Gundermann Revier
Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 98 Minuten
Regie: Grit Lemke
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2019
- Produktionsfirma
- Inselfilm Prod.
- Regie
- Grit Lemke
- Buch
- Grit Lemke
- Kamera
- Uwe Mann
- Schnitt
- Sven Kulik
- Länge
- 98 Minuten
- Kinostart
- 12.12.2019
- Fsk
- ab 0; f
- Pädagogische Empfehlung
- - Sehenswert ab 14.
- Genre
- Dokumentarfilm
- Externe Links
- IMDb | TMDB
Ein poetisch-persönliches Porträt des DDR-Liedermachers und Baggerfahrers Gerhard Gundermann (1955-1998).
Er hat wahnsinnig gern Filme geguckt, in denen einer die Welt rettet. Nicht mit Muskeln, sondern mit Geist, heißt es an einer Stelle in „Gundermann Revier“ über den Liedermacher, Poeten und Baggerfahrer Gerhard Gundermann (1955-1998). Andreas Dresen hat ihm 2018 einen Spielfilm gewidmet; nun widmet ihm Grit Lemke, die langjährige Programmchefin des Leipziger Dokumentarfilmfestivals, ihren ersten eigenen Porträtfilm.
„Gundermann Revier“ ist allerdings kein bloßer dokumentarischer Epilog zu der erfolgreichen und mit Filmpreisen geradezu überhäuften Fiktion; vielmehr bringt Lemke das geografische, politische und geistige Umfeld, in dem Gundermann zu dem wurde, was er war, ausführlicher ins Spiel als der Film von Dresen. Auch die Zweifel am Ende seines Lebens, die von der Selbsterkenntnis ausgingen, als Baggerfahrer im Braunkohlentagebau zur Umweltzerstörung viel beigetragen zu haben, spielen eine Rolle – einschließlich seines immer mehr erstarkenden ökologischen Bewusstseins.
Sozialismus ist das Gegenteil von Egoismus
Dramaturgisch schlüssig führt Lemke einen filmischen Dialog mit dem einstigen guten Freund und Wegbegleiter aus frühen Tagen in der DDR-Vorzeigesiedlung Hoyerswerda, genannt „Hoywoy“. Im Niemandsland, am Ende der Welt, wie es Gundermann in einem Lied besang, war eine Stadt der Arbeiter und der jungen Leute entstanden. Hier lernten sich beide – der Liedermacher Gundermann und die künftige Kulturanthropologin Lemke – kennen und verstanden sich als Geschwister im Geiste; beide fanden die Idee einer künftigen Gesellschaft, die sich von überkommenen Maßstäben emanzipiert, vernünftig: „Sozialismus ist das Gegenteil von Egoismus“, lautete ihre Hoffnung.
Der Film, dessen poetischer Kommentartext von Lemke selbst gesprochen wird, beurteilt diese Hoffnung nicht von ihrem Ende her, geht also nicht von ihrer Pervertierung und dem Scheitern des Experiments aus, sondern weist darauf hin, dass es einst gute Gründe dafür gab, die Vision einer besseren Welt zu entwickeln und umzusetzen. Von diesem Ideal ging durchaus nicht nur für naive Geister eine gewaltige Strahlkraft aus.
„Gundermann Revier“ beschreibt ähnlich wie Dresens Spielfilm, wie sehr der Liedermacher jedoch gegen die Betonwände der amtierenden Bürokratie rannte, sobald er den utopischen Entwurf in eingreifende Lyrik verwandelte. „Ich habe viele Beulen an meinem Hut. Die wenigsten sind vom Gegner“, hat der Ost-Berliner Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski einmal gesagt; ein Bonmot, dass auch aus dem Mund von Gundermann hätte kommen können.
In jeder Beziehung ein „Maximalist“
In „Gundermanns Revier“, der zahlreiche unveröffentlichte Archivaufnahmen enthält, erinnern sich Verwandte, Freunde und Weggefährten, allen voran Gundermanns Frau Conny, die längst einen eigenen Film verdient hätte, sowie Musikerkollegen der „Brigade Feuerstein“, seiner ersten Band. Dass „Gundi“ Gundermann in jeder Beziehung ein Maximalist war, hatte bereits der überragende Alexander Scheer in Dresens Film deutlich gemacht; hier hört man die alten Geschichten aus erster Hand: seine fordernde Besessenheit bei Proben und Auftritten, der Ehrgeiz, die heftige Ungeduld des werktätigen Barden, auch die Überforderung des eigenen Körpers und der eigenen Gesundheit.
Gerhard Gundermann als „unbequem“ zu apostrophieren, scheint angesichts der versammelten Erinnerungen eine gelinde Untertreibung; er konnte unangenehm sein, trotzig, verbissen und eigenwillig aus Prinzip. Trotz massiven Ärgers mit „seiner“ Partei hielt er an der Utopie fest, bis hin zur Sentimentalität. Beim letztmaligen Abspielen der DDR-Nationalhymne im Radio, in der Nacht der deutschen Vereinigung, kamen ihm die Tränen. Pawel Kortschagin, der Held aus dem viel gelesenen sowjetischen Verkündigungsbuch „Wie der Stahl gehärtet wurde“, blieb für immer sein Vorbild.
Manche Interviewpartner haben nicht viel über das Bekannte hinaus zu erzählen. Anderes, etwa Gundermanns Liaison mit der Staatssicherheit, kommt zu kurz. Zwar wird aus einem Text des Verlegers Christoph Links zitiert, der Gundermanns Berichte an die Stasi scharf kritisiert, doch was im Detail in diesen Berichten steht und welche Folgen das für die Betroffenen hatte, lässt der Film weitgehend aus. Dafür blendet der Film Ausschnitte aus Talkshows ein, in denen Gundermann in Verhörmanier vorgeführt wird, sich solcher Inquisition aber als nicht gewachsen erweist. Insgesamt wird etwas zu viel geredet; mehr Stille und Kontemplation hätten dem Film gutgetan.
Spaziergängerin mit Hund
Dabei gibt es solche Momente durchaus: Uwe Mann fotografiert das gegenwärtige Hoyerswerda, eine schrumpfende Stadt; dass die Zeit der Braunkohle zu Ende geht und sich ein Gefühl der Tristesse über das Gemeinwesen legt, wird in zärtlichen, atmosphärischen Bildern eingefangen. Ein Schwenk zeigt einen Platz und geschlossene Geschäfte; fast symbolisch wirkt das Motiv einer älteren Spaziergängerin, die ihren Hund an der Leine führt. Sehr eindrücklich schließlich der einsame Wolf vor der Industrielandschaft in der Lausitz: eine Einstellung, die den „ganzen“ Gundermann in einem Motiv bündelt.
Der „verwunschene Garten gleich hinter dem Bahndamm“, von dem Grit Lemke in einer Kindheitserinnerung erzählt, wird am Ende des Industriezeitalters die gesamte Gegend erfassen. Gundermanns Lieder, in denen die Arbeit, das Ethos der Bergleute, das Leben überhaupt besungen werden, erklingen in Film noch einmal in schöner Ausführlichkeit – fast wie ein Requiem.