© Warner Bros.

Fifty Shades of Pink: Was „Barbie“ über die Emanzipation verrät

„Barbie“, der „Female Gaze“ und die kulturelle Erschöpfung. Was der Erfolg des Blockbusters von Greta Gerwig über den Stand der Emanzipation verrät

Veröffentlicht am
23. Februar 2024
Diskussion

„Barbie“ ist kein feministischer Film und erst recht keiner über den Feminismus. Er ist eher ein Symptom einer allgemeinen geistigen Ermüdung, die alle Begriffe ironisch aus dem Zusammenhang löst und Kitsch, Analyse und Regression fröhlich durcheinanderwirbelt. Angesichts einer neuen „filmischen Metasprache“ täte aber etwas anderes dringend Not.


In Rezensionen über den Film „Barbie“ ist über das pinkfarbene Phänomen schon viel geschrieben worden. Dennoch sind eine Unruhe und eine Ambivalenz geblieben. Denn auch wenn man die gigantische Werbekampagne von Mattel mitberücksichtigt, bleibt die Frage, ob es allein diese geballte Power eines Industrieunternehmens war, die Menschen, vor allem die Frauen, in solchen Scharen in die Kinos trieb. Ruben Östlund sah darin den Wahnsinn unserer Zeit: „Ein Spielzeughersteller finanziert seinen eigenen Film und kauft sich eine US-amerikanische Autorenfilmerin, um seine sehr altmodischen Puppen salonfähig zu machen.“ Es gehört zur kapitalistischen Ökonomie, dass es überflüssige Waren gibt, die als ein „must have“ angepriesen werden. Auch die Popkultur lebt von dieser Imitation des Begehrens des Anderen: Ich will das sehen, hören, lesen, was alle sehen. Für Greta Gerwig aber stellt sich das anders dar: „Ich glaube, die Vision in meinem Herzen hat einem geheimen Wunsch entsprochen, den es auf der Welt gerade zu geben scheint.“


Rosa steht für Kitsch

Über den Film ist relativ schnell alles gesagt. Eine Puppe bricht in die reale Welt auf, weil plötzlich Unerwartetes passiert: Cellulite und Todesgedanken. Man muss nur das „und durch „weil ersetzen, wie es unser Unbewusstes ständig tut, um der unterschwelligen Botschaft näherzukommen. Ein Frauenleben ist nichts mehr wert, wenn es so etwas wie Cellulite gibt. Der Film behauptet, dass damit die Realität ins Puppenland eindringt, und leistet sich die Volte, dass diese Realität nur durch einen Ausflug in die Realität geheilt werden kann. Das wird mit ein bisschen Selbstreflektion erzählt, mit ein bisschen Ironie, ein bisschen Tanz und Gesang und ein paar dialogischen Ideenfragmenten von allem, was einem zur Frage von Frau und Feminismus irgendwie in den Sinn kommt.

Raus aus Barbieland: Ryan Gosling (l.), Margot Robbie in "Barbie" (Warner Bros.)
Raus aus Barbieland: Ryan Gosling (l.), Margot Robbie in "Barbie" (Warner Bros.)

Ob man das spannend, witzig und ironisch findet und als ein „Guilty Pleasure“ genießt, ist eine Sache des persönlichen Geschmacks. Aber leider gibt es im Kapitalismus kein einziges Bedürfnis, das nicht gesellschaftlich vermittelt wäre. Die Farbe rosa steht für Kitsch und ist seit der langsamen Entwicklung von Massenpublikationen im 19. Jahrhundert, die sich mit den Bedürfnissen der Frauen beschäftigten, mit Weiblichkeit assoziiert. Der inhaltliche Kompass des Films ist sein Design; ohne das würde er kollabieren.

Was hätte aus der Konfrontation zwischen einer Puppenwelt und der realen Welt nicht alles entstehen können? Es gibt berühmte Beispiele für den naiven Blick eines Fremden auf das uns Vertraute. Der Blick der Puppenfrau hätte die traumatisierenden Folgen unserer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung sichtbar machen können und die Erwartungshaltungen, mit denen Frauen noch einmal anders konfrontiert werden als Männer. Es gibt den kurzen Moment einer solchen Erkenntnis, wenn eine der Barbies die Situation der modernen Frau als schmalen Grat zwischen größter Selbstbehauptung und Selbstverleugnung beschreibt, zwischen dem bedrückenden Kampf um Gleichberechtigung und dem allgegenwärtigen Wunsch nach Gefallenwollen. Aber die stereotype Barbie hat nicht die Chance zu erkennen, dass Gefallenwollen immer Knechtschaft bedeutet.

