Confessionnal

Detektivfilm | Kanada/Großbritannien/Frankreich 1995 | 101 Minuten

Regie: Robert Lepage

Ein junger Mann trifft in Quebec seinen Adoptivbruder wieder, der auf der Suche nach seinem Vater ist: In den 50er Jahren, als Alfred Hitchcock seinen Film "I Confess" in Quebec drehte, kam Marc als uneheliches Kind zur Welt, und seine Mutter beging Selbstmord. Der intelligent gemachte Thriller bezieht seine Spannung aus dem Reichtum an Verknüpfungen der verschiedenen Zeit- und Realitätsebenen. Obwohl teilweise überkonstruiert, ist der Film dank zahlreicher guter Einfälle ein anregendes Erlebnis. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
LE CONFESSIONNAL
Produktionsland
Kanada/Großbritannien/Frankreich
Produktionsjahr
1995
Produktionsfirma
Cinémaginaire/Enigma/Cinéa
Regie
Robert Lepage
Buch
Robert Lepage
Kamera
Alain Dostie
Musik
Sacha Puttnam
Schnitt
Emmanuelle Castro
Darsteller
Lothaire Bluteau (Pierre Lamontagne) · Patrick Goyette (Marc Lamontagne) · Jean-Louis Millette (Raymond Massicotte) · Kristin Scott Thomas (Hitchcocks Assistentin) · Normand Daneau (Massicotte als junger Priester)
Länge
101 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Detektivfilm
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Diskussion
Zur Beerdigung seines Vaters kehrt Pierre Lamontagne 1989 nach Québec zurück, in eine Stadt, die ihm durch einen mehrjährigen Aufenthalt in China fremd geworden ist. Zufällig begegnet er in dem Hotel, in dem er als Kellner arbeitet, seinem Adoptivbruder Marc wieder. Dies bringt die Erinnerung an die 50er Jahre zurück. 1952 war die Stadt in Aufruhr, weil Alfred Hitchcock dort seinen Film "I Confess" ("Ich beichte"/"Zum Schweigen verurteilt", fd 2682) drehte. In der Familie Lamontagne herrschten Spannungen, weil Françoise, Pierres Mutter, unter ihrer Kinderlosigkeit litt und der Vater Paul-Emile, der sich nach seiner Marinezeit erst wieder im zivilen Leben zurechtfinden mußte, die Depressionen seiner Frau manchmal nur schwer ertragen konnte. Françoises Schwester Rachel war in der Pfarrei, in der die Dreharbeiten stattfanden, beschäftigt. Sie zog zu ihrer Schwester und ihrem Schwager. Als sie plötzlich schwanger wurde, beichtete sie das dem jungen Kaplan Massicotte, der in Verdacht geriet, der Vater zu sein. Pierre findet nur schwer Kontakt zu Marc, der innerlich zerrissen und orientierungslos ist, denn die Ungewißheit seiner eigenen Herkunft hat ihn nie zur Ruhe kommen lassen. In der Beziehung zu einer Stripperin, mit der er ein Kind hat, herrschen auch nur Spannungen vor. An Marc wiederholt sich das Schicksal seiner Mutter, die Selbstmord beging. Pierre, der die Spuren zu dem jungen Priester verfolgt hat, kommt einer Tragödie auf die Spur, die der Schuldige damals nur in verschlüsselter Form als Idee für einen Suspense-Film Alfred Hitchcock beichten konnte, der dazu bemerkte: "Das ist keine Suspense- Story, sondern eine griechische Tragödie."

Robert Lepage, der als einer der wichtigsten Theaterregisseure Kanadas gilt, ist in Deutschland vor allem als Schauspieler durch seine Rolle in Denys Arcands "Jesus von Montreal" (fd 28 106) bekannt: dort verkörpert er den theaterbesessenen Schauspieler Rene, dessen Ambition darin besteht, den "Hamlet"- Monolog in das Passionsspiel einzubauen. Auch in "Confessionnal" (dt. "Der Beichtstuhl"), Lepages Spielfilmdebüt, ist die Grundidee die ungewöhnlicher Verknüpfungen. Gegenwart und Vergangenheit, Eltern und Kinder, Film und Wirklichkeit sind miteinander verbunden. Die Gegenwart wird durch die Rückblenden in die Vergangenheit erhellt, und die Vergangenheitsebene ist in sich wieder mehrschichtig. Der Wirbel, den das Film-team in Quebec entfacht, die Diskussionen um Drehgenehmigungen bis zu Zensurmaßnahmen stehen in Kontrast zu den Konflikten in der Familie Lamontagne. Und die Geschichte des Hitchcock-Films weist Parallelen zur Wirklichkeit auf - und in beiden Fällen gerät ein junger Priester in Verdacht. Auf mehreren Ebenen wird auch das zentrale Thema der Schuld reflektiert: die Schuld des Mannes, der Rachel geschwängert hat, die Schuld Rachels, die Selbstmord begeht, und die Schuld des jungen Priesters, dem Rachel ihre Selbstmordabsichten in der Beichte anvertraut hat, der sich aber auch - wie sich später enthüllt - mit seinen homosexuellen Neigungen auseinanderzusetzen hatte. Das Verhältnis zwischen Pierre und seinem Adoptivbruder ist von Spannungen und Schuldgefühlen bestimmt, und Pierres geradezu verzweifelte Bemühungen, durch Überstreichen der Wände in der Wohnung seines Vaters die Spuren der Vergangenheit zu tilgen, läßt Konflikte erahnen, die zum Verlassen der Heimatstadt geführt haben. Der intelligent gemachte Film bezieht viel von seiner unterschwelligen Spannung aus dem Reichtum an Assoziationen und Verknüpfungen und erhält besonders für Cineasten einen Reiz durch die Hitchcock-Geschichte. Trotz der ruhigen Erzählweise wird der Film nicht langweilig. Man merkt jedoch, daß die Konstruktion der Geschichte den Regisseur und Autor offenbar mehr interessiert hat als die Figuren, zu denen man eher auf Distanz bleibt. Einzelne Szenen und Elemente wie das Schachspiel mit Weingläsern oder die Tätowierung Pierres tragen zur Verrätselung bei, haben aber kaum eine tiefergehende Funktion in der Entwicklung der Geschichte. Der gewisse Hang zur Überkonstruiertheit wird auch in der formalen Gestaltung erkennbar, aber neben Einstellungen, die allzu gesucht erscheinen, findet Lepage auch immer wieder elegante Szenenübergänge und überzeugende visuelle Auflösungen, die den Film zu einem anregenden Erlebnis machen.
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