Es beginnt mit einer spektakulären Einstiegsszene: Aus der Vogelperspektive kommt eine riesige Metropole ins Bild. Zunächst sieht man Wolkenkratzer, später monumentale Altbauten. Schließlich erkennt man das riesige Gelände des Mailänder Hauptbahnhofs und die Kamera schwenkt an einem modernen Wohnblock direkt ins Fenster einer Wohnung voller Gäste. Erst nach gefühlten fünf Minuten landet die Kamera in den Innenräumen von Franco Amore, einem Polizisten, für den Viviana, seine zweite Ehefrau, eine „Überraschungsparty“ organisiert hat. Es ist Francos letzter Arbeitstag nach 35 Jahren im Polizeidienst. Kaum ist der Endfünfziger auf der eigenen Party aufgetaucht, bekommt er schon einen Anruf von seinem Vorgesetzten. Er muss nochmal zum Dienst. Ein Unfall mit Todesfolge in einem Tunnel. Dabei handelt es sich jedoch um einen Tatort mit toten Polizisten. Darunter auch Dino, Francos bester Freund.
Ein Polizist mit fragwürdigem Nebenjob
Dann beginnt eine Rückblende, die zehn Tage zurückführt. Franco schreibt bereits an seiner Abschiedsrede, in der er betont, in 35 Dienstjahren habe er nicht einmal jemanden erschossen. Franco war immer anständig, kollegial, loyal. So will es seine Polizistenlegende. Was macht es da schon, dass er Cosimo, einen etwas schmierigen Verwandten seiner Frau, im Dienstwagen kutschiert, wenn dabei ein kleines Taschengeld herausspringt? Cosimo bringt ihn mit einem chinesischen Paten zusammen, der einen Fahrer für gelegentliche Besorgungen oder Kurierdienste sucht. Franco ist unsicher. Wenn überhaupt, dann erst nach seinem letzten Arbeitstag. Die Pension will er nicht aufs Spiel setzen. Und wenn er schon Fremde fährt, dürfen sie auf keinen Fall bewaffnet sein.
Natürlich kommt alles anders und ein Auftrag, bei dem er eine Chinesin und ihren Begleiter vom Flughafen abholt, läuft so schief, wie er nur schiefgehen kann. Alles endet in einem Gewaltrausch, der Franco dann am Tag vor der Pensionierung wieder einholt.
Regisseur Andrea di Stefano, der seine Karriere als Schauspieler in „Der Prinz von Homburg“ bei Marco Bellocchio begann und später u.a. in Julian Schnabels „Before Night Falls“ mitwirkte, wechselte 2014 hinter die Kamera mit „Paradise Lost“, seinem Spielfilmdebüt über Pablo Escobar – ein Film, der eher vom intensiven Spiel von Benicio del Toro lebte als von seiner Geschichte. Auch sein zweiter Film „The Informer“ (2020) war ein konventioneller Thriller um einen Undercover-Agenten, der vom FBI verraten wird. Nur die sehr guten Darsteller Joel Kinnaman und Rosamund Pike sorgten dafür, dass man bis zum Schluss dabeiblieb.
In seinem dritten und ersten italienischsprachigen Spielfilm bleibt Andrea di Stefano dem Genrekino treu und setzt mit dem derzeit wohl bekanntesten Schauspieler Italiens, Pierfranceso Favino, auf seinen wie so oft exzellent aufspielenden Star. Favino spielt Franco Amore als den guten Cop von nebenan, der etwas behäbig und unentschlossen agiert, nicht gut Nein sagen kann, immer auf einfache Prinzipien setzte und plötzlich von einer bedrohlichen Ausnahmesituation völlig überfordert ist. Das macht die Figur sehr menschlich und zugänglich. Favino wertet so die schon öfter erzählte Fabel vom letzten Tag eines eigentlich anständigen Menschen, der auf eine schiefe Bahn geraten ist, wohltuend auf.
Eine raffinierte Erzählstruktur
Nach dem optischen und stilistischen Feuerwerk der Eingangssequenz setzt der Regisseur im Laufe des Films vielleicht zu sehr auf konventionelle Einstellungen, schafft allerdings eine ziemlich raffinierte Erzählstruktur, weil die Bilder des Beginns kurz vor dem Finale noch einmal wiederholt werden, nur diesmal mit Dialogen, die eine völlige Neuinterpretation im Vergleich zum fast gemütlichen Beginn ermöglichen. Ungewöhnlich für einen italienischen Film, der im Korruptions-Graubereich zwischen Polizei und Mafia spielt, ist dabei sicherlich, dass es diesmal um die in Mailand agierende chinesische Mafia geht. Italiener sind in dieser Organisation nur die Handlanger. Das wirkt zwar mitunter nicht völlig klischeefrei, dafür zieht eine Dosis Realität in die Handlung ein, wenn man erfährt, dass einfache Polizisten alles andere als gut verdienen. Mit 1400 Euro im Monat sind die Möglichkeiten für Dino, einen alleinerziehenden Vater, ziemlich begrenzt.
Dass es dieser vom Verleih etwas vollmundig als Neo-Noir-Thriller deklarierte Film trotz seiner Premiere als Special auf der Berlinale nicht in die deutschen Kinos schaffte, beweist einmal mehr die Mutlosigkeit deutscher Kinoverleiher, wenn es um europäisches Genrekino geht. In Frankreich und Italien lief das Werk auf der großen Leinwand durchaus mit achtbarem Erfolg. Den hat das insgesamt gut gemachte Krimi-Drama für ein breiteres Publikum auch verdient.