Dokumentarisches Porträt | Deutschland 2024 | 107 Minuten

Regie: Philipp Fussenegger

Dokumentarfilm über die kanadische Sängerin und feministische Performerin Peaches, die Ende der 1990er-Jahre in Berlin zur Szenengröße aufstieg und sich als provokative Künstlerin etablierte. Mit umfangreichem audiovisuellem Material aus mehreren Jahrzehnten wird ihr musikalischer Werdegang skizziert, aber auch ihre politische Agenda zwischen Feminismus und sex-positiven Auftritten. Der Film ist eher Hommage als eine Außensicht und entwirft das Bild einer originellen Persönlichkeit, die mit ihrer erfrischenden Art für sich einnimmt. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2024
Produktionsfirma
Avanti Media Plus
Regie
Philipp Fussenegger · Judy Landkammer
Buch
Cordula Kablitz-Post · Schyda Vasseghi
Kamera
Dino Osmanovic
Schnitt
Judy Landkammer
Länge
107 Minuten
Kinostart
09.05.2024
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarisches Porträt
Externe Links
IMDb

Dokumentarfilm über die Sängerin und feministische Performerin Peaches anlässlich ihrer Jubiläumstournee, der Einblicke in ihr Leben vor und hinter der Bühne gewährt.

Diskussion

Der Name klingt eingängig und passt zu der Person, die ihn angenommen hat: Peaches. Bürgerlich heißt die 1966 geborene kanadische Sängerin Merrill Nisker, doch nachdem sie den Song „Four Women“ von Nina Simone gehört hatte, benannte sie sich nach der vierten im Lied besungenen Frau um. Deren Namen habe Simone besonders leidenschaftlich hervorgehoben, sagt Peaches in dem Dokumentar- und Musikfilm von Philipp Fussenegger und Judy Landkammer. Der Song handelt von der Unterdrückung und vom Kampf multiethnischer Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft, was besonders gut zum Anliegen von Peaches passt. In deren musikalischem Werk und ihren Auftritten spielt die persönliche wie sexuelle Befreiung von Frauen eine wesentliche Rolle.

Anlässlich der Tournee zum 20. Jubiläum ihres Albums „Teaches of Peaches“ im Jahre 2022 widmet das Regie-Duo der Kanadierin, die mit ihren expliziten Texten und Auftritten schon lang für Aufsehen sorgt, eine Hommage. Auf eine kritische oder auch nur objektive Distanz kommt es dabei nicht an. Der Film agiert ganz im Sinne der Musikerin und gibt ihr Gelegenheit, ihre Botschaften und Befindlichkeiten darzulegen. Die Filmemacher zeichnen die Karriere und Entwicklung einer kompromisslosen Künstlerin nach, die es sich selbst und anderen nie leicht gemacht hat.

Von Toronto nach Berlin

Dem Film kommt zugute, dass Peaches sich schon früh und regelmäßig selbst gefilmt hat. So sieht man sie schon 1994 bei einem Job in einer Kindertagesstätte, als sie auf der Gitarre Lieder vorspielt und die Kinder zum Nachspielen ermuntert. In ihrer Jugend habe sie ihre Kreativität nicht genügend ausleben dürfen, berichtet Peaches. Auch einen Brotjob hängte die Multiinstrumentalistin bald an den Nagel, um sich ganz der Musik zu widmen. Zur Jahrtausendwende zog es sie von Toronto nach Berlin, das zu ihrer Wahlheimat wurde. Den daraus resultierenden Kulturschock betrachtete Peaches offenbar als Befreiung, da sie in der liberalen Berliner Clubszene zum ersten Mal frei produzieren konnte. Außerdem erschienen ihr die Wohnverhältnisse in der deutschen Hauptstadt im Vergleich zu Toronto als geradezu idyllisch. Die Ausschnitte ihrer geräumigen Wohnung direkt an einer Straßenbahntrasse beschwören nostalgische Erinnerungen an eine Zeit herauf, als die Gentrifizierung noch nicht allgegenwärtig war.

