Im Garten der Klänge

Dokumentarfilm | Schweiz 2010 | 89 Minuten

Regie: Nicola Bellucci

Dokumentarfilm über die Arbeit des Schweizer Musikers, Klangforschers und Musiktherapeuten Wolfgang Fasser, der seit Ende der 1990er-Jahre in einem Atelier für musikalische Improvisation mit Kindern arbeitet, die an unterschiedlichen schweren Behinderungen von Autismus bis zu zerebralen Lähmungen leiden. Dabei geht es dem blinden Therapeuten darum, mittels der Klänge einen Kontakt zwischen den Kindern und der Außenwelt herzustellen. Aufmerksam nimmt die Kamera ohne falsche Rührseligkeit an den Therapiestunden teil und zeichnet das Porträt eines bemerkenswerten Heilers, wobei sich spannende Einblicke in die Wirkungsmöglichkeiten von Klängen eröffnen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
NEL GIARDINO DEI SUONI
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
soap factory/Sf DRS/SRG SSR idée suisse/TSI
Regie
Nicola Bellucci
Buch
Nicola Bellucci
Kamera
Pierre Mennel · Pio Corradi · Nicola Bellucci
Musik
Daniel Almada · Wolfgang Fasser
Schnitt
Nicola Bellucci · Frank Matter
Länge
89 Minuten
Kinostart
31.05.2012
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Diskussion
Einen „Gastgeber von Klängen“ nennt sich der Schweizer Musiker, Klangforscher und Musiktherapeut Wolfgang Fasser. Sein Atelier für musikalische Improvisation, das er 1999 in einem toskanischen Dorf gründete, gleicht einer Wunderkammer, die erst im Zusammenspiel mit seinen Patienten zum Leben erweckt wird. Fasser behandelt mit Hilfe von Klangapparaturen, bekannter und unbekannter Instrumente, Geräuschen und Gesang schwer behinderter Kinder, die an ganz unterschiedlichen Störungen leiden, von Autismus über Erbkrankheiten bis zu zerebralen Lähmungen oder schweren seelischen Defekten. Seine Begegnung mit den Kindern ist von größtmöglicher Offenheit geprägt: Er versucht, keine Vorgaben zu machen, sondern aufzuspüren, welcher Ton, welches Instrument oder welcher Laut von ihnen aufgegriffen und erwidert werden möchte. Ein geistig zurückgebliebener Junge gerät in große Aufregung, als Fasser zum Akkordeon greift; sein ganzer Körper scheint zu rebellieren, doch nach einer Weile löst sich seine Spannung, er gewinnt Vertrauen zu dem Instrument, beginnt, es zu berühren, seinem Klang zu folgen. In einer anderen Szene sieht man, wie ein Mädchen durch ein Zupfinstrument, das der Musiktherapeut direkt auf seinem Bauch spielt, plötzlich ganz ruhig zu Atmen beginnt, es lauscht und tritt dabei allmählich aus seinem isolierten Zustand heraus. Im Wesentlichen geht es Fasser genau darum: den Kontakt zwischen den Kindern und der Außenwelt herzustellen, über die „Brücke zur Welt“, den Klang. Dass die akustische Sphäre für ihn so immanent bedeutungsvoll wurde, hat mit seiner eigenen Erfahrung zu tun: Fasser leidet an einer genetisch bedingten Augenkrankheit, die ihn langsam erblinden ließ. Den vollständigen Verlust des Augenlichts im Alter von 22 Jahren beschreibt er dabei als erlösend – zumindest war damit der ambivalente Zustand, das auch für Außenstehende nur schwer einzuordnende „Dazwischen“, endgültig vorbei. Mit seiner Blindheit geht Fasser bewundernswert souverän um. „Im Garten der Klänge“ zeigt ihn mit Hund und Blindenstock bei seinen Spaziergängen durchs Dorf oder bei Streifzügen in die Natur, wo er, mit einem Tonbandgerät ausgestattet, verschiedenste Geräusche, bevorzugt das variationsreiche Vogelgezwitscher, aufzeichnet – wertvolles Material für seine Therapiestunden. „Für mich sind die Tonaufnahmen wie Postkarten“, sagt Fasser. „Ich habe nicht das Gefühl, ich sehe nicht, denn ich höre ja.“ Über einen Zeitraum von zwei Jahren hat Nicola Bellucci Fassers Arbeit beobachtet. Die Filmemacherin geht dabei so aufmerksam und geduldig vor wie der Protagonist selbst – empathisch, aber ohne mitleidiges Sentiment, besonders in den musiktherapeutischen Stunden ist die Anwesenheit der Kamera kaum zu spüren. Während der Therapeut Musik macht, singt oder den Kindern Vokale vorspricht, wird man mehrfach Zeuge einer wundersamen Verwandlung. Viele Kinder geben kaum mehr als archaische Stöhn- oder Schreilaute von sich, doch wenn Fasser mit den richtigen Klängen geantwortet hat, scheinen sie plötzlich an einer Unterhaltung teilzunehmen. Mitunter gewinnt man fast das Gefühl, Fasser sei eine Art Magier, auch wenn er selbst die Grenzen seiner Arbeit anspricht, von Rückschlägen und Enttäuschungen erzählt. Bellucci zumindest kann der Heroisierung nicht ganz widerstehen, wenn sie Fasser bei einem Gang durchs Dorf zeigt, bei dem er gleich von mehreren Leuten wie ein Wunderheiler angesprochen wird oder wenn die Eltern der Kinder ausschließlich von seinen Behandlungserfolgen berichten. Seine Stärke gewinnt der Film eher in den ergebnisoffenen Szenen, in denen Fassers Atelier gleich einem Paralleluniversum auflebt – eine eigengesetzliche Welt öffnet ihre Türen.
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