Fitness California - Wie man die extra Meile geht

Dokumentarfilm | Deutschland 2022 | 104 Minuten

Regie: Nadine Zacharias

Der Freiburger Kraftraum „Fitness-Studio California“ steht im Zentrum eines unterhaltsam-informativen Dokumentarfilms. Täglich wird die Sportstätte von einem Trio betagter Ex-Leistungssportler besucht, die in ihrer aktiven Zeit national wie international viele Medaillen für den deutschen Ringersport erkämpft haben. Der Film skizziert ihre sportlichen Karrieren, bettet diese in vergangene und aktuelle Geschichten ein und arbeitet den Status des Fitnessstudios als Ort familiären Gemeinschaftsgefühls heraus. - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2022
Produktionsfirma
Moving Ideas Filmprod.
Regie
Nadine Zacharias
Buch
Nadine Zacharias
Kamera
Nicu Mihailescu
Musik
Sebastian Scheipers
Schnitt
Petra Hölge · Nadine Zacharias · Elisa Purfürst
Länge
104 Minuten
Kinostart
04.04.2024
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Doku über ein Fitnessstudio in Baden-Württemberg, in dem drei ehemalige deutsche Leistungssportler Körper und Geist fit halten.

Diskussion

Keinen der drei deutschen Ringer Mario Sabatini, Bernd Fleig und Adolf Seger hat es je nach Kalifornien gezogen. Dafür aber heißt der Kraftraum, den die über Siebzigjährigen jeden Tag aufsuchen, „Fitness-Studio California“. Er liegt in ihrer Heimatstadt Freiburg und wurde 1982 gegründet, als im „Golden State“ das Aerobic- und Krafttraining-Fieber ausbrach. Der Fitnesstrend schwappte damals auch in die Bundesrepublik über. Die 1980er-Jahre entwickelten sich zu goldenen Zeiten für Sportler und Selbstoptimierer, die sich mit Hanteln und Kraftgeräten Muskelmasse und Kondition antrainieren wollten. Mario Sabatini betreibt das Fitnessstudio bis heute zusammen mit seiner Frau Dagmar. Die Dreierclique der mittlerweile betagten, aber noch immer sehr fitten Ex-Ringer findet darin sogar am Wochenende zusammen. Alle drei wuchten immer noch Gewichte, fachsimpeln über Körperproportionen und stechen sich gegenseitig in Beweglichkeitsübungen aus.

Gratis bis zum Lebensende

Liegestütze mit Handklatschen, wie Sabatini sie vorführt, kann Bernd Fleig mittlerweile wegen eines Knorpelschadens in der Schulter nicht mehr ausführen. Fleig, der von den drei Ex-Sportlern am wenigsten Medaillen errungen hat, schlug nach dem Ringen eine Karriere als Bodybuilder ein. Auch dafür stand ein (Wahl-)Kalifornier Pate: Arnold Schwarzenegger. Da Fleig einen Bodybuilding-Wettbewerb in Deutschland gewann und dabei Werbung für das Freiburger Fitnessstudio betrieb, darf er bis an sein Lebensende gratis trainieren.

Dagmar Sabatini bezeichnet das Sportstudio als ihr zweites Wohnzimmer, und viele ihrer Kunden scheinen das ähnlich zu sehen. An der Theke schenkt sie Getränke aus, manchmal gibt es auch Pflaumenkuchen und Sekt; stets hat sie auch ein offenes Ohr für die Sporttreibenden. Das Erzählen über private Probleme gehört ebenso zum Fitnessstudio wie die abendliche Reinigung der Stätte oder das Herumschrauben an den Gerätschaften.

In dem Dokumentarfilm von Nadine Zacharias offenbart sich das Studio als Ort geselligen Zusammenseins. Das zwischen einer Tankstelle und einer Brache gelegene Gebäude weist die eine oder andere Baufälligkeit auf. Doch in seinem Inneren wird zusammen geschwitzt, über Gott und die Welt geplaudert, aber auch in Erinnerungen geschwelgt. Die meisten Erfolge der drei Ex-Champions hat sich Adolf Seger erkämpft. Er ist zehnfacher deutscher Ringer-Weltmeister im Welter- und Mittelgewicht und gewann bei Olympia zweimal Bronze. Den Traum, auch einmal ganz oben auf dem Siegertreppchen zu stehen und Olympiasieger zu werden, musste er wegen des Boykotts westlicher Nationen in Moskau 1980 schweren Herzens begraben.

Rote Badehose, blaues Trikot

Seger, der kurz vor Kriegsende geboren wurde, ist der jüngste Sohn einer zwölfköpfigen Familie und galt als besonders ehrgeizig und hartnäckig. Jugendfotos zeigen ihn im Ringertrikot oder beim Stemmen von Hanteln. Als erwachsener Athlet unterwarf er sich einem knallharten Trainingsprogramm, das Sportler heute so wohl nicht mehr akzeptieren würden. Er joggt jeden Tag einen Weinberg hoch und runter, nicht ohne sich dabei in den Entengang zu begeben oder die Arme mit Beugeübungen zu belasten. Ein Archivfilm zeigt den muskulösen Mann in roter Badehose, wie er auch bei extremer Hitze diese Routine ausführt. Auf der Matte bevorzugte er ein blaues Outfit und behielt fast immer die Oberhand – auch gegen seinen Angstgegner Tiberius Sereghely aus Rumänien, wie in einer historischen Aufnahme zu sehen ist.

Anhand vieler Archivfotos und -videos lässt sich der Werdegang der Protagonisten nachvollziehen. Sie ergänzen ihre Geschichten, indem sie direkt in die Kamera sprechen oder sich gegenseitig befragen. So plagt zwei der Ex-Athleten ein schlechtes Gewissen, weil sie für ihre Kinder nie genügend Zeit hatten. Bei der Wahl zwischen sportlicher Karriere und Familie entschieden sie sich für ersteres. Mittlerweile sind einige ihrer Kinder aber in ihre Fußstapfen getreten. Der Sohn der Sabatinis betreibt das Fitnessstudio mit und ein Sohn von Bernd Fleig errang im Biathlon bei den Winter-Paralympics 2018 in Pyeongchang eine Goldmedaille.

Mit alemannischem Stolz

Trotzdem plagen die Sabatinis mitunter finanzielle Sorgen, da der Betrieb des Fitnessstudios kein einfaches Unterfangen ist. Mit Sommeraktionen versucht das Ehepaar neue Kunden zu locken. Das Sportler-Trio und die Besucher des Studios eint eine tiefe Verbundenheit zu ihren Traditionen und Wurzeln, was auch der alemannische Einschlag bezeugt, sowie ein genereller Zusammenhalt. Man verhält sich wie in einer großen Familie, hilft sich gegenseitig, etwa beim Streichen der Außenwände des Studios, und das bei Temperaturen von über 35 Grad. Überhaupt: diese Hitze! Ständig werden im Film Rekordtemperaturen gemessen, was die Senioren allerdings nicht davon abhält, auch im Freien weiter Sport zu treiben. Wenn Freiburg also sowohl das Versprechen steter Fitness als auch brütender Sonne einlöst, darf Kalifornien gerne weiterhin ein ferner Traum bleiben.

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