© Julian Krubasik / Port au Prince Pictures

Der Sehnsucht folgen - Interview mit Aylin Tezel

Ein Interview mit Aylin Tezel über ihr Langfilm-Regiedebüt „Falling Into Place“

Veröffentlicht am
09. Januar 2024
Diskussion

Als „Tatort“-Kommissarin wurde die 1983 geborene Schauspielerin Aylin Tezel einem breiten Publikum bekannt, mit „Falling Into Place“ legt sie nun ihr Langfilm-Regiedebüt vor. Im Interview spricht sie unter anderem darüber, was sie hinter die Kamera gezogen hat und wieso es als Drehort für ihren Film ausgerechnet die schottische Isle of Skye sein musste.


Ich würde gern, bevor wir zu Ihrem neuen Film kommen, noch über „Der Russe ist einer, der Birken liebt“ sprechen. Die Regisseurin Pola Beck hat Sie in den höchsten Tönen gelobt…

Aylin Tezel: Pola Beck ist ein ganz wichtiger Mensch in meiner beruflichen Laufbahn. Mit ihr habe ich bereits vor 12 Jahren „Am Himmel der Tag gedreht. Das war ihr Abschlussfilm an der Filmhochschule, und für mich die erste tragende Hauptrolle. Zehn Jahre später mit Pola wieder in einem Kinofilm zusammen arbeiten zu dürfen, war etwas ganz Besonderes. Die Mascha ist eine spannende Figur. Für die Rolle musste ich mehrere Sprachen lernen, natürlich nur meine Texte, also das, was im Film gefordert war, aber Texte auf russisch, arabisch, hebräisch und französisch – das war eine große Herausforderung.


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Eine Kollegin hat geschrieben, dass Sie sich wie ein Kamikaze in die Rolle gestürzt hätten. Sie können so sehr aus sich herausgehen, Sie können schroff sein, böse, dann wieder das genaue Gegenteil. Wie bekommen Sie das hin?

Tezel: Ich bin natürlich immer abhängig von einem guten Drehbuch. Damit steht und fällt eine ganze Geschichte. Dann ist es interessant, was die Regie aus einem Drehbuch macht, was für eine Fantasie sie hat, welche Botschaft sie hat. Der Bogen einer Rolle ist im Drehbuch angelegt, ebenso die Dialoge. Beim „Russen“, aber auch schon bei „Am Himmel der Tag“ hatten wir mit Burkhardt Wunderlich einen sehr einfühlsamen Drehbuchautor. Und wir hatten als unser Fundament die Romanvorlage von Olga Grjasnowa, die natürlich noch reichhaltiger ist als ein Film sein kann, weil man für einen Film den Inhalt allein schon aus zeitlichen Gründen reduzieren muss. Natürlich ist es hilfreich, wenn man als Hauptdarstellerin dieselbe Vision wie die Regisseurin hat. Da haben Pola und ich die gleiche Sprache gesprochen. Das schafft ein großes Vertrauen, wenn man das Gefühl hat, dass man den gleichen Film kreiert. Ich habe diese Rolle sehr genau vorbereitet und mit verschiedenen Sprachlehrern und -lehrerinnen an den verschiedenen Sprachen gearbeitet. Mascha ist eine Figur, die ein großes Trauma mit sich trägt oder viele kleine Traumata, eine sehr komplexe Rolle. Dann gibt man sich für den Drehzeitraum so einer Rolle hin, ist am Ende natürlich froh, wenn ein schöner Film dabei herauskommt.

Herausfordernde Rolle: tezel als Mascha in "Der Russe ist einer, der Birken liebt" (© Port au Prince Pictures / Juan Sarmiento G)
Herausfordernde Rolle: Aylin Tezel als Mascha in "Der Russe ist einer, der Birken liebt" (© Port au Prince Pictures / Juan Sarmiento G)

Sie haben lange Jahre die „Tatort“-Kommissarin Nora Dalay aus Dortmund gespielt. Was ist daran so reizvoll, wenn man eine Rolle über einen so langen Zeitraum begleitet?

