Horror | Japan 2017 | 96 Minuten

Regie: Shin'ichirô Ueda

In einer Fabrikruine will ein Nachwuchsregisseur einen Zombiefilm drehen. Bei der Low-Budget-Produktion geht es ziemlich chaotisch zu, bis plötzlich echte Untote über die Dreharbeiten herfallen, was dem Regisseur unvermittelt echte Authentizität und wüstes Gemetzel für die Kamera sichert. Doch auch das Film-im-Film-Szenario entpuppt sich als Fernsehprojekt, das in einer einzigen durchgehenden Einstellung aufgenommen werden soll. Das amüsante Spiel mit den unterschiedlichen Ebenen spielt so hingebungsvoll wie reflexiv mit den Herausforderungen des Filmemachens und lässt als Plädoyer fürs Imperfekte die Schönheit von Trash in einem neuen Licht erstrahlen. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
KAMERA O TOMERU NA!
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2017
Produktionsfirma
ENBU Seminar/Panpokopina
Regie
Shin'ichirô Ueda
Buch
Shin'ichirô Ueda
Kamera
Takeshi Sone
Musik
Shôma Itô · Kyle Nagai · Nobuhiro Suzuki
Schnitt
Shin'ichirô Ueda
Darsteller
Takayuki Hamatsu (Director Higurashi) · Yuzuki Akiyama (Chinatsu) · Harumi Shuhama (Nao) · Kazuaki Nagaya (Ko) · Hiroshi Ichihara (Kasahara)
Länge
96 Minuten
Kinostart
02.05.2019
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Horror | Komödie
Externe Links
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Heimkino

Die Standardausgabe (DVD & BD) enthält keine erwähnenswerten Extras. Zudem ist ein wertiges Mediabook (DVD plus BD) mit Bonus-Disk erschienen. Hier enthalten ist u.a. ein ausführliches "Making of" (53 Min.), ein längeres Interview mit dem Regisseur (21 Min.), die kompletten "GoPro"-Versionen der Zombie-Sequenzen (37 Min.) sowie ein 24-seitiges Booklet mit analytischen Texten zum Film. Das Mediabook ist mit dem Silberling 2019 ausgezeichnet.

Verleih DVD
Koch (16:9, 1.85:1, DD5.1 jap./dt.)
Verleih Blu-ray
Koch (16:9, 1.85:1, dts-HDMA jap./dt.)
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Film-im-Film-Charade über Dreharbeiten zu einem Zombiefilm, die plötzlich von echten Untoten heimgesucht werden.

Diskussion

Nicht ohne Unterbrechung, aber unaufhaltsam vollzog sich in der Filmgeschichte der Siegeszug der Plansequenz. Schon bei Orson Welles oder Alfred Hitchcock bewunderte man die Einheit von Sequenz und Einstellung, die spätestens bei Michail Kalatosow und Martin Scorsese zum Ausdruck besonderer Könnerschaft wurde, gerade dort, wo sie auf komplexe Choreografien traf. Die Plansequenz lässt Regisseure wie kaum ein anderes Stilmittel verkünden: Hier bin ich Schalter und Walter mit caméra stylo.

Im digitalen Kino brach dann sogar jede zeitliche Begrenzung weg; es entstanden regelrechte Plan-Filme ohne jeden Schnitt wie Time Code und Russian Ark. Heute sind Plansequenzen scheinbar das entscheidende Kriterium für einen Kamera-„Oscar“, was die Auszeichnung von Roma, The Revenant, Birdman und Gravity in dieser Kategorie anzeigen. Wohl auch in Abgrenzung zum üblichen Blockbuster-Schnittgewitter montiert man in die Horizontale – virtuoses, kunstwilliges Protzen. Es scheint ein Bedürfnis nach einem Film zu geben, der nicht nur Leistungen zeigen will, etwa die von Schauspielern, sondern ganz offensichtlich selbst etwas leistet.

Zombies überfallen einen Zombie-Film

Auch One Cut of the Dead von Shinichiro Ueda scheint zunächst einer dieser protzigen Planfilme zu sein. Ein Zombie attackiert eine junge Frau, doch die Kamera fährt ein wenig heraus und offenbart, dass hier lediglich ein Film gedreht wird. Dann aber fallen tatsächliche Untote über das Set her. Und da sich der Regisseur für die Dreharbeiten stark verschuldet hat und um jeden Preis Authentizität sucht, hält er die Kamera noch aufs größte Blutbad.

Doch auch das ist nur Schein; nach gerade mal 35 Minuten flimmert plötzlich ein Abspann über die Leinwand. Die Ereignisse entpuppen sich als Produktion für einen neuen, monothematischen Zombie-Fernsehsender. Die Programmchefin hat sich sogar ein Gimmick überlegt: der gesamte Film soll in einer einzigen langen Einstellung gedreht werden. Eine große Herausforderung für Regisseur Higurashi (Takayuki Hamatsu), der bislang nur Werbefilme und drittklassige Melodramen gedreht hat. Die Produktion wird von Problemen geplagt und gerät reichlich chaotisch. Das Ziel besteht darin, 35 Minuten lang ohne Pause durchzudrehen – und alle drehen durch.

