Drama | Japan 2021 | 177 Minuten

Regie: Ryûsuke Hamaguchi

Ein japanischer Theaterregisseur, der auch zwei Jahre nach dem plötzlichen Tod seiner Frau innerlich erstarrt ist, soll in einem Theater in Hiroshima das Tschechow-Stück „Onkel Wanja“ inszenieren. Mit der Hauptrolle betraut er ausgerechnet einen Schauspieler, den er verdächtigt, ein ehemaliger Liebhaber seiner Frau gewesen zu sein. Das kunstvoll komponierte und filigran inszenierte Drama kreist um die heilende Kraft von Kunst und Sprachen, die auch mächtige Kommunikationsbarrieren, etwa soziale Klassen, Nationalität, Behinderung, Schuld und Traumata, überwinden helfen. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik filmfriend

Filmdaten

Originaltitel
DORAIBU MAI KA
Produktionsland
Japan
Produktionsjahr
2021
Produktionsfirma
C&I Entertainment/Culture Entertainment/Bitters End
Regie
Ryûsuke Hamaguchi
Buch
Takamasa Oe · Ryûsuke Hamaguchi
Kamera
Hidetoshi Shinomiya
Musik
Eiko Ishibashi
Schnitt
Azusa Yamazaki
Darsteller
Hidetoshi Nishijima (Yûsuke Kafuku) · Tôko Miura (Misaki Watari) · Reika Kirishima (Oto, Kafukus Frau) · Masaki Okada (Kôji Takatsuki) · Park Yurim (Lee Yoon-a)
Länge
177 Minuten
Kinostart
23.12.2021
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Heimkino

Verleih DVD
Rapid Eye Movies
Verleih Blu-ray
Rapid Eye Movies
DVD kaufen

Ein japanischer Theaterregisseur soll in Hiroshima „Onkel Wanja“ von Tschechow inszenieren, was ihm und allen Mitwirkenden Existenzielles abverlangt.

Diskussion

Die Ideen zu ihren Drehbüchern kommen Oto beim Sex. Nach dem Orgasmus spinnt sie in einer Art Trance die Erzählfäden weiter. Die Geschichten, die auf diese Weise entstehen, hat sie aber kurz darauf schon wieder vergessen. Am nächsten Morgen lässt sie sich von ihrem Mann Yusuke, einem Schauspieler und Theaterregisseur, erzählen, was sie sich halb unbewusst ausgedacht hat. Für Oto ist diese Form des Geschichtenerzählens mehr als eine Arbeitsmethode oder das erotische Ritual eines Künstlerpaars. Sie löst sich damit aus einer Starre. Yusuke und Oto sind „Weiterlebende“, um mit Tschechow zu sprechen. Vor vielen Jahren haben sie ihre gemeinsame Tochter verloren.

Der Ursprung wirklicher Geschichten

In „Drive My Car“ dreht sich alles um das Geschichtenerzählen. Die Geschichten, die erzählt werden, beim Autofahren, beim Sex, bei der Besichtigung einer Müllverbrennungsanlage oder an einem traumatisch belasteten Ort auf der Insel Hokkaido, sind nie geradlinig, sondern verschlungen und von vielen Fragen und Zweifeln durchdrungen, mit offenen Enden. Sie kommen aus dem eigenen Leben, der Fantasie, einem Bühnenstück, aus dem Mund und vom Tonband. Oder sie stecken im Herzen fest. So wie bei Yusuke. Seit dem plötzlichen Verlust von Oto geht er wie versteinert durchs Leben.

Nach „Wheel of Fortune and Fantasy“ (2021), einem Frauenfilm, steht im neuen Werk von Ryūsuke Hamaguchi eine männliche Künstlerfigur im Zentrum. Ihre Krise ist sicherlich nicht neu, doch die Art und Weise, wie der japanische Filmemacher diesen Mann in Bewegung setzt und mit den Bewegungen anderer Figuren kreuzt, ist so filigran und vielschichtig, dass von der „alten“ Geschichte wenig übrigbleibt.

Stille Bilder, fließendes Gewebe

Das fängt schon mit der Adaption an. „Drive My Car“ basiert auf einer Kurzgeschichte von Haruki Murakami („Von Männern, die keine Frauen haben“), ist aber 179 Minuten lang. Die Erzählung hat einen Hang zum Romanhaften, zum Gedehnten; verknappt ist allein die visuelle Form. Die Bilder sind einfach gehalten, schmucklos, aber nicht spröde. Man könnte sie für uninteressant, fast ein wenig effizient halten; dabei braucht es genau ihre Stabilität, um dem überaus beweglichen Erzählgewebe den notwendigen Halt zu geben.

Halt und Struktur verleiht dem Film auch sein zentrales Motiv: das Auto. Für Yusuke ist sein schon etwas in die Jahre gekommener roter Saab 900 Fortbewegungsmittel und Rückzugsort zugleich. Beim Fahren lernt er seine Texte, die ihm Oto auf Audiokassette aufgenommen hat. So reagiert er auch etwas verstimmt, als man ihm am Theater in Hiroshima, wo er Tschechows „Onkel Wanja“ inszenieren soll, aus Versicherungsgründen eine Fahrerin zuweist. Fortan fährt ihn die junge Misaki täglich zu den Proben und wieder zurück.

Auf langen Autofahrten

Neben den Fahrten, die sich allmählich von einem stillen Nebeneinander zu einem immer offeneren Gespräch entwickeln, bilden die Lese- und Theaterproben den zweiten wichtigen Strang. Yusuke gibt die Titelrolle ausgerechnet Takatsumi, einem jungen, nicht sonderlich talentiertem Schauspieler, in dem er den Liebhaber seiner verstorbenen Frau zu erkennen glaubt. Das Machtverhältnis zwischen den beiden, ihre um Oto kreisenden Gespräche und ihre unterschiedliche Idee von Männlichkeit setzen das Verhältnis unter eine permanente Spannung.

Mehr aber noch interessiert Hamaguchi das Zusammenwirken von Kunst und Leben. Yusuke weiß genau, warum er den Onkel Wanja nicht selbst spielen mag: „Wenn man seinen Text spricht, zerrt er das eigene Selbst hervor.“

Tatsächlich ist es dann aber vor allem die zurückhaltende, etwas schluffige Fahrerin Misaki, die Yusuki zum Reden bringt, und ihrerseits ins Reden kommt über ihre traumatische Kindheit und Jugend. Das Auto wird dabei zum Bekenntnisraum.

Wie man zueinanderfindet

Hamaguchi erzählt die Annäherung dieser beiden Menschen, ihr plötzlich sehr freimütiges Sprechen über ihre Beschädigungen und Schuldgefühle, ganz ohne Pathos und erotischen Unterton. In der vielleicht schönsten Szene des Films rauchen Misaki und Yusuki beim Fahren wortlos eine Zigarette, ihre Hände nebeneinander zum Dachfenster hinausgestreckt, in die von bunten Lichtreflexionen erleuchtete Nacht.

Kommentieren