© Capelight Pictures

Filmklassiker: „Gesprengte Ketten“

John Sturges' Drama um den Ausbruch aus einem Kriegsgefangenenlager erstrahlt als „Limited Collector’s Edition“ in neuem Glanz

Veröffentlicht am
11. November 2023
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Wenn es um raffinierte Gefängnisausbrüche im Kino geht, rangiert John Sturges’ „Gesprengte Ketten“ auch über 60 Jahre nach seinem Entstehen ganz oben. Nun erstrahlt er restauriert und als „Limited Collector’s Edition“ in neuem Glanz. Eine Gruppe alliierter Kriegsgefangener, besetzt mit Stars wie Steve McQueen, Richard Attenborough und Charles Bronson, plant eine unmögliche Flucht, die auch ein halbes Jahrhundert später einige Überraschungen bereithält.


Das berühmteste Bild aus „Gesprengte Ketten“ ist Steve McQueens waghalsiger Motorradsprung über einen Stacheldrahtzaun. Ein gehöriger Fauxpas, dass ausgerechnet diese Szene aus den letzten Minuten des Films Berühmtheit erlangte und das Ende verrät: Steve springt in Richtung Freiheit! Ein anderes Bild, das seltener gezeigt wird, ist der Moment danach. Denn es gibt noch einen zweiten Zaun. Direkt hinter dem ersten. Es gibt noch einen zweiten Sprung, ehe der Film zu Ende ist. Aber wird auch dieser gelingen? Schließlich handelt es sich um Steve McQueen in einem Film mit dem Titel „The Great Escape“ – er wird es schon schaffen! Oder …?


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Schelmenstreiche hinter Stacheldraht

Es ist das große Finale eines der ikonischsten Gefängnisausbruch-Filme aller Zeiten. Schauplatz des von John Sturges inszenierten Action-Dramas aus dem Jahr 1962 ist ein Kriegsgefangenenlager während des Zweiten Weltkriegs, in dem die Deutschen alliierte Soldaten interniert haben. Bereits mit ihren ersten Schritten im Lager testen die Neuankömmlinge ihre Grenzen aus. Überall wird ein wenig Erde weggetreten, um zu prüfen, wie gut man hier und dort einen Tunnel graben könnte. McQueen in seiner Rolle als „Cooler King“ Hilts schaut, wohin er seinen Baseball werfen könnte, ohne Alarm auszulösen. James Garner greift als Hendley „The Scrounger“ in ein Auto, um herauszufinden, wie aufmerksam die Wachen sind. Die Häftlinge sind ein Sammelsurium an alliierten Ausbruchskünstlern, die während des Zweiten Weltkriegs aus ganz Deutschland in dieses Lager geschickt wurden, um sie endgültig festzusetzen. Ein außergewöhnlicher Käfig für eine ungewöhnliche Truppe.

In der Truppe reift der Fluchtplan (© Capelight Pictures)
In der Truppe reift der Fluchtplan (© Capelight Pictures)

Die anfängliche Stimmung fühlt sich nicht wie der blutige Alltag eines Kriegsfilms an, sondern eher wie eine Klassenfahrt. Zur heiteren Ohrwurmmusik von Elmer Bernstein spielen sich kleine Szenen des Lagerlebens ab: Es wird darum gestritten, wer im Stockbett oben liegt, den Nazis werden augenzwinkernd freche Bemerkungen zugeworfen, und als nach fünf Minuten bereits der erste Fluchtversuch startet – und scheitert – gehen alle lächelnd auseinander und versuchen es morgen wieder. Sogar der Lagerleiter wirkt weniger wie ein knallharter Faschist als wie ein spießiger Schulleiter. Ob man nicht einfach etwas weniger keck sein könne und gemeinsam den Krieg aussitzen, fragt er den englischen Gruppenleiter Ramsey, doch dieser sagt: Nein, kann man nicht. „Es ist unsere Pflicht zu fliehen!“ Nur McQueens Hilts übertreibt es und muss nachsitzen … pardon: in den Bunker.

Diese Leichtigkeit wird lange nicht verschwinden, aber sie wird sich wandeln. Spätestens als der von Richard Attenborough gespielte Royal-Air-Force-Offizier Bartlett eintrifft und seinen großen Plan enthüllt: Wir werden fliehen. Alle. Und zwar wie Profis.


Das geschäftige Treiben der Ameisenfarm

Wie utopisch der Plan ist, 250 Leute aus einem Hochsicherheitslager zu befreien, wird klar, sobald man über die Logistik nachdenkt: Was ist der beste Ort, um Tunnel zu graben? Unauffällig muss es sein, leicht zugänglich und doch nah am Zaun. Doch wie stützt man das Erdreich ab und wohin kommt der Dreck? Wie schafft man es, dass der Baulärm nicht auffällt? Jede Antwort wirft drei neue Fragen auf, und Regisseur John Sturges hat merklich Spaß dabei, detailverliebt die unterschiedlichen Aspekte der Fluchtvorbereitung zu schildern. Er lässt seine Darsteller durch das Camp wuseln wie eine Ameisenkolonie, bei der jede Figur eine eigene, wichtige Aufgabe erfüllt. Die kreativen Lösungen, die sich die Gruppe dabei einfallen lassen muss, regen gleichermaßen zum Schmunzeln und zum Staunen an. Hier zeigt sich auch die Stärke der Besetzung, denn das Zusammenspiel des Ensembles – sowohl auf Seiten der Alliierten als auch der Nazis – verleiht dem minutiös geplanten Fluchtversuch eine mitreißende Kurzweiligkeit.