„One Cut of the Dead” ist also ein Spielfilm, inklusive dazugehörigem „Making of“ und „Blooper-Reel“, misslungenen Outtakes. Zaubertrick und Entzauberung zugleich. Ein weiterer Beweis dafür, dass man für einen guten Film kein großes Budget oder aufwändige Technik, sondern vor allem eine interessante Grundidee braucht. Es gibt zwar viele Filme über die Arbeit am Set, die Konfrontation mit knauserigen Studiochefs, ambitionierte Regisseure und betrunkene und/oder verliebte Schauspieler. Was „One Cut of the Dead“ besonders macht, ist vor allem seine Struktur. Er spiegelt sich selbst, präsentiert unterschiedliche Perspektiven auf dasselbe Geschehen und wirft dadurch eine kuriose Idee auf: dass jeder Film sein eigener Rashomon sein könnte; dass sich hinter seiner Oberfläche immer noch eine andere Wahrheit verbirgt, und sei es die des Entstehungsprozesses. Eine kleine Vorschule des Sehens.

Was bleibt vom prometheischen Auteur?

Ihren Humor findet die Horrorkomödie in der Gegenüberstellung zweier Welten und zweier ästhetischer Prinzipien. Auf der einen Seite eine ungebrochene, fantastische Fiktion, auf der anderen eine vermeintliche Wirklichkeit mit Schnitten. Dramaturgisch ist vor allem die Synthese interessant: Welche Emotionen und Eindrücke nehmen die Figuren mit in ihre Rolle? Ein Abglanz der Beziehungen hinter der Kamera zeigt sich auch davor. Wo und wie schreibt sich der Produktionsprozess in die tatsächlichen Aufnahmen ein? Wie beherrschbar ist die Diegese, wo drängen die garstigen Unwägbarkeiten der Dreharbeiten auf den Bildschirm? Und was bleibt danach noch vom Mythos des prometheischen Auteurs?

Die Antworten, die „One Cut of the Dead“ findet, sind nicht unbedingt neu oder überraschend. Wenn der Regisseur auch im Fernsehfilm einen Filmemacher spielt, dann sagt er dem aufmüpfigen Jungdarsteller unter dem Deckmantel der Kunst das, was er ihm ohnehin sagen wollte. So werden die Theorien von Lee Strasberg wohl oft (miss)verstanden.

Natürlich gerät der Film auch zum Schlachtfeld um die Vision des Regisseurs. Darsteller und Produzenten fordern Zugeständnisse, wollen Geld und Mühe sparen. Lustig ist, wenn eine unangenehme Szene erst gestrichen wird, dann aber durch das allgemeine Chaos doch wieder zurückkehrt. Man erfreut sich am immer hektischeren Improvisieren, an der inhärenten Dramatik des Filmemachens. Fast will man den vielen sympathischen Figuren selbst unter die Arme greifen.

Im Zentrum des Films steht Takayuki Hamatsu als „straight man“ unter Chaoten. Seinen duckmäuserischen Regisseur mit dem eigenartig traurigen Lächeln will man triumphieren sehen. Genau wie die junge Kameraassistentin, die unbedingt noch ein paar rasante Zooms einbauen will oder das Drehbuchteam, das plötzlich über sich hinauswächst.

Wohl auch aus eigener Erfahrung entwickelt Shinichiro Ueda ein besonderes Gespür für die kleinen Erfolge des Künstler-Prekariats. Teamwork und Synergie, nicht als Buzzwords, sondern tatsächlich als wilde schöpferische Energie.

Das „Making of“ zum „Making of“

Dieser Geist ist auch im echten „Making of“-Material von „One Cut of the Dead“ zu spüren. Nur wenige Wochen nach dem Kinostart erscheint „One Cut of the Dead“ in unterschiedlichen Heimkino-Editionen – mit interessantem Bonusmaterial, das sich gewissermaßen organisch in den bestehenden Film einfügt. Als „Making of“ zum „Making of“ sozusagen. Der Filmkamera, die eine Kamera beim Filmen einer Kamera beobachtet, wird eine Perspektive von außen hinzugefügt: eine auf den Kopf des Regisseurs montierte Go-Pro-Kamera, mit der man die Entstehung der Plansequenz noch einmal anders erlebt.

Den Ebenen „Film“ und „Film im Film“ wird damit noch eine dritte hinzugefügt, die Echos in die anderen sendet. Die Orte, an denen die fiktiven Darsteller sich auf ihre Rollen vorbereiten, sind dieselben, an dem es die echten Darsteller tun. Die roten Drehbücher, die im Film eilig abgeändert werden, enthalten eigentlich das Skript von „One Cut of the Dead“. Welcher Welt gehört dieses Objekt? Ein Blick würde genügen, und jede Figur könnte ihr eigenes Schicksal voraussahnen.

Das macht die Aufteilung des Films so schön: Viele Witze ergeben sich erst aus dem neuen Kontext. Man lacht über einen Witz, dann über die Löcher in der Fassade, aber beide Male lacht man mit dem Film. „One Cut of the Dead“ steht zu den eigenen Unzulänglichkeiten, ohne sie als Ausrede zu missbrauchen; die Inszenierung weiß Kunst und Können zu trennen.

„One Cut of the Dead“ ist ein liebevolles Plädoyer für das Unperfekte und die Schönheit von Trash, der ganz offensichtlich kein Müll ist. Für ein Kino, das weiß, dass es keine Filmfehler gibt, nur kleine Überraschungen. Ein Kino, das sich nicht hermetisch verriegeln muss, sondern lustvoll vom Leben durchweht wird.

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