Es gibt auch einen Moment von Kapitalismuskritik, den Satz eines Mannes von Mattel, ob er nicht eine Frau sei, da er ja keine Macht habe. Das Publikum quittiert das mit versöhnlichem Lächeln als Ironie. Den Schritt in den Sarkasmus, der sich hier hätte anschließen können, wagt der Film nicht. Auch er will gefallen.


Föhnparty in Girliewood

Margot Robbie verkörpert die Puppe, die mit ihren übertriebenen sekundären Geschlechtsmerkmalen von der ersten feministischen Generation als ein verabscheuenswürdiges Idol der Weiblichkeit verdammt wurde, als die gute Freundin von nebenan: hübsch, aber auch natürlich, freundlich und zugewandt, ohne einen Hauch von Rivalität, Zickenhaftigkeit oder Stutenbissigkeit.

Filmhistorisch hat es immer wieder Phasen gegeben, in denen eine Weiblichkeit, die keine Angst macht und die man deshalb „natürlich“ nannte, zum Vorbild für Frauen wurde. Ingrid Bergman, mit der man laut Aussage ihres Studios den guten Geruch von Seife verband, hatte die Diven mit ihren männermordenden Ausstrahlungen und ihrem schweren Parfum abgelöst. Da in Barbieland aber alle Frauen Barbies sind, mit allen Körperformen und Hautfarben, herrschen Diversität und Inklusion. Dort wird auch nicht gearbeitet; es gibt also auch keine Klassenunterschiede. Die Kriterien von „Race“, „Class“ und „Gender“ sind also voll erfüllt und diese Welt der Frauen gegen jede Kritik abgedichtet.

Alles vorhanden: Class, Race, Gender (Warner Bros.)
Alles vorhanden: Class, Race, Gender (Warner Bros.)

Ihr steht eine ebenso geschlossene Welt der Kens gegenüber. Da Puppen keinen Sex haben, spielen die Kens keine Rolle als „Love Interests“ oder auch nur als Samenspender. Die US-amerikanische Prüderie erklärt dabei nicht alles. Doris Day nutzte alle Tricks, um ihre erotischen Ziele zu erreichen. Filmgeschichtlich ist das wohl eine Reaktion auf die Übersexualisierung in den Filmen der letzten Dekaden. ,Fifty Shades of Pink‘ lassen die „Fifty Shades of Grey“ hinter sich. In einer Zeit, in der wütend gegen die Geschlechterbinarität gekämpft wird, ist dieses Ideal einer homogenen Frauen- und ebenso homogenen Männerwelt tiefstes 19. Jahrhundert. Die Trennung der Welten und die Bedeutungslosigkeit der Kens müssen aber sein, um eine harmonische Gesellschaft der Barbies ohne Konfrontation schildern zu können. Solidarität entsteht hier, weil alle Frauen hier zu Girlies geworden sind. Wenn nicht gearbeitet wird, es auch keinen Sex gibt und alle Barbies feministisch sind und sich liebhaben, bleibt nur die Föhnparty übrig. Der große Störenfried Sexismus ist aus der Gesellschaft verbannt.


Eine rosasüße Regression

Damit macht „Barbie“ einen großen Schritt noch hinter den Feminismus der zweiten Frauenbewegung zurück. Der frühe Feminismus hatte für die Bürgerrechte der Frauen gekämpft und wollte sie befreien von den Haremsmethoden aus Sex und Erotik, den Machtmitteln der Unmündigkeit, mit denen sie sich immer gegen eine Welt der Männer behauptet hatten. Die zweite Frauenbewegung entdeckte den Sexismus der Gesellschaft. 20 Jahre später feierten die Top-Girls des Ego-Feminismus in einer von juristischen Diskriminierungen freien Gesellschaft den schrankenlosen Sex als feministisches Empowerment. Sofort standen sie damit vor den hochkomplexen Problemen, wie emanzipierte Frauen und Männer auf Augenhöhe zueinander finden und sich dann verhalten.

