Erst kamen die ernsthaften Dramen, dann die heiteren Komödien. Nun ist die filmische Aufarbeitung der DDR mit „Sputnik“ auch im Kinderfilm angekommen – und Markus Dietrich findet dabei eine gelungene Balance zwischen ernsten Tönen und märchenhaft-fantastischer Fabulierfreude.
So beginnt der Film im November 1989 kurz vor dem Fall der Mauer auch nicht mit den großen zeitgeschichtlichen Ereignissen, mit den Massenausreisen oder den Montagsdemonstrationen, sondern mit einem kleinen Experiment. Gemeinsam mit ihrem Onkel Mike und ihren beiden Freunden Fabian und Jonathan bastelt die zehnjährige Rieke im brandenburgischen Malkow an einem Satelliten. Es ist der erste Versuch einer Karriere als Kosmonautin. Wahrscheinlich ahnt das aufmüpfige Mädchen schon, dass dieser Berufswunsch für sie – ebenso wie für ihren Onkel – in weiter Ferne liegt. Denn wer derart auffällt wie Rieke, wird in der DDR keine staatliche Unterstützung zu erwarten haben. Erst recht nicht, nachdem der Spielzeug-Satellit auch noch abstürzt und dabei den Streifenwagen des Volkspolizisten Mauder beschädigt.
Rieke steckt den Ärger mit Mauder und die öffentliche Rüge in der Schule gut weg. Schlimmer trifft es sie, als der Onkel ihr eröffnet, dass seinem Ausreiseantrag stattgegeben wurde und er noch am selben Tag nach West-Berlin muss. Für Rieke bricht eine Welt zusammen. Doch dann hat sie eine Idee. Inspiriert durch ihre Lieblingsserie „Raumschiff Interspace“ aus dem Westfernsehen beschließt sie, Mike einfach zurück in den Osten zu beamen und so aus den Fängen der Bundesrepublik zu retten. Fortan setzt das findige Mädchen mit seinen Freunden alles daran, eine entsprechende Teleportationsmaschine zu bauen. In dem netten Besitzer eines Einkaufsladens findet sie einen Komplizen, der ihr auch ausgefallene Bauteile besorgt, und der anstehende Jahrmarkt des Dorfs soll schließlich nach einem Ablenkungsmanöver als Energiequelle dienen.
Immer auf Augenhöhe der Kinder erzählt der Film von deren abenteuerlicher Mission und nimmt seine jungen Helden dabei sehr ernst. Denn für Rieke, Jonathan und Fabian zählen eben nicht die Probleme der Erwachsenen. Während die Tage der DDR sich dem Ende zuneigen und die politischen Ereignisse sich zuspitzen, arbeiten die Kinder an ihrem eigenen Projekt, das später in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Fall der Mauer stehen wird. Auf wunderbare Weise fließen Fiktion und Wirklichkeit ineinander, was der Film durch augenzwinkernde Parallelmontagen von Archivmaterial und Filmrealität inszeniert, die dadurch plötzlich aufeinander Bezug nehmen. Das Schöne ist jedoch, dass die Wahrnehmung der Kinder dennoch nie in Frage gestellt wird. Im Gegenteil: Am Ende werden Rieke und ihre Freunde eine wichtige Rolle in der Geschichte ihres Landes spielen, weil sie diese eben gerade nicht allein den Erwachsenen überlassen, sondern selbst aktiv in das Geschehen eingreifen.
„Sputnik“ nimmt sich auf sehr angenehme Weise die Freiheit, nicht alles im Sinne einer historischen Korrektheit zurecht zu rücken. Der spielerische Ansatz des Films vermittelt dennoch ein vielschichtiges Bild vom Leben und Alltag in der DDR, von den Sorgen und Gedanken der Erwachsenen und davon, wie die Kinder damit umgehen. So diskutieren etwa auch Riekes Eltern darüber, ob sie gehen und alles aufgeben oder doch lieber bleiben sollen – und sind dabei nicht einmal einer Meinung. Andererseits wird auch deutlich, welche Privilegien der Volkspolizist genießt oder wie drastisch die Staatsgewalt zuschlagen kann, wenn der Betreiber des Einkaufsladens überraschend von der Volkspolizei abgeführt wird. Vermittelt über die interessanten Nebenfiguren und den historischen Rahmen weckt der Film das Interesse für die deutsch-deutsche Vergangenheit und die Zeit der Wende – und ist dabei glücklicherweise kein belehrender Unterrichtsfilm, sondern vergnügliches Abenteuerkino mit sympathischen jungen Protagonisten, das die Augen für die Wirklichkeit öffnen kann.