Strom ziehen, um klimaneutral haushalten und eine Klimaanlage energieeffizient betreiben zu können. Das ist aber richtig Personalzeit, die allein in dieses Vorhaben fließt.

An anderer Stelle in eurem Papier fordert ihr einen Kurzschluss zwischen Filmkultur und Filmproduktion. Wir neigen in der Filmwelt seltsamerweise dazu, diese beiden Aspekte getrennt zu halten. Könnt ihr das ein bisschen ausführen?

Alexander Scholz: Vor kurzem hat die AG Filmfestival einen Vorschlag gemacht, die Auswertung von Filmen auf Festivals in eine Referenzförderung mit aufzunehmen. Das ist ein zählbarer Aspekt, der mitdenkt, dass viele Filme bei Festivals ihre größte Resonanz finden. Das ist ganz wichtig mitzudenken. Die Orte, an denen Filme reüssieren, sind die, wo über sie gesprochen wird, wo Austausch geschieht. Festivals sollten also stärker in die Lage versetzt werden, ihre Rolle als Ort, an dem Filme auch ausgewertet werden, wahrnehmen zu können. Das heißt zum Beispiel, dass wir weiter in der Lage sein wollen, angemessene Screening-Gebühren zu bezahlen. Aber von der anderen Seite gedacht, gibt es eben auch ein Auseinanderdriften der Bedürfnisse zwischen Wirtschafts- und Filmkulturförderung. In dem Spannungsfeld entstehen dann häufig Filme, die in unserem Kontext nicht die Resonanz auslösen, die wir uns von einer Filmvorführung versprechen. Zudem hat ein Modell, in dem Filme über eine klassische Kinoauswertung ihr Publikum erreichen, offensichtlich seine Grenzen.

Ich habe den Eindruck, wir müssen da überlegen, wie der kulturelle und kommerzielle Sektor weiter in Kontakt miteinander bleiben können oder wollen. Es gibt bei der Initiative Zukunft Deutscher Film auch die Idee, dass man das einfach trennt, also so, dass es eine kommerzielle und eine kulturelle Förderung gibt. Unabhängig davon, wie man dazu steht, ist das ein Symptom dafür, dass sich die Dinge auseinander bewegt haben. Ich denke, dass es wichtig ist, filmkulturelle Orte als Auswertungsorte mitzudenken und die Resonanz, die Filme an diesen Orten erfahren, vor allem auch als qualitativen Faktor zu begreifen, der weitere Projekte der Filmschaffenden ermöglicht. Ich habe in den vergangenen Jahren viel mit Filmemacher:innen zu tun gehabt, deren Filme sehr erfolgreich auf Festivals gelaufen waren und die beim Versuch, ein neues Projekt zu entwickeln, wieder bei null anfangen. Das ist keine Böswilligkeit, aber so ist dieses System gebaut. Dabei würden kommerzielle und filmkulturelle Interessen eigentlich zusammenhängen.

Inwiefern?

Alexander Scholz: Ich brauche in meiner Stadt ein lebendiges Kino, damit ich dort ein Festival machen kann. Das Kino aber steckt in völlig anderen Zwängen, für die Kinobetreiber ist es strukturell ein Kompromiss, Filmkultur zu ermöglichen. Die müssen ein Stück weit aus ihrer Logik ausbrechen, um das möglich zu machen, was unser Auftrag ist. Da entsteht ein Reibungsverhältnis, und das kann auf Dauer nicht mehr gut funktionieren. Die kommerzielle Krise des Kinoraums und das filmkulturelle Glühen von Festivals existieren noch gerade so parallel. Da wünsche ich mir für die Zukunft, dass Kinos, die Lust haben, diesen Kompromiss einzugehen, darin bestärkt und unterstützt werden. In unserem Netzwerk denke ich da zum Beispiel ganz konkret ans endstation.kino in Bochum. Die machen dort eine wahnsinnige Filmbildungs- und Filmkulturarbeit und sind am Ende doch von Popcorn abhängig.

Vera Schöpfer: Oder sie sind davon abhängig, einen aktuellen Film jeden Tag um 20 Uhr zu zeigen. Da entsteht eine Konkurrenz, die eigentlich nicht da sein sollte.

