Ridley Scotts „Alien“
(fd 22 226) ist einer der kanonischen Filme des letzten Vierteljahrhunderts. Schon nach kurzer Zeit fanden sich zahllose Nachahmungen dieser suggestiven Horror-Science-Fiction, fand seine revolutionäre Ästhetik breiten Eingang in die Popkultur. „Alien“ wurde als vielschichtiger visionärer Entwurf erkannt, voller Suspense und mythischer Kraft, als zeitlose Parabel auf das Verhältnis von Mensch und Natur, Mensch und Technik, Mensch und Anderem, ein von Sexualmetaphern, archaischen Ängsten und Paranoia geprägtes Zeugnis aus dem Unterbewusstsein, dem sich nur wenige entziehen konnten. Vielleicht repräsentiert kein zweiter Film so sehr den Zeitgeist um 1980 und nimmt zugleich alles vorweg, was schon virulent war, aber erst in den folgenden Jahrzehnten offenkundig wurde: das Ende der Fortschrittsutopien; die Erschöpfung des Technikglaubens im Bild des Raumschiffs als einer schweren Metallmaschine, die mehr an eine Industrieruine erinnert als an Zukunftsträume, ächzend und schnaufend, mit tropfender Kondensflüssigkeit, dunkel und chaotisch. Ihm gegenüber steht die Natur, der amoralische „perfekte Organismus“ des Alien, das nur durch die Basisinstinkte Fortpflanzung und Selbstschutz dominiert wird. Wenn so der perfekte Organismus ist, dann sind wir der unperfekte.
Nun kommt „Alien“ zurück als „Director’s Cut“. Der größere Teil, aber nicht alle entfallenen Szenen sind nun zu sehen. Während „Alien“ ursprünglich vor allem das Zeigen vermied, den Horror aus der Vorstellungskraft entwickelte und damit ausdrückte, dass das Fremde immer Projektion ist, zeigt die neue Fassung etwas mehr. Vor allem die Beziehung der beiden Frauen an Bord wird komplexer. Wichtigste Neuerung ist die berühmte „Cocoon-Sequenz“, die Essenzielles hinzu fügt und die Story verändert, indem der vermeintlich tote Kommandant Dallas von Ripley aufgefunden wird: vom unbekannten Wesen als Brutstätte genutzt. Dieses Bild zeigt das Alien nicht nur als Zerstörer, sondern betont seine Gebärerseite – zugleich wird Ripley, konfrontiert mit Dallas’ Flehen, gezwungen, ihn zu töten und die Cocoons zu zerstören. Sieht man den Film heute wieder, fällt auf, wie wenig er gealtert ist. Manche Aspekte des düsteren Zukunftsbildes glaubt man erst jetzt in ihren Dimensionen wirklich zu erfassen: „Alien“ spielt in einer Welt, in der Mega-Companys den Staat abgelöst haben; statt von Bürgerrechten sind die Verhältnisse von Befehl und Gehorsam bestimmt. Die Raumfahrer sind keine Idealisten, sondern Söldner. Ihr Verhältnis ist eines der Isolation, es herrschen kühle, geschäftsmäßige, von Klassendifferenzen geprägte Beziehungen – es fällt leicht, hierin eine nur geringfügig verschärfte Konsequenz neoliberaler Ideologien zu erkennen. Ein zweiter, sehr zeitgemäßer Aspekt ist, dass hier bereits früh der biotechnologische Diskurs ins populäre Kino eingeführt wird: Das Alien tritt zunächst als Parasit auf, das einen Menschen als Wirtskörper missbraucht, seine späteren Mutationen – Stahlzähne, Säureblut, Plastikhaut – aber lassen es als ein biomechanisches Wesen erkennen.