Tezel: Das Schöne ist, wie Sie schon sagen, dass man viele Jahre mit einer Figur verbringt. Das habe ich so wie mit Nora Dalay noch nicht erlebt. Das ist spannend, weil man dieser Rolle beim Wachsen zusehen darf. Die junge Frau, die sie im ersten Dortmunder „Tatort“ war, ist sie bei ihrem Ausstieg nicht mehr. Man sieht eine Entwicklung: Da ist jemand ein Stück weit erwachsener geworden. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht, Nora ein Gesicht für diese vielen Jahre geben zu dürfen. Hinzu kommt, dass ich ein wundervolles Team hatte. Meine Kollegen und Kolleginnen, Jörg Hartmann, Anna Schudt, Stefan Konarske, Rick Okon, sind nicht nur fantastische Schauspieler:innen, – das sind auch tolle Kolleg:innen. Es war eine schöne Zeit, und ich bin dem WDR nach wie vor sehr dankbar, dass mir damals diese große Ehre zuteil und diese Rolle anvertraut wurde. Ich hatte ja gerade erst angefangen als Schauspielerin zu arbeiten. „Almanya“ lief im Wettbewerb der Berlinale, und dann kam direkt das „Tatort“-Angebot. Es freut mich umso mehr, dass jetzt für meinen neuen Film beim WDR mit Frank Tönsmann als Redakteur die Arbeit weitergeht. Mit dem „Tatort“ war ich nach sieben Jahren an ein Ende gekommen. Ich wollte dann Platz machen für andere Rollen, und auch für mein Regiedebüt.

Woher kam dieser Wunsch, hinter die Kamera zu wechseln?

Tezel: Ich hatte mich bereits in Form von Kurzfilmen mit Drehbuchschreiben und Regie beschäftigt. Vor vielen Jahren habe ich mit einem Tanzkurzfilm angefangen, das ging in eine eher experimentelle Richtung, ein fiktionaler Stoff, wo ich mit Tanz als Ausdrucksmittel gearbeitet habe. Der lief auf arte. Dann habe ich einen weiteren Kurzfilm gemacht, „Phoenix“, mit einem englischsprachigen Cast, der lief kurz vor der Pandemie beim Max-Ophüls-Festival. Das Schauspiel ist für mich ein wunderbares Mittel, um Geschichten zu erzählen. Es gab aber auch immer eine Sehnsucht, selbst etwas zu kreieren. Mit „Falling Into Place“ bin ich dieser Sehnsucht nun gefolgt.

Louis Bürk
Louis Bürk


Sie haben auch das Drehbuch geschrieben. Wie kam es dann zu dieser Idee für den Film?

Tezel: Das war gar nicht so geplant. Diese Geschichte kam einfach zu mir und durch mich hindurch. Es gab die Idee dieser beiden Figuren, Kira und Ian. Ich wusste, dass sie sich begegnen, dass sie 36 Stunden miteinander verbringen und dann auseinandergehen und wir sie in ihren jeweiligen Leben begleiten werden. Ich wusste auch, dass sie in derselben Stadt leben, aber das nicht voneinander wissen. Das war die Ausgangslage. Ich habe dann am Drehbuch geschrieben und wusste nie, was passiert. Das war ein Flow-Moment. Vier Wochen lang habe ich mir in Edinburgh in Schottland alle zwei Tage mein Bed & Breakfast verlängert und habe dort in Cafés gesessen und diese Geschichte geschrieben. Jeden Abend, wenn ich nach Hause kam und mich fragte, ob ich einen Film gucken soll, habe ich mich entschieden, meinen eigenen Film zu gucken und vor dem Schlafen noch eine Szene geschrieben. Ich wollte einfach immer wissen, wie es weitergeht.

Jetzt müssen wir natürlich über die Isle of Skye reden, weil ich die Insel auch gut kenne und zwei Mal dort war…

Tezel: (unterbricht) Ach, wie schön. Sie sind ja der perfekte Zuschauer für meinen Film.

Warum die Isle of Skye? Das ist ja eine sehr schöne Landschaft mit sanften Bergen, das Meer ist nie sehr weit entfernt. Das hat etwas sehr Schönes, aber auch etwas sehr Melancholisches.

