© Schweizerisches Nationalmuseum (Plakat zur Ausstellung „Close-up. Eine Schweizer Filmgeschichte“)

Voll das Leben

Eine Vorschau auf die kommenden Ausstellungen in Filmmuseen und Filmarchiven

Veröffentlicht am
19. März 2024
Diskussion

Die ältere und jüngste Filmgeschichte des deutschen Kinos, das kinematographische Universum des Hollywoodrepräsentanten James Cameron, die Welt des Tim Burton, ein Rückblick auf das New American Cinema und eine Würdigung der 100-jährigen Geschichte der Schweizer Produktionsfirma Praesens-Film: Die 2024 geplanten Ausstellungen rund um Film, Filmgeschichte und Kino versprechen einen facettenreichen Jahrgang. Eine Auswahl interessanter Ausstellungen für Cineasten in den kommenden Monaten.


Das Deutsche Filmmuseum in Frankfurt ist seit Jahrzehnten eine der ersten Adressen für filmhistorische wie populäre Präsentationen. Am 19. Juni wird unter dem Titel „Neue Stimmen eine Sonderausstellung über die vielfältige deutsche Filmproduktion ab 2000 eröffnet. Bis 23. Februar 2025 ermöglichen fünf Themeninseln neue Blicke auf das deutsche Kino der vergangenen zwanzig Jahre. Es geht dabei um Fragen, was Film in Deutschland heute ausmacht, welche Stoffe er ins Licht der Öffentlichkeit rückt und welche Akteur:innen im und mit Film sprechen.

Welche Aussagen liefert das Medium in der digitalen Ära und (post-)migrantischen Gesellschaft über Identität, Kultur und Leben? Wie stellen sich Produktionsstandort, Verleihstrukturen, Filmförderung und Publikumszuspruch dar? Vielleicht erfährt man auch etwas vom Stellenwert (europäischer) Koproduktionen, von der Kooperation mit öffentlich-rechtlichen wie kommerziellen Fernsehanstalten. Ausgewählte künstlerische Werke und Filmschaffende werden anhand von Exponaten des Deutschen Filminstituts und Filmmuseums (DFF) sowie Objekten von Regisseur(inn)en (etwa zu „The Ordinaries“ oder „Schau mich nicht so an“) vorgestellt.

„Systemsprenger“ und andere deutsche Werke seit 2000 werden in Frankfurt gewürdigt (© Port-au-Prince)
„Systemsprenger“ und andere deutsche Filme seit 2000 werden in Frankfurt gewürdigt (© Port-au-Prince)


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So zeigt sich wie von selbst eine lohnende Querverbindung zu der noch bis 18. August 2024 zugänglichen Ausstellung DER DEUTSCHE FILM - 1895 bis Heute in der saarländischen Völklinger Hütte: Schauplatz für die über 125-jährige Geschichte der deutschen Kinematographie. Diese in Kooperation mit der Deutschen Kinemathek in Berlin entstandene sehenswerte Schau zelebriert die Magie des Kinos in einem adäquaten Ambiente. Der in zehn Kapitel gegliederte Überblick reicht vom Wintergartenprogramm der Skladanowsky-Brüder über den expressionistischen Stummfilm, das innovative Kino der Weimarer Republik und die NS-Ära, von den Nachkriegswehen in West und Ost bis zur Entwicklung nach der Wiedervereinigung in die Gegenwart. Es ist weniger ein chronologisches Panorama nationaler Kultur-, Zeit- und Industriegeschichte, als vielmehr eine Reflexion über Parallelitäten und Ungleichzeitigkeiten sowie die revolutionäre Kraft des Mediums Film.


Berlin-Filme & eine begehbare Dresen-Collage

Die Deutsche Kinemathek in Berlin widmet dem vielfach ausgezeichneten Dokumentaristen Thomas Schadt unter dem Motto „Fokus Fernsehen Thomas Schadt noch bis zum 5. Mai eine spannende Realitätsschau aus Vergangenheit und Gegenwart, versammelt in mehr als 50 Filmen von 1982 bis 2019. Das sind Zeitzeugnisse von der Veränderung politischer, gesellschaftlicher und zwischenmenschlicher Verhältnisse und Gefühle. – Ergänzend dazu präsentiert die Kinemathek die Medieninstallation „Berlin Sinfonien mit den Berlin-Filmen von Walther Ruttmann (1927), Thomas Schadt (2002) und Johannes Schaff (2018) – eine Zeitreise durch ein Jahrhundert Stadtgeschichte und ein Schlaglicht auf die Faszination des Mythos Berlin.