Vor allem am Anfang gilt: Stil ist Substanz. Die Schrift des Vorspanns zeigt, wie der Horror sich ereignen wird: langsam, zögernd, aber unwiderstehlich. Zunächst ist Leere, Stille, Horror vacui, der durch den subtilen Soundtrack verstärkt wird. Erkennbar beeinflusst von Kubricks „2001“ (fd 15 732), entwirft Scott eine aseptische, keineswegs zu Optimismus ermunternde Zukunftswelt aus klaustrophobischen Gängen und unheimeliger Zweckrationalität. Die Dinge dominieren die Menschen. Einer der ersten Kamerablicke geht auf die Notfallausrüstung, die am Ende eine entscheidende Rolle spielen wird. In der Scheibe des Helms spiegelt sich der das Raumschiff kontrollierende Computer „Mother“, eine Referenz an Kubricks HAL. Wie diese Stille und das Nichtgeschehen allmählich in eine Atmosphäre der Bedrohung münden und sich aus ihr das Grauen entfaltet, wirkt ungebrochen. Die Sünde der Neugier wird zum Auslöser der Katastrophe. Vor allem drei Schlüsselszenen setzen sich im Gedächtnis fest. Die erste ist der Moment, in dem der verletzte Astronaut Kane wieder ins Raumschiff gelassen werden soll. Es fällt der späteren Heldin Ripley zu, gegen Humanität – Rettung des Verletzten – antiliberal zu argumentieren: „Er könnte infiziert sein. Wir könnten alle sterben.“ Man kann dies als Fremdenfeindlichkeit deuten oder als instinktive Schutzmassnahme vor Tod, Krankheit, auch Vergewaltigung. In jedem Fall gibt der Verlauf Ripley recht, die die Freiheit zugunsten der Sicherheit einschränken wollte – ein Reflex der US-Debatte über „Illegal Aliens“ die Ende der 1970er- Jahre geführt wurde. Die zweite Szene ist die berühmteste: Das Hervorbrechen des Alien aus der Bauchdecke des zum Wirtstier degradierten Kane: Der von Splatter-Effekten begleitete metaphorische Geburtsvorgang macht das Alien für einen Augenblick gut sichtbar: eine hermaphroditische Mischung aus phallischer Form und Vagina dentata. Der dritte entscheidende Moment sind die letzten Minuten. Nachdem Ripley mit der Rettungskapsel „Narcissus“ geflohen ist, scheint die Gefahr überstanden. Entspannt zieht sie sich aus, um die Schlafkapsel zu betreten. Zuvor war sie eine der ersten „toughen“ Heldinnen der Filmgeschichte, ein Reflex der Frauenbewegung, deren Benehmen immer etwas betont Maskulines hatte; nun ist sie als verführerische Frau erkennbar. Die Kamera nimmt eine niedrigere, die Erotik des Moments betonende Perspektive ein und macht den Zuschauer zum Voyeur – denn Sekunden später bricht genau auf Augenhöhe das Alien wieder hervor. Noch einmal muss Ripley kämpfen und dazu in die – asexuelle – zweite Haut eines Raumanzugs schlüpfen. Dann erst kann sie das Alien besiegen. Im letzten Bild liegt sie in ihrer Schlafkammer wie Schneewittchen – es könnte auch ein Sarg sein.
Die Welt von „Alien“ ist düster und pessimistisch. Wo etwa Steven Spielberg vor dem Hintergrund von Vietnam und Watergate, dem Verblassen der Hoffnungen von 1968, den liberalen Traum der Versöhnung mit dem Fremden träumte, liefert Scott einen Albtraum: Schock, Furcht, Schaudern wechseln sich ab, am Ende steht die Katastrophe. Das Alien ist feindselige Mordmaschine, mit der Kommunikation nicht möglich ist (bzw. erst in den Sequels möglich wird), die überlebende Heldin keine Rebellin, sondern diejenige, die sich auf „Ordnung“ beruft und an dem allzu mitfühlenden Verhalten ihrer Kollegen fast zugrunde geht. Das Raumschiff lässt sich als eine Erde im Kleinformat deuten, in der das Leben ein Sein zum Tode ist. Reaktionär muss dies nicht sein. „Alien“ präsentiert eine der „stärksten“ Frauen der Filmgeschichte. Die weißen Männer sterben zuerst, dann der Schwarze, den Endkampf überleben eine Frau und ein Tier – alles Brüche mit dem herkömmlichen Narrativen des Mainstream. „Alien“ ist ein Beunruhigungsfilm. Es sind daher nicht so sehr andere Science- Fiction-Film der Epoche, die einem als Referenzen einfallen, sondern traumatische Reisen ins Innere des Selbst. Ob Coppolas „Apocalypse Now“ (fd 22 192) oder Spielbergs „Der weiße Hai“ (fd 19 584): gemeinsam ist ihnen die Negierung der romantischen Idee der Selbstfindung. Was bleibt, ist erschöpfte Selbstbehauptung. Am Ende hat Ripley keineswegs ihren Frieden gefunden. Die Bedrohung schlummert nur, die Welt ist aus den Fugen und wird nie mehr, was sie war.