Tezel: Das hat etwas unglaublich Melancholisches. Als ich das Drehbuch schrieb, kannte ich mich in Schottland überhaupt nicht aus. Ich habe ins Drehbuch „Scottish Coastal Town“ geschrieben und wusste noch nicht, wo dieser Ort sein könnte. Dann bin ich mit einer Freundin zehn Tage lang durch Schottland gefahren. Wir haben uns an der Westküste verschiedene Inseln angeguckt, bis hoch in die Highlands, und sind dann über Inverness in den Osten gefahren. Ich wollte einen Überblick bekommen, was es überhaupt gibt. Wo ist mein Ort, wo die Geschichte beginnt? Als wir auf der Isle of Skye waren, fühlte es sich einfach magisch an. Das Licht war unglaublich. Wir hatten jeden Abend wunderschöne Sonnenuntergänge. Ein lila Himmel. Die Landschaft in den Highlands ist sehr dramatisch. Man hat die Berge, man hat das Meer, man hat diese Weite. Das Besondere, was ich für meinen Film wichtig fand, fühlte ich in dem Moment, als ich auf der Isle of Skye stand und genau diese Melancholie fand. Beide Hauptfiguren sollten eine tiefe Melancholie und Einsamkeit in sich tragen und sich in dieser Verletzlichkeit auch begegnen können. Für mich war die Isle of Skye wie ein Spiegel des Innenlebens dieser zwei Menschen, ihrer Isolation und ihrer Traurigkeit, dann auch noch im Winter, dieser Nebel. Das hat für mich den Ton des Films gesetzt. Und dann habe ich meine deutschen Produzent:innen überzeugt, dass es nur die Isle of Skye sein kann und kein anderer Ort und dass wir dort hinmüssen. Das haben sie dann möglich gemacht.

Die Isle of Skye als Seelenlandschaft in "Falling Into Place" (© Julian Krubasik/Port au Prince Pictures)
Die Isle of Skye als Seelenlandschaft in "Falling Into Place" (© Julian Krubasik/Port au Prince Pictures)

Wie ist es, sich selbst zu inszenieren, wenn man gleichzeitig Hauptdarstellerin ist und Regisseurin? Da ist ja niemand, der einem sagt, wie man es machen soll.

Tezel: Das Gute war, dass ich diese Figur sehr präzise vorbereiten konnte. Ich habe Jahre mit ihr verbracht, von dem Moment des Drehbuchschreibens über die Jahre der Finanzierung (mit Pandemie dazwischen, die man abwarten musste) bis zu dem Moment, an dem wir gedreht haben. Ich habe das Drehbuch auch immer wieder überarbeitet. Die Vorbereitung der Rolle war im Unterbewusstsein bereits geschehen. Ich war mir mit dieser Rolle sehr sicher. Trotzdem ist es in den Momenten, in denen man selbst in der Szene ist und sich dieser Rolle hingibt, mit einer gewissen Anstrengung und hohen Konzentration verbunden, gleichzeitig alles andere, was um einen herum passiert, wahrzunehmen. Man muss als Schauspielerin dafür sorgen, dass man alles komplett ausblendet. Als Regisseurin muss man dafür sorgen, dass man jeden wahrnimmt und genau spürt, was gerade gebraucht wird. Das war sehr besonders. Es war nicht unnatürlich. Es gab auch ganz viele intuitive Antennen, die die ganze Zeit ausgefahren waren und auf die ich mich verlassen konnte. Trotzdem war es eine große Anstrengung – ich hatte einfach keine Pause. Normalerweise hat man diese Momente am Set, wo gerade das Licht umgebaut wird und man sich als Schauspielerin in die Ecke setzen und verschnaufen kann. Doch in meiner Doppelfunktion hatte ich keine Pause.

Ihr Film wird angekündigt als „präzises Portrait der heute 30-Jährigen“. Ich selbst habe das gar nicht so empfunden. Es geht doch darum, allgemein der Liebe nachzuspüren.

Tezel: Das sehe ich auch so. Ich persönlich würde den Film gar nicht auf die Generation der heute 30-Jährigen reduzieren. Natürlich sind die beiden Hauptfiguren in diesem Alter, natürlich gibt es Thematiken in dieser Generation wie Dating-Apps oder offene Beziehungen, was in der Generation über mir noch nicht so ein Thema war. Wenn wir aber über die Kraft des Liebens reden, über den Schmerz des Loslassens, das Finden seiner selbst – das sind für mich Themen, die generationsübergreifend und menschlich sind, die nicht von einem bestimmten Alter abhängen. Ich habe auch mit Zuschauer:innen ab 50 Jahren gesprochen, die sich von dem Film angesprochen fühlten und darin wiedergefunden haben.

