Picknick am Strand

Komödie | Großbritannien 1993 | 100 Minuten

Regie: Gurinder Chadha

Neun Frauen indischer Abstammung machen einen Ausflug ins englische Seebad Blackpool; der Alltag, dem sie entfliehen wollten, holt sie aber auf vielschichtige Weise ein. Die von Konflikten belastete Reise setzt gruppendynamische Prozesse in Gang, die zu ein wenig Selbsterkenntnis und solidarischem Handeln führen. Ein Film, dessen Grundthema der alltägliche Rassismus ist; er stellt das Bewahren von Traditionen in Frage und zeigt die Grenzen der Toleranz auf. Trotz kleiner Mängel ein wichtiger, ehrlicher und bewegender Erstlingsfilm. (Preis der Ökumenischen Jury in Locarno 1993, Kinotipp der katholischen Filmkritik) - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
BHAJI ON THE BEACH
Produktionsland
Großbritannien
Produktionsjahr
1993
Produktionsfirma
Umbi/Film Four
Regie
Gurinder Chadha
Buch
Meera Syal · Gurinder Chadha
Kamera
John Kenway
Musik
John Altman
Schnitt
Oral Norrie Ottey
Darsteller
Kim Vithana (Ginder) · Jimmi Harkishin (Ranjit) · Sarita Khajuria (Hashida) · Lalita Ahmed (Asha) · Zohra Segal (Pushpa)
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Komödie
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Diskussion
Er soll Urlaub vom Alltag sein, dieser Ausflug ins Touristenbad Blackpool, den neun indische Frauen vom "Saheli Frauenzentrum", Birmingham, unternehmen. Ein Tag unter sich, ohne Männer, ein Tag unter dem Vorzeichen feministischer Solidarität. Doch für die bunt zusammengewürfelte Schar - drei Einwanderergenerationen sind versammelt -kommt alles ganz anders. Unbeschwert tritt kaum jemand diese Reise ein, die meisten sind auf der "kleinen Flucht", versuchen ihren Sorgen und Zwängen zumindest für einen Tag zu entfliehen. Da ist Asha, eine Mittfünfzigerin. die ihr Leben, ihr Studium und ihre Eigenständigkeit der Familie und den Traditionen geopfert hat. Sie wird von grell-bunten Visionen im Stil indischer Filmopern heimgesucht. in denen sie im "Rollenspiel" zur Reflexion ihrer Stellung gezwungen wird. Sie erlebt einen durchaus ehrenwerten Flirt mit einem Varielé-Schauspieler, genießt den Ausflug weitgehend auch wenn sich ihr neuer •Bekannter am Ende als arger Hallodri entpuppt. Da sind Puspha und Bina, zwei bigotte Matronen, die sich als Hüterinnen indischer Traditionen und - viel wichtiger noch - des Anstandes aufführen und immer wieder einen Streit vom Zaun brechen. Da ist Hashida, die am Morgen erfahren hat, daß sie von ihrem schwarzen Geliebten Oliver schwanger ist, die Beziehung aufgelöst hat und nun mit ihrer Verzweiflung allein ist. Da ist Ginder, eine junge Mutter, die sich von ihrem Ehemann und seiner Familie, die ihr jeden Freiraum rauben, getrennt hat und einfach einen schönen Tag mit ihrem kleinen Sohn haben möchte. Und da ist Simi, die den Ausflug organisiert und ihre liebe Mühe hat, so viele unterschiedliche Charaktere unter einen Hut zu bringen. Nur die beiden jüngsten Frauen der Gruppe können den Tag einigermaßen genießen, indem sie aus ihren tradierten Rollen schlüpfen und mit zwei englischen Grünschnäbeln anbandeln, wohl wissend, daß auch sie ihre Herkunft nicht verleugnen können, daß alles Zugehörigkeitsgefühl nur ein schöner Traum ist. Ihnen ist es immerhin beschieden, sich für einen Tag zu lösen, alle anderen werden sehr sehr rasch von ihren Problemen eingeholt.

Der männerfreie Tag steuert auf sein Chaos zu, als immer mehr Männer den Frauen nachreisen. Oliver macht sich ebenso auf den Weg nach Blackpool wie Ranjit und seine beiden Brüder, die Ginder in die Familie zurückholen wollen. Doch während der Schwarze sich mit seiner Geliebten aussöhnen kann, erlebt der prügelnde Ehemann Ranjit eine Schlappe. Die Brutalität, mit der er Ginder und seinen Sohn heimholen will, beschwört die Solidarität der Frauen. Ausgerechnet seine Tante Asha, die sich ihr ganzes Leben unterordnete, stellt sich ihm in den Weg. Zurück bleibt ein Häufchen Elend unter dem Pier Blackpools und für die Frauen der schwache Trost, daß trotz aller Unterschiedlichkeit so etwas wie Solidarität möglich ist wenn auch leider nur in Extremsituationen.