Bis Jahresende ehrt das Filmmuseum Potsdam den Spiel- und Dokumentarfilm-Regisseur Andreas Dresen mit dem von Ugla Gräf kuratierten Porträt „Voll das Leben!“. In Form einer begehbaren Collage und anhand von zehn Schlüsselfilmen werden die diversen Arbeitsschritte zwischen Drehbuch und Dreharbeiten, Teamarbeit und Kreativität der Produktionen beleuchtet.

In Potsdam: „Voll das Leben!“ über Andreas Dresens Filme (© Filmmuseum Potsdam/Michael Lueder)
In Potsdam: „Voll das Leben!“ über Andreas Dresens Filme (© Filmmuseum Potsdam/Michael Lueder)

Schweizer Filmgeschichte in Zürich

Das Landesmuseum Zürich porträtiert bis zum 21. April mit der vorzüglichen Schau „Close-up. Eine Schweizer Filmgeschichte“ das wechselhafte Auf und Ab der ältesten noch aktiven Filmgesellschaft der Schweiz, der Praesens-Film. Der aus Russisch-Polen stammende Lazar Wechsler gründete 1924 die Produktionsfirma und sorgte nach Erfolgen mit Reklamefilmen durch Sergej Eisensteins medizinische Doku „Frauennot – Frauenglück“ (1930) für erstes Aufsehen in der Branche. Die große Zeit der Spielfilmproduktion startete mit dem als Propagandawerk eingestuften „Füsilier Wipf“ (1938), geschrieben von Richard Schweizer und inszeniert von Leopold Lindtberg. Nach dessen riesigem Publikumszuspruch bescherten „Gilberte de Courgenay“ (1941), „Marie-Louise“ (1944) und insbesondere das Flüchtlingsdrama „Die letzte Chance“ (1945) Wechsler internationales Renommee.

Nach erheblichen finanziellen Problemen sorgte 1952 Luigi Comencinis schwarz-weiße Heimatidylle „Heidi“ für eine Verschnaufpause. Die Suche nach einer neuen Identität der Praesens-Film führte auch über die Dürrenmatt-Adaption „Es geschah am hellichten Tag“ (1958). In den 1960er-Jahren schritt der Niedergang voran, die Brüder Hellstern übernahmen die konkursreife Gesellschaft. Heute existieren noch Verleih und Koproduktion. Der Fokus der von Rahel Grunder und Aaron Estermann kuratierten, von der Cinémathèque suisse unterstützten Ausstellung liegt auf Schauspielern, Filmgewerken, Zeitgeschichte, Politik und Gesellschaft. So entsteht ein gelungener Überblick zum Spielfilm während der Kriegsjahre in der „neutralen“ Schweiz, orientiert am Geist der Landesverteidigung, Humanität und der Heimattradition in der Nachkriegszeit.


Die Kunst von James Cameron

Die Cinémathèque française in Paris ehrt vom 3. April bis 5. Januar 2025 den Hollywoodregisseur, Produzenten und Drehbuchautor James Cameron, Schöpfer international erfolgreicher Filme wie „Titanic“, „Terminator“, „Avatar“ und „Aliens“. Unter dem Titel „Die Kunst von James Cameron“ versprechen die Kuratoren Kim Butts und Matthieu Orléan eine konzise, dem kanadischen Filmemacher angemessene Hommage. Leben und Werk sollen gleichberechtigt im Zentrum der Konzeption stehen. Mehr als 300 Exponate – auch aus der Privatsammlung des Künstlers – sollen einen ganzheitlichen Blick auf das sechs Jahrzehnte umspannende Oeuvre ermöglichen.

