The Exploding Girl

Drama | USA 2009 | 79 Minuten

Regie: Bradley Rust Gray

Eine 20-jährige Frau, die an einer epileptischen Erkrankung leidet, meidet jede Form emotionaler Erregung, um keinen Anfall zu provozieren. Der Film porträtiert den Alltag einer wie in Trance wirkenden Figur und die zunehmend distanzierte, nur übers Telefon geführte Beziehung zu ihrem Geliebten sowie die Freundschaft zu einem ehemaligen Schulkameraden. Das als Zwei-Personen-Stück eindrucksvoll inszenierte und vorzüglich gespielte Porträt gewinnt über die feine Beobachtung kleinster Gesten an Intensität. (O.m.d.U.) - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE EXPLODING GIRL
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2009
Produktionsfirma
Soandbrad/Parts and Labor
Regie
Bradley Rust Gray
Buch
Bradley Rust Gray
Kamera
Eric Lin
Musik
Múm
Schnitt
Bradley Rust Gray · So Yong Kim
Darsteller
Zoe Kazan (Ivy) · Mark Rendall (Al) · Maryann Urbano (Ivys Mutter) · Franklin Pipp (Greg) · Hunter Canning (Cary)
Länge
79 Minuten
Kinostart
06.05.2010
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Der Filmtitel ruft ein starkes Bild auf – es hat mit Körperlichkeit zu tun, mit Gewalt und Zerstörung. Dabei könnten diese Assoziationen nicht weiter entfernt sein von der schwebenden Atmosphäre des Werks und der trancehaften Ausstrahlung seiner Hauptfigur. Ivy ist ein seltsames Mädchen. Auf eine merkwürdig kontrollierte Art wirkt sie heruntergedimmt, verlangsamt in ihren Bewegungen und Reaktionen, umhüllt von einer zusätzlichen Schicht, die ihren direkten Kontakt zur Außenwelt abfedert. Allerdings verbirgt sich hinter ihrer etwas mysteriösen Art nichts anderes als eine eingeübte Vorsichtsmaßnahme: Ivy leidet unter einer epileptischen Krankheit, sie ist dazu gezwungen, Stress und Aufregung abzuwehren, das Gleichgewicht zu bewahren. „The Exploding Girl“ ist allerdings kein Film über eine Krankheit, wenngleich diese auch auf subtile Art allgegenwärtig ist: in den routinierten Besuchen beim Arzt, den wiederholten Fragen der Mutter nach ihrem Befinden, in Ivys Außenseiterrolle auf Partys – die anderen lassen sich berauschen, sie muss dabei zusehen. „The Exploding Girl“ erzählt vielmehr, was es bedeutet, Gefühle unaufhörlich wegsortieren zu müssen, und wie sie sich dann doch ihren Weg nach „draußen“ suchen. Dieser „mentale“ Plot ist nicht sichtbar, und doch ist er den ganzen Film über subtil vorhanden. Auf der reinen Handlungsebene passiert nicht viel. Die 20-jährige Ivy verbringt ihre Ferien bei ihrer Mutter in Brooklyn; Al, ein Freund aus High-School-Tagen, wohnt bei ihnen. Gemeinsam streifen sie durch die Stadt, hören Musik, essen Pizza und trinken Milchshakes. Es gibt nichts Störendes, Eckiges in ihrem Zusammensein, sie sind ganz im Rhythmus miteinander. Nur die unterschwellige Präsenz – eigentlich: Abwesenheit – von Ivys Freund Greg legt sich wie ein Schatten über die Sommertage. Ähnlich wie in Angela Schanelecs „Orly“ hat Bradley Rust Gray seine Protagonisten bei ihren Streifzügen durch die Stadt mit einer extremen Brennweite gefilmt (und ebenfalls mit einer RED-Kamera). So sieht man Ivy und Al aus großer Entfernung im Park sitzen oder durch Brooklyn laufen, die Kamera ist dabei oft auf der anderen Straßenseite positioniert, lässt Autos ins Bild fahren, Personen den Blick verstellen. Die Isolierung der Figuren aus der Masse und ihre Intimität mit der Kamera erzeugen einen kammerspielartigen Effekt: „The Exploding Girl“ ist im Grunde ein zwei-Personen-Stück. Die übrigen Figuren treten kaum als ausgearbeitete Charaktere in Erscheinung, oder sie werden nur akustisch vermittelt wie Greg. Dieser ist hauptsächlich durch die Ansage auf seinem Anrufbeantworter präsent; die wenigen Telefonate zwischen Ivy und ihm laufen ins Leere – zwischen den beiden entsteht keine Verbindung, sie bleiben sich fremd. Ivy unterdrückt ihre Aufregung und flüchtet sich in höfliche Formalitäten, Gregs monotones „I miss you“ hat etwas schrecklich Automatisiertes. Als er sich am Telefon schließlich von ihr trennt, ist ihre Reaktion scheinbar unemotional, mechanisch. „Warum?“, fragt sie nur kurz, und dann: „Okay.“ Ivy erzählt niemandem von der Trennung, auch Al gegenüber teilt sie sich nicht mit, sie findet keine Sprache dafür. Doch man spürt, wie sich die Spannung in ihr immer mehr aufbaut, wie ihr Körper darauf wartet, sich zu äußern. Zoe Kazan, die mit ihrer Verkörperung einer einfältigen Sekretärin in Sam Mendes „Zeiten des Aufruhrs“ (fd 39 088) einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, ist in der Rolle der Ivy wunderbar hypnotisch. So ein Gesicht, das mit seinen weit aufgerissenen Kulleraugen und dem runden Puppengesicht an die Ära des Stummfilms erinnert, gibt es kein zweites Mal. Dabei verzichtet Kazan weitgehend auf Mimik, sie spielt sparsam, erzählt die Geschichte ihrer inneren Aufgewühltheit allein über ihren Blick. Dagegen ist die verbale Sprache in „The Exploding Girl“ fast verkümmert. Die Gespräche zwischen Ivy und Al kommen mit wenigen, fast banalen Worten aus, doch ihre Blicke, ihre kleinen, scheinbar bedeutungslosen Gesten verraten das wahre Ausmaß ihrer Vertrautheit; etwa wenn Ivy ihm ihre dreckige Serviette einfach in die Hand drückt und sich verabschiedet oder Al ihr eine Suppe ans Bett bringt und in ihrem Gesicht zu lesen versucht, ob sie ihr gut tut; die Selbstverständlichkeit der Telefongespräche, in denen sich Ivy und Al danach erkundigen, was der andere gerade macht und wann sie sich wieder sehen. Auf diese Weise gewinnt „The Exploding Girl“ ganz beiläufig an Intensität, verdichtet sich zur Geschichte einer Freundschaft, vielleicht auch einer Liebe.
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