Krimi | USA 2022 | (6 Folgen) Minuten

Regie: Reinaldo Marcus Green

Eine sogenannte „Gun Trace Task Force“ der Polizei von Baltimore wird in einen Korruptionsskandal verwickelt; gegen die Truppe wird wegen brutaler Methoden und der Bereicherung an beschlagnahmten Gütern intern ermittelt. Eine Vertreterin der Staatsanwaltschaft sieht sich mit einem Polizeiapparat konfrontiert, in dem Kadergehorsam regiert und niemand als Nestbeschmutzer dastehen will. Eine Mini-Krimiserie der Serienmacher David Simon und George Pelecanos, die sich auf das bewährte Terrain ihrer berühmten Serie „The Wire“ begeben. Im Zentrum steht das gravierende Fehlverhalten der US-Polizei, das immer wieder Opfer unter jungen Afroamerikanern fordert. Bei aller scharfen Kritik an der Institution bleibt aber auch der Glaube an die Reformfähigkeit korrupter Strukturen spürbar. - Sehenswert ab 16.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
WE OWN THIS CITY
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Crime Story Media/HBO
Regie
Reinaldo Marcus Green
Buch
David Simon · George Pelecanos · Ed Burns · William F. Zorzi
Kamera
Yaron Orbach
Musik
Kris Bowers
Schnitt
Matthew Booras · Joshua Raymond Lee
Darsteller
Jon Bernthal (Wayne Jenkins) · Wunmi Mosaku (Nicole Steele) · Jamie Hector (Sean Suiter) · Josh Charles (Daniel Hersl) · McKinley Belcher III (Momodu "G Money" Gondo)
Länge
(6 Folgen) Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Krimi | Serie

Eine Krimi-Serie von "The Wire"-Serienschöpfer David Simon und George Pelaconas über den Korruptionsskandal um die sogenannte Gun Trace Task Force der Polizei von Baltimore.

Diskussion

Nicht erst seit dem Tod von George Floyd im Mai 2020 ist Polizeigewalt zu einem Brennpunkt-Thema in der US-Öffentlichkeit geworden. In der neuen Serie des Produzenten und Filmemachers David Simon ist es der Fall des Afroamerikaners Freddy Gray, der über allen Ereignissen schwebt. Der Hass der Bevölkerung auf die Polizei, in deren Gewahrsam der junge Mann im Frühjahr 2015 aufgrund seiner schweren Verletzungen den Tod fand, ist in den Straßen und bei Kontrollen der Beamten förmlich spürbar – eine explosive Stimmung, in der jeder Funke zur Eskalation führen kann. Die Mini-Serie „We Own This City“ versetzt die Zuschauer zurück ins vergangene Jahrzehnt und widmet sich den zweifelhaften Machenschaften einer „Gun Trace Taskforce“, einer Polizeieinheit des Drogendezernats in der US-Stadt Baltimore.

Die Methode David Simon

Die Serienmacher David Simon und sein Kompagnon George Pelecanos sind keine Unbekannten auf dem Gebiet des Polizei- und Krimigenres. Die legendäre Dramaserie „The Wire“ gehört zum umfangreichen Oeuvre der beiden. David Simon fungierte für die fünf Staffeln der TV-Maßstäbe setzenden HBO-Produktion in den Jahren 2002 bis 2008 als Serienschöpfer, George Pelecanos als einer der Produzenten. Was als Geheimtipp unter Serienaficionados begann, mauserte sich in den Jahren nach der Ausstrahlung zu einem vielzitierten und einflussreichen Paradebeispiel einer ganz neuen Fernsehtradition, einer Erzählform, die sich nicht im Episodischen erschöpft, sondern mittels lang angelegter Erzählstränge, einer Vielzahl an Charakteren und einer hochkomplexen Storystruktur mehr einem Romangeschehen glich als einem typischen TV-Format.

Was „The Wire“ bis heute aus der Masse der Crime-Formate und Cop-Shows hervorhebt, ist die „Methode David Simon“: Der gelernte Journalist, der jahrelang als Reporter bei der „Baltimore Sun“ wirkte, brachte seine auf tiefen Recherchen basierende Gesellschaftskritik im Laufe der 1990er- und frühen 2000er-Jahre zur Perfektion. Sein Buch „Homicide: A Year on the Killing Streets“, das die Einsätze einer Polizeieinheit des Morddezernats in Baltimore dokumentierte, wurde für Simon zum Entree in die Film- und Serienwelt. Ab 1996 wurde es in Form der Serie „Homicide: Life on the Street“ verfilmt, es folgte die HBO-Miniserie „The Corner: A Year in the Life of an Inner-City Neighborhood“ (1997). Wie kein zweiter Autor in Hollywood versteht es David Simon, jedes noch so kleine Detail zu einem Puzzlestück von zentraler Bedeutung aufzuladen („All the Pieces Matter – Auf jedes Teil kommt es an“ wurde zu einer Art Motto und Mantra von „The Wire“). Durch minutiöses Herausarbeiten sprachlicher Details wie etwa beim örtlichen Dialekt, dem Jargon von Drogendealern und dem Cop-Speak der Baltimorer Polizei verleiht Simon seinen Drehbüchern eine unnachahmliche Präzision und Authentizität. Nichts verbleibt bei ihm im Ungefähren, fast schon enervierend genau nimmt er es bei der Darstellung von Ermittlungsabläufen, politischen Entscheidungsfindungen und lokalen Eigenheiten seiner Handlungsorte. Meistens ist dies bei ihm die im US-Bundestaat Maryland gelegene Metropole Baltimore.