Alexander Scholz: Und das befruchtet sich auch nicht. Ich glaube, es herrscht ein Irrglaube vor, wenn man denkt, „Barbie“ ermöglicht die Filmkultur. „Barbie“ ermöglicht nicht die Filmkultur, Förderung ermöglicht die Filmkultur. Dieses Verhältnis muss also überdacht werden. Deshalb sprechen wir in unserem Papier von kulturellen Leinwänden, weil so Kino als sozialer Ort und nicht als Abspielort entworfen wird.

Wie sieht es mit der Förderung für Filmschaffende aus?

Vera Schöpfer: Im Vergleich zum Beispiel zu den Niederlanden oder zu Frankreich ist die Filmförderung in Deutschland nicht der Kultur zugeordnet. Das ist hier mit der starken Verschränkung mit den TV-Sendern anders gewachsen und entsprechend liegen die Prioritäten nicht unbedingt auf künstlerisch spannenden Experimenten oder neuen Formen.

Wir haben aber in NRW die Filmförderung für den unabhängigen Film. Da kann man auch senderunabhängig Geld bekommen, das ist ziemlich super. Aber auch dieser Etat ist unserer Meinung nach viel zu klein.

Alexander Scholz: Ich habe das Gefühl, dass man zum Beispiel noch mehr mit Menschen, die sich mit Dokumentarfilmen befassen, sprechen könnte, wenn es darum geht, wie eine Förderung aussehen könnte, und man würde schneller auf die Idee kommen, dass es einer Entwicklungsförderung bedarf. Eine Förderung, die nicht verlangt, auf einen Zettel zu schreiben, was man finden wird, sondern Offenheit ermöglicht. Diese Kategorien tragen dann vielleicht auch wieder zu kommerziellen Erfolgen bei. Es wäre sinnvoll, sich diese Expertise mit reinzuholen. Die Entwicklungsstipendien, die es in NRW seit ein paar Jahren gibt, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Daran gilt es anzuknüpfen.

Ich höre in euren Antworten immer den Ruf nach größeren Kontinuitäten, eben das Vermeiden dieses Bei-Null-Beginnens. Gleichzeitig macht ihr das jetzt in NRW. Um Filmgeschichte zu vermitteln, müssten diese Netzwerke und Kontinuitäten aber doch viel globaler gedacht werden, gerade auch im Sinne einer Diversität. Wie geht ihr damit um?

Vera Schöpfer: Ich bin in Fragen der Filmbildung in bundesweiten und auch in internationalen Netzwerken aktiv. Das sind superwichtige Ergänzungen meiner Arbeit. Das waren schon immer die Zusammenhänge, die mir neue Impulse gegeben und Möglichkeitsräume aufgezeigt haben. In so einem Netzwerk muss man einen Konsens haben, über was man redet. Das ist in NRW jetzt erstmal leicht zu fassen, heißt aber nicht, dass wir als einzelne Akteure unsere Fühler nicht auch woanders hin ausrichten. Ich weiß, dass es zum Beispiel in Baden-Württemberg auch Bestrebungen gibt, ein ähnliches Netzwerk einzurichten. Daran sieht man, dass auch für andere interessant ist, was wir in NRW machen.

Alexander Scholz: Man kann da schon unterscheiden zwischen einer informellen Vernetzungsarbeit, die man für die kuratorische Arbeit sowieso leistet, und einer Vernetzungsarbeit, die auch politische Adressaten hat. Da Kultur Ländersache ist, ist es sinnvoll, sich auch auf dieser Ebene zu organisieren. Das hat also pragmatische Gründe. Natürlich ist die Filmwoche auch bei der AG Filmfestival aktiv und auch international vernetzt.

Vera Schöpfer: Hier haben wir Gestaltungspotenzial. So ist der Föderalismus in Deutschland halt gestrickt.

Alexander Scholz: Trotzdem ist es wichtig, nicht in diesen Strukturen pappen zu bleiben. Zum Beispiel beschäftigt uns sehr, was da gerade mit SİNEMA TRANSTOPIA passiert, auch wenn das nicht der gleiche Fördertopf ist. Das SINEMA hat eine zukunftsweisende Idee von kulturellen Leinwänden und Kino: als Raum für künstlerische und soziale Intervention. Darin sind sie dem verwandt, was wir eingangs beschrieben haben. Mit dem SINEMA im Kontakt und solidarisch zu sein ist dann diese andere Art von Vernetzung, die parallel geschieht.

Kommentar verfassen

Kommentieren