Mit der Aktion „allesdichtmachen“ hat der neue Film von Dietrich Brüggemann nichts zu tun. Ignorieren aber lässt sich eine gedankliche Verbindung auch nicht, denn insbesondere mit seinem Namen verband man die unausgegorene Kampagne, mit der sich prominente deutschsprachige Schauspieler*innen, aber eben auch der Regisseur Brüggemann gegen die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung positionierten. Als politisch-gesellschaftskritische Statements waren viele der Kurzfilme fahrlässig verkürzend, unterkomplex oder unsensibel bis zynisch – und auch als satirische Beiträge weitgehend misslungen. Insgesamt blieb der Eindruck hängen, dass tendenziell privilegierte Menschen endlich mal wieder im Lichte der Aufmerksamkeit stehen wollen. Brüggemann war bei der Aktion offenbar eine der zentralen Figuren; er hatte viele Mitstreiter an Bord geholt.
Ein traurig-witziger Kommentar
Wie gut, dass der Regisseur seinen Namen nun wieder neu „besetzen“ kann, in dem ihm eigenen Ressort als Erzähler von Filmgeschichten – und zwar gleich äußerst positiv: „Nö“ ist ein so klarsichtig geschriebener wie gekonnt inszenierter, traurig-witziger Kommentar zum Lieben, Leben und Erwachsenwerden. Das Drehbuch stammt von Dietrich und Anna Brüggemann, die hier wie in fast allen Filmen ihres Bruders auch vor der Kamera zu sehen ist. Sie spielt die weibliche Hauptfigur, die Schauspielerin Dina, die seit ein paar Jahren mit Michael liiert ist, einem Arzt.
Die romantische Tragikomödie erzählt die Beziehung dieser beiden in 15 unterschiedlich langen, in sich abgeschlossenen Episoden. Die jeweils schnittlosen Sequenzen zeigen Momente in der Partnerschaft von Dina und Michael, die in ihrer Beiläufigkeit oft sehr prägnant sind. Es beginnt damit, dass Michael laut darüber nachdenkt, ob sie sich nicht vielleicht trennen sollten. Dina sagt dazu klar: „Nö.“ Michael fürchtet – als typischer Vertreter eines Mannes seiner Generation betont klischeehaft – das Sich-Festlegen und die Verantwortung, gerade mit Blick auf womöglich folgende Kinder. Ein Jahr später dann wird Hochzeit gefeiert – allerdings nicht die von Dina und Michael. Ein Paar sind sie aber immer noch.
Wiederum acht Monate danach befindet man sich auf einem schwankenden Schiff, bei der Anreise nach Helgoland. Auftritt von Hanns Zischler als Michaels Vater, ein zwischenmenschlich gänzlich inkompetenter Patriarch, der der offensichtlich unpässlichen Dina einen nicht enden wollenden Vortrag über die Würmeiszeit hält. Die Mitteilung, dass man schwanger sei, quittiert er nur mit Vorwürfen, wie verantwortungslos dann eine solche Reise sei.
Wochen, Monate, Jahre
In Abständen von Wochen, Monaten oder auch mal Jahren begleitet man Dina und Michael auf dem Weg in eine „Fixierung“ ihres Paar-Daseins, beim Elternwerden, aber auch in anderen verwandtschaftlichen Bezügen als Kind, Schwester oder Bruder. Und beim Wiedereinstieg in den Job nach der Geburt des Kindes, der für die junge Mutter selbstverständlich mit ungleich höheren Hürden verbunden ist.
Formal wie inhaltlich ist das äußerst reizvoll anzusehen. Da wäre zunächst die fest montierte Kamera von Alexander Sass, die sich bis auf drei Episoden höchstens mal leicht wegbewegt vom Geschehen, ansonsten aber stets denselben Ausschnitt zeigt. Auch Situationen, in denen mehr Bewegung waltet – die Performance von Dinas Mutter, der Schauspielworkshop sowie der Kindergeburtstag im Kletterparadies –, fallen durch ihre eindrückliche, schnittlose Kameraführung auf.
Da sind aber auch die großartigen, das Lebensgefühl des Akademiker- und Künstlermilieus glasklar, manchmal böse, häufig aber sehr amüsant transportierenden Dialoge. Da wären die angemessen leicht überzogen gezeichneten, aufgeklärt-diversen, gutbürgerlichen oder (möchtegern-)kreativen Cliquen, Familien und anderweitigen Blasen, die hier das Personal stellen. Anna und Dietrich Brüggemann haben wie schon in früheren Werken einen scharfen, gnadenlosen, ironisch-schwarzhumorigen Blick für die Diskurse, Emotionen und Gedanken ihrer Generation. Es gelingt ihnen außerdem, diesen in überzeugende, unterhaltsame Geschichten zu gießen, was auch der geschickt-eleganten Inszenierung zu verdanken ist.
Ein Umfeld, in dem Schauspieler glänzen können
In „Nö“ arbeiten die Geschwister zudem gekonnt mit dem zu Filmbildern geronnenen „Kopfkino“ ihrer Protagonisten. Die Selbstzweifel und/oder Ängste der Hauptfiguren schlagen sich in Horror- oder (Alb-)Traumbildern nieder, die sich nahtlos ins restliche „realistische“ Geschehen einfügen. So sieht Michael beim Ultraschall das Gesicht seines Kindes immer wieder zur Fratze verzerrt; Dina wähnt sich in ihrem Beschützerinnenwahn nach der Geburt jenseits des sicheren Krankenhauszimmers inmitten eines Kriegsgeschehens. Und als Michael im OP-Saal ins Grübeln gerät, bleibt die Zeit stehen und der aufgeschnittene Patient unter seinen Händen – gespielt von Rüdiger Vogler – wird zum anregenden Gesprächspartner in Sachen Lebensführung.
Geradezu grandios ist das Aufgebot an Schauspielern, die teilweise großartige Auftritte hinlegen. Während Anna Brüggemann und Alexander Khuon das Paar im Zentrum der Story stimmig bis mitreißend verkörpern, glänzen Darsteller wie Jacob Matschenz, Nina Petri oder Hanns Zischler in kürzeren, aber extrem eindrücklichen Auftritten. Den witzigsten hat Mark Waschke als Gynäkologe, ein sarkastisch-mitleidloser (Schul-)Mediziner – und klarer Impfverfechter! –, der den werdenden Eltern in wahren Dialogperlen mal eben sämtliche Horrorbilder der bevorstehenden Elternschaft unter die Nase reibt. Kein Wunder, dass so viele bereit waren, an „Nö“ mitzuwirken: Die Brüggemanns bieten ihnen ein Umfeld, in dem sie wahrlich glänzen können.