Ein Tunnel in die Freiheit wird gebuddelt (© Capelight Pictures)
Ein Tunnel in die Freiheit wird gebuddelt (© Capelight Pictures)

Sturges lässt dabei immer wieder Risse in der anfänglichen Unbekümmertheit entstehen. Kleine und große Tragödien erinnern das Publikum daran, dass hier Menschenleben auf dem Spiel stehen. Der Film wird zu einem Drahtseilakt, in dem unbeschwerte Momente zu großen Rückschlägen werden können. Der Höhepunkt dieser Zitterpartie ist der große Fluchtversuch selbst, bei dem alles schiefzugehen scheint: Der Tunnel ist zu kurz. Einer der Flüchtenden leidet unter Platzangst. Ein anderer verliert sein Augenlicht. Bombenalarm. Doch am Ende gelingt die Flucht natürlich, und der Film könnte hier zu Ende sein. Aber in Wirklichkeit fängt er gerade erst an.


Die bleierne Schwere des Sekundenzeigers

Es wäre einfach gewesen, in einer kurzen Szene nach der Flucht den Darstellern einen schönen Abschied zu gönnen. Eine kleine Umarmung und eine kurze Texttafel hätten die mutigen Ausbrecher in die Freiheit entlassen können. Doch Sturges macht es weder seinen Figuren noch seinem Publikum einfach und zeigt eindrucksvoll, wie aus einem guten Film ein großartiger wird. Der Fluchtversuch aus dem Lager musste wie ein gut geöltes Uhrwerk funktionieren, doch jenseits des Stacheldrahts beginnen die Zahnräder zu knirschen. Ein Haufen der Geflüchteten trifft sich unfreiwillig am nahegelegenen Bahnhof, weil eine Gruppe ihren Zug verpasst hat. Jede Minute bringt die Verfolger näher, und dennoch bleibt nichts anderes übrig, als zu warten und mit gespieltem Desinteresse auf die Uhr zu schauen. Andere Routen scheinen erfolgreicher zu sein, hier mit einem Fahrrad, dort mit einem Flugzeug, aber auch dort könnte jede Sekunde der winzigste Fehltritt alles ruinieren.

Wer kann den deutschen Schergen entkommen? (© Capelight Pictures)
Wer kann den deutschen Schergen entkommen? (© Capelight Pictures)

Die Illusion des leichtherzigen Abenteuers wird Stück für Stück demontiert, bis die ersten Handschellen klicken und sogar Schüsse fallen. Die Frage ist nicht mehr: Werden unsere Helden es schaffen? Sondern: Schafft es zumindest einer? Nur ein einziger? Sturges setzt die Laufzeit seines Films als Waffe ein, denn wann immer einer Figur die Flucht aus einer brenzligen Situation gelingt, fleht man, dass es ihre letzte Szene war, denn nur, wenn sie bis zum Ende des Films nicht mehr auftaucht, ist sie wirklich in Sicherheit. Und damit sind wir wieder bei Steve McQueen. Bei seinem zweiten Sprung, beim großen Anlauf. Zumindest er muss es doch schaffen, ohne erschossen oder gefangen genommen zu werden. Wir kennen doch das Bild: Steve springt in die Freiheit! Oder etwa nicht?


Der große Sprung

Am Ende des Films kommen wieder Häftlinge an, aber es sind deutlich weniger als zu Beginn. Die Zahlen liegen auf dem Tisch. Wer es geschafft hat, wer gefangen wurde, wer gestorben ist. Erneut stehen sich der deutsche Lagerleiter und der britische Gruppenleiter gegenüber, und die Frage, die gestellt wird, lautet: „Was it worth it?“ Die Antwort: „Depends on your point of view.“ Dieser prägnante Wortwechsel unterstreicht: In „Gesprengte Ketten“ geht es nicht nur um einen auf einem Tatsachenbericht beruhenden unglaublichen Fluchtversuch, sondern auch um die Idee des Widerstands. Für sich zu entscheiden, ob die Ideale der Flucht und der hartnäckige Kampf gegen das Regime die verlorenen Leben wert waren, ist für die Figuren im Film und auch für das Publikum eine Herausforderung, die größer ist, als es ein Sprung über Stacheldraht je sein könnte. Die Frage, ob sich der Fluchtversuch gelohnt hat, mag keine klare Antwort bekommen, aber die Frage, ob man sich „Gesprengte Ketten“ auch 60 Jahre nach seinem Debüt ansehen sollte, um den leichtfüßigen Anfang, den spannenden Mittelteil und das zermürbende Ende selbst zu erleben, kann man ganz klar beantworten: Unbedingt!



Hinweis

Die Limited Collector’s Edition von „Gesprengte Ketten“ bietet ein schön restauriertes Bild. Das Mediabook beinhaltet zudem ein interessantes Filmessay von Lucas Barwenczik, ein ausführliches Making-of und jede Menge Extras über die realen Hintergründe der Flucht. Eine gelungene Neuveröffentlichung, um diesen Klassiker mit all seinen Facetten zu entdecken.

Anbieter: Capelight. Bezug: In jede Buchhandlung oder hier.


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