"Picknick am Strand" als reinen Frauenfilm zu würdigen und dann zur Tagesordnung überzugehen, hieße, es sich zu einfach zu machen. Gurinder Chadhas Regie-Erstling ist weitaus vielschichtiger angelegt. Obwohl viele soziale Komponenten ausgeklammert bleiben, vieles nur schlaglichtartig erhellt wird, wirkt das Drehbuch an seinen dichtesten Stellen wie eine Arbeit des pakistanischen (Film-) Autors Hanif Kureishi, der in "Mein wunderbarer Waschsalon" (fd 25 795) oder "Sammy & Rosie tun es" (fd 26 937) auch die Befindlichkeit einer Einwanderergruppe im britischen Alltag reflektierte. Deutlich wird, daß die Einwanderer, die sich aus den ehemaligen Kolonialstaaten ins König(Mutter-)reich zurückzogen, durchaus keine homogene soziale Klasse sind, sondern daß tiefe Gräben auch jene Randgruppen durchziehen, für die solidarisches Handeln in einer immer noch fremden und fremdenfeindlichen Umwelt durchaus angebracht wäre. "Picknick am Strand" zeigt das häßliche Gesicht das alltäglichen Rassismus. Der drückt sich nicht nur in Ressentiments Weißer gegen Farbige aus, der wird auch in den Reihen der Einwanderer aufrecht erhalten und geschürt. Für die Inder, die bestrebt sind, in der englischen Mittelklasse aufzugehen, und denen dies häufig -zumindest sozial - durch Dienstleistungsbetriebe oder kleine Geschäfte auch gelingt, scheinen die Schwarzen minderwertig. Die ihrerseits grenzen sich von den Indem ab, die sich ihrer Meinung nach durch das Paktieren mit dem Mittelstand keine Identität bewahrt haben. Doch die Grenzlinie verläuft auch innerhalb der verschiedenen ethnischen Gruppierungen. Drei Generationen indischstämmige Einwohner bevölkern die Insel, da brechen Konflikte auf um Traditionen, die bewahrt oder endlich über Bord geworfen werden sollen. In der Randfigur der Rekha, einer emanzipierten Frau aus Bombay, die die Reisegesellschaft begleitet, haben die Autorinnen diesen Konflikt fokussiert. Sie ist durchaus westlich orientiert, hat mit Traditionen und Kastendenken wenig im Sinn und schaut ein wenig hochnäsig auf ihre "Schwestern" herab, die dies nach der langen Zeit im fremden Land bewahren wollen und die die Nationalspeise "fish 'n chips", ein durchaus leckeres Gericht, immer durch eine gehörige Portion Curry "verfeinem" und indisieren müssen.

Trotz einer manchmal unständlichen, manchmal naiv vereinfachenden Erzählweise bietet "Picknick am Strand" kluges Kino, fächert seine melodramatische Komödie auch mit tragischen Aspekten auf und könnte dazu beitragen, daß das britische Kino mit so interessanten und abwechslungsreichen Filmen wie "The Snapper" (fd 30 608), "Nackt" (fd 30 631) und "Raining Stones" (30 689) in diesem Jahr wieder zu einer festen Größe in unserer Kinolandschaft wird. Ganz nebenbei liefert der Film auch so etwas wie eine Sozialgeschichte des britischen Fremdenverkehrs. Er zeigt Blackpool, einst mondänes Seebad, als lichtdurchfluteten Rummelplatz für Rentner und Alleinstehende, ein Domizil des billigen Vergnügens, der Marktschreier, ein Vergnügungsparadies, das sich zum Fegefeuer für die Seelen entwickelt hat, die nicht zur Ruhe kommen können. Die Philosophie, die ursprünglich nicht nur hinter Blackpool, sondern hinter allen englischen Seebädern steckte, wird in einer kurzen Szene deutlich. Da ist der Innenraum eines prächtigen Variete-Theaters zu sehen. Das ist mittlerweile geschlossen, kann mit den angebotenen Billigvergnügungen nicht konkurrieren. Die kleinen Fluchtstätten der britischen Arbeiterschaft, die Idee von der Überwindung der Klassenschranken - wenn auch nur kurzfristig - ist vor die Hunde gekommen, das Unterhaltungsprogramm auf den Piers hat genauso abgewirtschaftet wie das ganze Land. Verschlüsselter und augenfälliger zugleich kann man eine alle Bereiche umfassende Krise kaum darstellen.
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