„Aus großer Kraft folgt große Verantwortung“: Das berühmteste Zitat aus den Spider-Man-Comics bleibt in der Neuauflage von Jon Watts außen vor. Salbungsvolle Lebensweisheiten finden sich hier allenfalls in den kleinen pädagogischen „Captain America“-Videos, die der Lehrkörper an Peter Parkers High School offensichtlich gerne im Unterricht einsetzt und die eine Art Running Gag darstellen. Spider-Mans Motto, wenn es denn eines gäbe, wäre hier eher ein enthusiastisches „Awesome!“, genial. In der Verkörperung von Tom Holland ist er nicht nur ein Superheld, sondern vor allem ein Superkräfte-Fanboy mit mitreißender Begeisterungsfähigkeit.
In „Captain America: Civil War“ (fd 43 849), in dem die Figur ihren Einstand im „Marvel Cinematic Universe“ feierte, lieferte er mit hundewelpenhaftem Charme zusammen mit Ant-Man den „comic relief“ zum sich melodramatisch zuspitzenden Plot um den Bruch innerhalb des Avengers-Teams. „Spider-Man: Homecoming“ greift diesen Tonfall auf, zelebriert kreuzvergnügt den Spießrutenlauf der Figur zwischen Superhelden-Berufung und normalem Teenager-Dasein und pfeift auf dessen schwergewichtigere Aspekte. Die Traumata, die mit Spider-Mans Geschichte verbunden sind, sein Status als Waise und Schulaußenseiter oder die Ermordung seines Onkel Ben, werden nicht eingehender thematisiert; stattdessen wird er ohne seelischen Ballast als unschuldiger, lebenshungriger Teenager auf eine Welt losgelassen, die für seinen jugendlichen Überschwang kaum groß genug zu sein scheint - obwohl es sich bei den zentralen Schauplätzen immerhin um die Metropolen New York und Washington handelt.
Der Inszenierung gelingt es immer wieder, diesen Überschwang motivisch schön zu umspielen, schon gleich zu Beginn, wenn Peter Parkers Erlebnisse in „Captain America: Civil War“ aus seiner Perspektive als wildes Wackelkamera-Homemovie rekapituliert werden, in Actionsequenzen, in denen Spider-Man fast so viel Chaos stiftet wie er eindämmen will oder in einer herrlichen Reverenz an die große finale Renn-Szene in John Hughes Teenie-Klassiker „Ferris macht blau“(1986, fd 25 956).
Die Konflikte sind hingegen relativ schlicht gehalten und vermeiden alle Redundanzen zur „Spider-Man“-Trilogie von Sam Raimi (2000-2007) sowie den beiden Neuverfilmungen von 2012 und 2014. Als Antagonist steht Spider-Man der von Michael Keaton gespielte Vulture gegenüber, ein Bösewicht, der im Vergleich zu anderen Marvel-Schurken sympathisch „down to earth“ ist: Er hegt keine überkandidelten Welteroberungspläne, sondern wird als „Kleinunternehmer“ interpretiert, der sich auf den Handel mit illegalen, durch außerirdische Technologie aufgepimpten Waffen kapriziert hat.
Außerdem reibt sich Peter Parker an Tony Stark alias Iron Man, der seine Mentorenrolle für den Nachwuchs-Avenger ziemlich kläglich ausfüllt und ihn an sein „Mädchen für alles“ Happy Hogan weiterdelegiert, was den Eifer des Jungen, sich gegenüber Stark zu beweisen, nur noch mehr anfacht.
Fans des „Marvel Cinematic Universe“ könnten sich an der Logik der größeren Handlungsbögen der Filmreihe stören. Nachdem in „Captain American: Civil War“ ein gewaltiger Krach um die sogenannten „Sokovia Accords“ und eine institutionelle Kontrolle der „Avenger“ ausgetragen wurde, scheint es wenig plausibel, dass Peter nun von jeder behördlichen Kontrolle unbehelligt mitten in Queens tun kann, was er will, und dass auch Stark ihm dabei nur sehr halbherzig auf die Finger klopft. Zwar sind die motivischen Verknüpfungen zum „MCU“ durchaus da; z.B. spielen außerirdische Überbleibsel eine zentrale Rolle, die beim Gefecht mit den Chitauri im ersten „Avengers“-Film in Manhattan zurückgeblieben sind. Allerdings sind diese Verknüpfungen nur rückbezüglich, nicht vorausweisend in Richtung „Infinity War“. Für einen augenzwinkernden Filmspass in bester Sommerblockbuster-Manier reicht es trotzdem allemal. Für alles andere muss man sich in jener Tugend üben, über die sich Captain America in der „Post Credit“-Sequenz auslässt: Geduld.