Zeitlose Liebesgeschichte (© Julian Krubasik/Port au Prince Pictures)
Zeitlose Liebesgeschichte (© Julian Krubasik/Port au Prince Pictures)

Was ich sehr spannend finde, ist, dass beide Hauptfiguren erst ihr Leben in den Griff kriegen müssen, bevor sie sich wieder begegnen können. Fast so, als hätten sie sich zum falschen Zeitpunkt kennen gelernt.

Tezel: Es gibt einen sehr schönen Moment im Film, wo Ian sagt, dass sein Timing nicht so gut sei. Von außen schaut man diesen beiden Menschen zu, wie sie sich begegnen und dann aneinander vorbeilaufen, in der Hoffnung, dass sie sich wieder begegnen. Ich empfinde das so, als gäbe es eine Kraft über dem Ganzen, die sagt: „Ihr seid noch nicht so weit.“ Darin steckt ganz viel Vertrauen, dass das Leben den richtigen Weg für einen parat hat, selbst wenn sich dieser Weg auch zwischendurch unangenehm anfühlt.

Wo Sie gerade jene „Kraft“ ansprechen: Es geht ja auch um Schicksal, um Zufall. Die Galeristin Judy sagt diesen wundervollen Satz: „Wurde Zeit, dass du kommst.“

Tezel: Es ist dann die Frage, ob man es Zufall nennt oder Schicksal. Das ist für jeden Menschen unterschiedlich. Ich weiß, dass Judy nicht unbedingt an Zufälle glaubt.

Tolle Schauspielerin übrigens mit ihren langen weißen Haaren …

Tezel: Eine wunderbare Schauspielerin. Sie heißt Olwen Fouéré. Sie ist Irin, sie ist ein Theaterstar, eine große Filmschauspielerin und eine große Künstlerin. Eine unglaublich besondere Frau. Ich kann Ihnen eine kleine, magische Geschichte erzählen. Ich habe Olwen vor vielen, vielen Jahren kurz kennen gelernt, nachdem ich sie in einer Theaterproduktion gesehen hatte. Ich habe dann in der Zeit, nachdem ich „Falling Into Place“ und diese Figur mit den langen, weißen Haaren geschrieben hatte, von Olwen geträumt. Ich habe geträumt, dass ich ihr begegne und sie frage, ob sie in meinem Film mitspielt. Dann nahm sie mich in den Arm und sagte: „Of course!“ Zwei Tage später gehe ich in London durch die Stadt und sehe auf der anderen Seite des Bürgersteigs Olwen Fouéré. Ich bin dann zu ihr rübergerannt: „Olwen, ich habe ein Drehbuch geschrieben, und darin gibt es eine Rolle, und ich würde dir gern dieses Drehbuch schicken.“ Sie hat es dann gelesen und noch am selben Tag zugesagt.

Ich würde gern mit Ihnen noch über eine Szene sprechen. Sehr gefallen hat mir Ihre Liebeserklärung an Aidan, obwohl die Beziehung eigentlich vorbei ist und Ihnen auch die Tränen kommen. Wie haben Sie das hinbekommen?

Tezel: Das war eine der Szenen, vor der ich sehr nervös war. Ich wusste, dass es für die Figur der Kira eine Schlüsselszene ist. An dem Drehtag habe ich zu meinem Team gesagt, dass ich mich ausnahmsweise vor der Szene zurückziehen muss. Ich wollte dann in die Szene kommen, wenn der Raum vorbereitet ist und wir so weit sind. Das ist ein Luxus, den man als Schauspielerin hat, aber nicht als Regisseurin. Ich bin dann in die Szene gegangen mit Rory Fleck Byrne, dem Darsteller des Aidan, und wir haben mehrere Takes gemacht, in denen wir einfach immer wieder aufeinander reagiert haben, teilweise am Drehbuchtext drangeblieben sind, uns teilweise aber auch Raum zu Improvisation gelassen haben. Ich mag diese Szene auch sehr gerne, und obwohl ich den Film in und auswendig kenne, treibt sie mir immer noch die Tränen in die Augen.

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