Der Tonfall ist zynischer geworden

So auch in der neuen Serie „We Own This City“. Sie knüpft unmittelbar dort an, wo „The Wire“ aufhörte – beim unvermeidlichen „Police Work“ – der Polizeiarbeit. Wo sich „The Wire“ aber noch in einem halbwegs hoffnungsvollen Erzählmodus bewegt, in dem den „Bad Cops“, die den Stadtfrieden gefährden, „Good Cops“ entgegenstehen, die im Sinne des Gemeinwohls handeln, zeigt sich „We Own This City“ zunächst als wesentlich zynischere Spielart der Simon’schen Gesellschaftsbetrachtung. In Zeiten, die in Amerika notgedrungen Demonstrationsslogans wie „We can’t breathe“ und „Black lives matter“ hervorbringen, scheint gewissenhafte Polizeiarbeit der Vergangenheit anzugehören – als zu himmelschreiend offenbaren sich die Methoden der Gewalt- und Drogenbekämpfung der US-Cops.

Im Zentrum der Erzählung steht eine Sondereinheit rund um Sergeant Wayne Jenkins, meisterhaft bedrohlich verkörpert von Jon Bernthal – seine Figur ist ein breitbeinig wandelndes Pulverfass. Nicht nur treibt er die polizeilichen Interventionen seiner Einheit mit besonderer Hingabe voran, er bereichert sich bei den Einsätzen auch an beschlagnahmten Geldern von Drogendealern und lässt deren illegale Güter weiterverkaufen. Kadergehorsam fordert der mehr als zwielichtige Ermittler von seinen Untergebenen; wer nicht mitmacht bei der Selbstbereicherung, fliegt ganz schnell aus Jenkins’ Einheit.

Natürlich eilt den Mannen rund um Jenkins ein gewisser Ruf voraus, niemand aber will sich im Dezernat als Nestbeschmutzer bezeichnen lassen. Und so nehmen die regelrechten Raubzüge des korrupten Cops ihren Lauf, bis es eines Tages zu einer polizeiinternen Ermittlung kommt. Der Komplex ausgefeilter Überwachungsmethoden, der sich in „The Wire“ noch gegen die Drogendealerszene wandte, richtet sich in „We Own This City“ gegen Angehörige des Polizeiapparats selbst.

Hyperrealistischer Stil

Die auf wahren Begebenheiten beruhende Serie ist eine Verfilmung des gleichnamigen Buchs des Autors Justin Fenton, seines Zeichens ebenfalls Reporter bei der „Baltimore Sun“. Simons und Pelecanos’ Verfilmung kommt wie auch schon im vorherigen Werk der beiden in einer hyperrealistischen, ans Dokumentarische grenzenden Darstellungsform daher. Die an reale Persönlichkeiten angelehnten, jedoch fiktionalisierten Charaktere zeigten sich in „The Wire“ als einmalig lebensechte Figuren, legendär wurde darin der leider viel zu früh verstorbene Michael K. Williams in seiner Rolle als charismatischer Drogendealer Omar Little, der seinen Lebensunterhalt mit berüchtigten Raubüberfällen auf andere Dealer bestreitet. Ähnlich komplex gelagerte und dabei einnehmende Serienfiguren vermag die sechsteilige Miniserie „We Own This City“ nicht hervorzubringen, dafür fehlt es ihr an den luxuriösen Entfaltungsmöglichkeiten einer mehrere Staffeln umfassende Serie. Neben dem fulminant eskalierenden Jon Bernthal stechen vor allem Jamie Hector als Cop mit Gewissensqualen, Josh Charles als ekelhafter Gewalttäter in Uniform sowie Wunmi Mosaku hervor, die einer Bürgerrechtseinheit der Staatsanwaltschaft angehört.

In zahlreichen Rückblenden setzt sich ein komplexer Ermittlungsfall zusammen, der bei allen zur Verzweiflung verleitenden Geschehnissen der US-amerikanischen Gegenwart dennoch am Glauben an die Veränderungs- und Reformfähigkeit der Gesellschaft festhält. Wie schon in „The Wire“ ergeht sich David Simon dabei nicht in pauschalem Kulturpessimismus. Seine Gesellschafts- und Institutionenkritik erweist sich als stets zielgerichtet und orientiert am konkreten Fall. Als Treat Williams am Ende einen Auftritt als altersweiser Cop hat, gerät sein Blick auf den nun schon Jahre währenden „War on Drugs“ sehr hellsichtig. Es zeigt sich an dieser Stelle, warum Simon auch ein so unerhört guter politischer Filmemacher ist: In einer einzigen Szene und ein paar Dialogzeilen führt Simon den leeren Symbolcharakter dieses Krieges vor Augen. Denn sowohl hinsichtlich einer Zurückdrängung der Kriminalität als auch hinsichtlich einer Senkung der Opferzahl durch Drogenmissbrauch kann man diesen politischen Feldzug nur als gescheitert betrachten; nichts davon ist eingetreten.

Nicht das System ist verkommen

Bei David Simon ist nicht das System verkommen, das empfindliche Ganze steht stets unter Beschuss durch jene, die sich am Gemeinwohl gütlich tun. Sie reißen Löcher und bringen Risse ins soziale Gewebe. „You gotta keep the devil / Way down in the hole“ („Du musst den Teufel / Ganz unten im Loch halten“) heißt es in dem von Tom Waits stammenden Titelsong in „The Wire“. So könnte auch das Motto von David Simons und George Pelecanos’ neuer Serie lauten, die ganz in der Tradition ihrer Vorgängerserie steht. Den beiden gelingt mit „We Own This City“ ein weiterer treffsicherer Kommentar zum Thema Polizeifehlverhalten, elektrisierend und nah am Puls der Zeit.

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