Der bei weitem größte Teil der Filmgeschichte lebt davon, welche Tragödien oder Lustspiele daraus entstehen. Der Preis der Illusion, auf diese Weise vor der grauen Welt der Herren von Mattel fliehen zu können, führt in eine Welt der Verkindlichung. Die Barbiewelt ist kein Matriarchat, es ist das ewige Girliehood, der Traum von der rosasüßen Regression. Vielleicht entspricht die Version von Greta Gerwig wirklich einem großen Bedürfnis vieler erschöpfter Frauen. Dann wäre Barbie der Film der Stunde. Schon Marx verzweifelte daran, dass das Proletariat nicht so revolutionär war, wie er sich das erhoffte, und auch die Frauen des klassischen Feminismus mussten einsehen, dass sich das Gros der Frauen zur Emanzipation zögerlich, wenn nicht sogar kritisch verhielt.

Aber der Film glaubt das selbst nicht, denn er schildert einen „Aufbruch“. Heute steht er für das, was in der traditionellen Erzählung der Kuss war, der die Paarbildung besiegelte, denn das Ziel war erreicht. Doch weil es inzwischen auch um Empowerment geht, muss „Aufbruch“ auch das sein, was in der revolutionären Erzählung der Sturm auf die jeweilige Bastille war. Aufbruch war schon die Wahl von Ibsens Nora, die vor 140 Jahren vor Ehemann und Kindern aus dem Puppenheim floh. Es wäre wohl an der Zeit, sich genauer damit zu beschäftigen, wohin er führt. Darüber aber herrscht Ratlosigkeit.

Margot Robbie in "Barbie" (Warner Bros.)
Margot Robbie in "Barbie" (Warner Bros.)

Zu Noras Zeiten konnte man noch glauben, dass es nur die Veränderung der gesellschaftlichen Umstände brauche, damit Frauen endlich frei sein können. Das glaubte auch die hellsichtige Jane Austen, und es erklärt die Schwemme an Verfilmungen auch noch des letzten Wortes, das sie geschrieben hat. In den Erzählperspektiven der Filme, die heute von Frauen gemacht werden, konzentriert sich vieles auf das Unglück und die Malaise, die es trotz der Aufhebung der juristischen Diskriminierung und der vielen neuen Möglichkeiten einer ökonomischen Selbstentfaltung gibt.


Von einem Puppenheim ins andere

Auch Gerwig setzt mit „Barbie“ und viel mehr Geld und Style ihre Mumblecore-Filme fort, in denen junge Frauen ohne Beruf und ohne Frisur am Küchentisch grübelnd ihr Selbst suchen und sich nach einem Aufbruch sehnen. Wenn die Stereotype Barbie gegen Ende des Films zum zweiten Mal in die reale Welt aufbricht, führt ihr Weg zum Gynäkologen. Man kann das als den Sprung sehen, den eine sexlose Puppe macht, wenn sie lebendig werden will. Doch kurz vorher gab es einen ästhetischen Bruch: verwackelte Aufnahmen von Familien und Kindern, die aus einem Home Movie stammen könnten. Es wird klar: Wenn die Puppenfrau zum Menschen wird, wird sie zur Mutter. Sie wechselt vom Puppenheim Barbie in ein anderes. Man kann das alles natürlich auch ironisch lesen, aber Ironie klebt ja an dem, wovon sie sich distanzieren möchte.

Doch wozu die Aufregung! Barbie ist eine Puppe, der Film ja nur ein „must have“, bestenfalls ein „Guilty Pleasure“. Auch Frauen, denen der Film gefallen hat, leben ihr Leben, ohne ihn als Referenz anzusehen. Doch Gerwig selbst zwingt uns, „Barbie“ auch als einen Beitrag zur feministischen Bilderpolitik zu lesen. Denn die Anfangssequenz persifliert auf etwas peinliche Weise den unvergesslichen Anfang von Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“. Hier gibt der Film ein Statement über sich selbst ab. Trotz aller Ironie, oder gerade deswegen, stellt sich die Frage, wo er in der feministischen Bilderpolitik steht.