Frühere Weggefährten und Bandkollegen wie Chilly Gonzales, mit dem sie in der Rockband „The Shit“ zusammenspielte, oder ihre Torontoer WG-Genossin, die Musikerin Leslie Feist, kommen zu Wort oder werden gemeinsam mit Peaches in Archivaufnahmen gezeigt. In Berlin vollzog Peaches auch einen musikalischen Wandel: von rockigem Punk hin zum Electroclash, einer Musikrichtung, die laut Wikipedia „sowohl elektronische als auch Rock-Elemente des Punk und New Wave (…) der späten 1970er- und frühen 1980er- mit moderner Produktionsweise im Bereich der elektronischen Tanzmusik verbindet“.

Ein kunstsinniger Vokuhila

Ausgangspunkt von „Teaches of Peaches“ ist ihre Tournee im Jahr 2022, deren Vorbereitungen und Proben mit Begleitmusiker:innen und Tänzerinnen gezeigt werden. Zwischendurch gibt Peaches vor der Kamera humorvoll, nostalgisch und mitunter auch selbstironisch Auskunft über die mühsame Zusammenstellung ihrer Songs und ihren Werdegang. Dieser erschließt sich auch rein optisch schon durch den Kontrast zwischen der jungen Peaches und ihrem heutigen Erscheinungsbild. Früher trug sie ihre braunen Locken fast schulterlang; heute tritt sie mit einem kunstvollen Vokuhila auf: das eigene Haar oben zum blonden Pony gefärbt, mit langen Strähnen als Extensions, die der Coiffeur Charlie Le Mindu entworfen hat. Der französische Haarkünstler gestaltet auch die Frisuren der Band und die flauschig-haarigen Kostüme; auf der Bühne bewegt sich Peaches teilweise wie ein an „Star Wars“ erinnernder Wookiee und schwenkt dazu ihre Mähne. Andere Kostüme beinhalten Dildos, einen Vulva-Hut oder Pantoffeln in Form weiblicher Brüste. Bei ihren Auftritten zeigt sie viel nackte Haut, bisweilen trägt sie außer Sneakers nur einen bis kurz über den Nabel reichenden Body – lediglich die Brustwarzen sind mit einem runden Plastikschutz abgedeckt.

Was manche als provokantes Verhalten interpretieren, ist für Peaches Teil ihres künstlerischen und politischen Konzepts. Herkömmliche Geschlechterrollen und (Hetero-)Sexualität hinterfragt sie in ihren Videos und Auftritten ebenso offensiv wie gängige Schönheitsvorstellungen. Einmal gab sie ein Fernsehinterview in der Badewanne. Andere Auftritte wurden zensiert: Ein Video ihres größten Hits „Fuck the Pain Away“ in der BBC-Popsendung „Top of the Pops“ wurde nicht ausgestrahlt, und als sie im Video zu „Set It Off“ durch Tricktechnik ihr unter der Kleidung hervorquellendes Achsel- und Schamhaar wachsen ließ, kündigte ihr die Plattenfirma Sony.

Eine erfrischende Künstlerin

Doch die Gunst des Publikums ist Peaches über die Jahrzehnte erhalten geblieben. Bei der Jubiläumstour tragen sie die Fans bei der nicht ganz ungefährlichen Disziplin des Crowdsurfings buchstäblich auf den Händen. Ihr Tourmanager und Lebenspartner Black Cracker sowie Ex-Kollege Chilly Gonzales stellen sicherheitshalber jedoch klar, dass die Kunstfigur auf der Bühne und die private Peaches zwei unterschiedliche Personen sind. Gelage und Partys gebe es auf Tour nur selten. Auch ihr Alter inszeniert Peaches selbstironisch auf der Bühne. Einmal bewegt sie sich scheinbar mühevoll mit einem Rollator vorwärts, dann wiederum lässt sie in Tanzeinlagen viel Gelenkigkeit erkennen. Durch die erfrischende Art der Protagonistin schafft es der Film, sowohl ihre Fans anzusprechen wie auch neue Zuschauer auf Peaches aufmerksam zu machen.

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