Plakat zur James-Cameron-Ausstellung in Paris (© Cinémathèque française)
Plakat zur James-Cameron-Ausstellung in Paris (© Cinémathèque française)

Camerons Kreativität ist bereits in den Zeichnungen und Malereien aus der Jugend erkennbar und mündete konsequent in die entsprechende filmische Umsetzung. „Aufgewachsen in einer kanadischen Kleinstadt, habe ich ununterbrochen gezeichnet. Comics, Science-Fiction-Bücher und Filme, voller Gier verschlungen, inspirierten mich. Ich werde immer mehr als Illustrator denn als Künstler betrachtet. Ich nutzte meine Zeichnungen und Malereien zum Erzählen von Geschichten. Und das war ein perfektes Training, bevor ich Ende 20 zum Film wechselte“, erklärt Cameron.


Die Welten von Tim Burton und Chantal Akerman

Im Turiner Museo Nazionale del Cinema kann sich der Besucher noch bis zum 7. April in das skurrile Universum des amerikanischen Multitalents Tim Burton vertiefen. Die von Jenny He in Kooperation mit dem Künstler verantwortete Schau „The World of Tim Burton“ greift auf dessen persönliches Archiv und mehr als 500 selten gezeigte Dokumente, Zeichnungen und visuelle Motive zurück. Diese Objekte integrieren sich durch ihre choreographische Gestaltung ideal in das Museumsambiente der Mole Antonelliana. Wie in einer autobiographischen Erzählung führen neun Kapitel und thematische Nischen die kreativen Ideen und den kinematographischen Herstellungsprozess vor Augen. Tim Burtons ausufernde Imaginationskraft sprengt konventionelle Form-Inhalt-Konzepte, beschert dem kleinen und großen Publikum ein Spektakel für alle Sinne, einen Ort der Schaulust.

Her Voice. Echoes of Chantal Akerman heißt die noch bis 10. März der belgischen Filmemacherin gewidmete Schau im Fotomuseum (FOMU) Antwerpen. Sieben zeitgenössische Künstlerinnen erinnern in photographischen und Video-Arbeiten an die Inspiration der 2015 Verstorbenen, die sich mit aufsehenerregenden Filmen wie „Jeanne Dielman, 23, quai du Commerce, 1080 Bruxelles“ (1975) einen Platz im Kanon der Filmgeschichte sicherte. „Ich habe keinen Kompromiss zwischen mir selbst und anderen gesucht. Ich dachte, je individueller ich bin, desto mehr repräsentiere ich das Allgemeine“, formulierte Chantal Akerman einmal. Ihre stilbildenden, vom soziopolitischen Feminismus der 1970er-Jahre geprägten Reflexionen finden sich in ihrer sensitiven Ader, in der Beschreibung familiärer Strukturen (im Verhältnis zur Mutter) und der Unterdrückung der Frau. Die Hommage versteht Akermans Werk mit seinen radikalen Ideen und seiner feministischen Kritik als Leuchtturm, der bis in Gegenwart strahlt.

„The World of Tim Burton“ wird in Turin gezeigt (© Museo Nazionale del Cinema)
„The World of Tim Burton“ wird in Turin gezeigt (© Museo Nazionale del Cinema)

Serra-Installation und New American Cinema

Das Eye Filmmuseum in Amsterdam überlässt dem katalanischen Film-, Video- und Theaterregisseur Albert Serra vom 7. Juni bis zum 29. September seine gesamte Ausstellungsfläche für eine riesige Installation. Die jüngste Arbeit des Künstlers basiert auf der 2018 für die Berliner Volksbühne eingerichteten, von der Kritik sehr negativ aufgenommenen Theaterinszenierung „Liberté“ und seinem gleichnamigen Historienfilm. Eine Gruppe dekadenter adeliger Libertins feiert kurz vor der Französischen Revolution sexuelle Ausschweifungen jenseits aller Konventionen.

Vom 11. Oktober 2024 bis 5. Januar 2025 wirft das niederländische Filmmuseum dann einen Blick auf das New American Cinema, das amerikanische Avantgardekino der 1960er-Jahre. Im Zentrum steht dabei die These, dass Filmemacher und Künstler wie Stan Brakhage, Bruce Conner, Marie Meken, Shirley Clarke, Yoko Ono und Andy Warhol das Medium Film nicht mehr nur für Spielfilme, sondern als Experimentierfeld für die Grenzverschiebung von Film und Kunst interpretierten und einsetzten.

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