Man hat geschrieben, dass Barbie ein Film des „Female Gaze“ sei. Er ist aber ein „Frauenfilm“ im alten Sinn dieses Wortes. In den 1930er-Jahren erfanden die Studios in Hollywood Filme, die speziell für ein weibliches Publikum gemacht wurden. Sie hießen „Weepies“, weil sie Melodramen waren und den Frauen in ihren damals noch sehr beengten Umständen das Weinen der Erleichterung ermöglichten. Heute sind es nicht mehr die Tränen, die die Frauen miteinander verbinden, es ist der Spaß. Aber Feminismus ist nichts, was notwendigerweise Spaß macht. Er kann auch sehr anstrengend sein, denn wenn er dieses Wort verdient, will er die Welt verändern. Aber er kann auch glücklich machen. Denn selbst, wenn er am Verändern scheitert, verwandelt er in jedem Fall das eigene Leben. Dafür reicht es allerdings nicht, das Schuhwerk zu wechseln. Der erste Schritt in die Emanzipation geschieht mit flachen Schuhen, das hat schon Simone de Beauvoir notiert. Aber dann muss man das Laufen lernen, und damit beginnt dann die Anstrengung. Die Zeit, in der man naiv glauben konnte, dass das Leben vor allen Dingen aus Spaß besteht, ist ohnehin vorbei.

Kate McKinnon als "Komische Barbie" (Warner Bros.)
Kate McKinnon als "Komische Barbie" (Warner Bros.)

Symptom einer allgemeinen Ermüdung

„Barbie“ ist kein feministischer Film. Er ist auch kein Film über den Feminismus. Er ist ein Symptom des Feminismus. In ihm findet sich mit allen Widersprüchlichkeiten und Nachlässigkeiten des zeitgenössischen Feminismus ein großes Durcheinander von Kitsch, Analyse und Regression. Das ist nicht nur ein Zeichen für eine feministische, sondern allgemeiner für eine geistige Ermüdung. Damit geht es dem Feminismus nicht anders als den anderen kulturellen Bewegungen unserer Zeit; im Begriffspingpong wird alles aus dem Zusammenhang gelöst und für die Empörung einsatzfähig gemacht.

Doch als Laura Mulvey den Begriff des „Male Gaze prägte, hat sie damit nicht gemeint, dass er eine biologische Kategorie ist, über die man qua Geschlecht verfügt. Er ist ein ästhetischer Code, die Bestätigung des männlichen Herrschaftsanspruchs durch die Etablierung eines dramaturgischen Modells, das den Blick so lenkt, dass eine Fetischisierung der Frau entsteht. Der Begriff des „Male Gaze“ ist heute omnipräsent, hat aber seine präzise Bedeutung verloren. Das gleiche gilt für den „Female Gaze. Heute wird das Recht und die Notwendigkeit, dass überall auf der Welt Frauen filmisch ihre eigenen Geschichten erzählen können, oft als „Female Gaze“ benannt. Das kann auch in den bekannten filmischen Formen geschehen und ist umso notwendiger, je stärker man sich um politische Wirksamkeit bemüht.

Etwas anderes aber ist es, über einen „Female Gaze“ als einer feministischen Bildsprache nachzudenken, die sich mit der Entwicklung anderer erzählerischer Möglichkeiten aus der Sicht von Frauen beschäftigt. Laura Mulvey hat ihr Konzept an den Filmen des klassischen Hollywoods entwickelt und die Möglichkeiten einer Filmsprache von Frauen im Experimentellen gesehen, ähnlich wie ein ganzer Bereich des kulturellen Feminismus der 1980er-Jahre. Nur so glaubte sie, sich der Verführungskraft der von Männern geprägten Filmsprache entziehen zu können. Die Filmemacherinnen, die diese Empfehlung ernst genommen haben, sind damit in die Museen abgewandert.


Wohin es gehen könnte

Der kommerzielle Film hat seitdem vollkommen neue Möglichkeiten der Immersion und Überwältigung entwickelt, die man sich damals noch gar nicht vorstellen konnte. Wir erleben heute das Aufeinanderzuwachsen aller audiovisuellen Narrationen, unabhängig von Ort, Trägermaterial und kultureller Praxis, zu einer „filmischen Metasprache“ (Georg Seeßlen).

Wenn wir uns dieser Herausforderung stellen, wäre es gut, sich wieder an die Diskussionen der 1980er-Jahre zu erinnern. Sie würden uns helfen, die Schlagworte von „Male Gaze“ und „Female Gaze“ neu mit Sinn zu füllen. Von Wim Wenders stammt der Satz, dass die Geschichte des Kinos von kleinen Filmen geschrieben wurde, auf denen keine Last lag. Von Filmen, die unter dem Radar entstanden sind. Vielleicht, und diesen Zweifel meine ich ehrlich, käme dabei heraus, dass ein feministischer Blockbuster ein Oxymoron ist.

Kommentar verfassen

Kommentieren