Drama | Polen 2022 | 96 Minuten

Regie: Anna Kazejak

Im gemeinsamen Urlaub zweier Familien auf der dänischen Insel Bornholm führt ein Zwischenfall sexueller Übergriffigkeit zwischen ihren Kindern zum Erodieren des Beziehungsgeflechts. Im Vordergrund steht dabei das Porträt einer Frau, die, ausgelöst durch den Vorfall, ihr Selbst- und Rollenverständnis fundamental in Frage stellt. Vor dem Hintergrund einer sich veränderten Geschlechterordnung befragt das kühle, satirisch angehauchte Drama auf mitunter etwas schematische und allzu explizite Weise weibliche Rollenbilder und männliche Unsicherheiten. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
FUCKING BORNHOLM
Produktionsland
Polen
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Friends With Benefits Studio/TVN/Empik Go/Fixafilm
Regie
Anna Kazejak
Buch
Filip K. Kasperaszek · Anna Kazejak
Kamera
Jakub Stolecki
Musik
Jerzy Rogiewicz
Schnitt
Maciej Pawlinski
Darsteller
Agnieszka Grochowska (Maja) · Maciej Stuhr (Hubert) · Grzegorz Damiecki (Dawid) · Jasmina Polak (Nina) · Magnus Krepper (Mikkel)
Länge
96 Minuten
Kinostart
01.06.2023
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Arsenal (16:9, 2.35:1, DD5.1 pol./dt.)
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Drama um den Urlaub zweier Familien auf der dänischen Insel Bornholm, bei dem ein hässlicher Vorfall zum Erodieren des Beziehungsnetzes führt.

Diskussion

Maja isst wieder Zucker, Dawid fällt es sofort auf. „Nur im Urlaub“, sagt sie und spannt das Gesicht noch mehr an. Argwöhnisch fällt ihr Blick auf Hubert, ihren Mann, der sich auf der Fahrt mit der Fähre angeregt mit Dawids neuer und wesentlich jüngeren Freundin und Tinder-Bekanntschaft Nina unterhält. Die Frische und Unbekümmertheit der jungen Frau, die kurz vor dem Abschluss ihres Psychologiestudiums steht, greifen Nina an, nagen an ihr – „Entspann dich“, meint Hubert. Es ist eine gleichermaßen herablassende wie hilflose Floskel, die man im Laufe des Films noch oft von ihm zu hören bekommt.

Zwei Paare – Maja und Hubert haben ihre beiden Söhne dabei, Dawid seinen Sohn aus geschiedener Ehe – machen Ferien auf der dänischen Insel Bornholm. Der Spiegeleffekt, den das eine Paar auf das andere ausübt, spielt in Anna Kazejak-Dawids Film jedoch eine weitaus geringere Rolle, als der Anfang des Films nahelegt. „Fucking Bornholm“ entwickelt sich mehr und mehr zum Porträt einer Frau, die, ausgelöst durch einen Vorfall, ihr Selbst- und Rollenverständnis fundamental in Frage stellt.

Eine sexuelle Überschreitung droht die Feriengruppe zu sprengen

Bei dem Vorfall, der wie ein Unheil in eine eh nicht gar so heile Welt hineinbricht, handelt es sich um eine sexuelle Überschreitung, die sich zwischen den Kindern bei der gemeinsamen Übernachtung im Zelt ereignet. Sie kommt nicht ganz überraschend, unheilvoll und etwas zu lang blickte die Kamera zuvor auf das von innen erleuchtete Iglu. Als der Grund für die Verstörung des Jüngsten schließlich ausgesprochen ist, entspinnt sich ein Konflikt um den richtigen Umgang damit. Hubert, der den Zwischenfall zunächst als „Jungssache“ abtut und sich mehr um die teuren Mountainbikes sorgt, schwächelt in seiner Autorität als souveräner Vater und Mann und versucht ungeschickt, zwischen der Aufgewühltheit seiner Frau und dem bagatellisierenden Bemühen Ninas zu vermitteln.

Dawid, der seinen Sohn nur alle vierzehn Tage sehen darf, fürchtet vor allem um seine Position in einer fragilen Patchwork-Familie, wenn er dem vermeintlich tätlichen Kind eintrichtert, seiner Mutter nichts zu erzählen. Kurz und gut: Die Erwachsenen verhalten sich absolut rücksichtslos und ignorant gegenüber den Bedürfnissen ihrer Kinder, sie überrumpeln sie mit ihren chaotischen Gefühlen, überfordern sie mit Ansprüchen, die kaum ihrem Alter entsprechen.

Ein Wille zum kühlen Sezieren

Kazejak-Dawid interessiert sich aber ihrerseits auch nicht sonderlich für die kindliche Erfahrungswelt, die Kinder bleiben im erodierten Beziehungsgefüge letztendlich Statisten – das Bild des sich an sein Stofftier klammernden, einsam in der Ecke kauernden Jungen wirkt sogar fast etwas zynisch. Überhaupt spürt man dem Film den Willen zum kühlen Sezieren an, eine Nähe auch zum satirischen Drama – ein Ton, der allerdings nie wirklich streng durchgehalten und mehr behauptet wird (vor allem im ersten Teil des Films in Form streng kadrierter und komponierter Einstellungen). „Fucking Bornholm“ fügt sich dennoch ziemlich nahtlos ein in die in den letzten Jahren immer zahlreicher auftretenden Filme, in denen sich bürgerliche Menschen angesichts einer sich verändernden Geschlechterordnung mit Unsicherheiten konfrontiert sehen.

Kazejak-Dawid formuliert diese Verschiebungen oft etwas schematisch, manchmal auch allzu explizit: „Scheiß #metoo“ platzt es einmal aus Dawid heraus, als Nina ihm sein patronisierendes Verhalten vorhält. Maja wiederum macht das Übel des Übergriffs im offenen Umgang mit Sexualität aus (dabei war, so stellt sich heraus, die Vorlage der Tat ein auf dem väterlichen Heimcomputer gesehener Porno), gleichzeitig bezahlt sie ihre traditionelle Rolle als nicht arbeitende Mutter und Ehefrau mit Frustration und Erschöpfung.

Zwischen Selbst- und Fremdansprüchen zerrissen, treibt es die Figuren immer wieder voneinander weg und aufeinander zu, eine Bewegung, die zu immer mehr Verschleiß führt. Maja macht sich irgendwann los, und auch der Film bewegt sich nun an einer etwas lockeren Leine, versucht sich nicht mehr ganz so angestrengt an einer Demontage bürgerlicher Eheideale. In der Romanze mit einem sanftmütigen bärtigen Einheimischen gibt es am Ende sogar etwas „hygge“-Flair.

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