Biopic | Österreich/Luxemburg/Deutschland 2014 | 96 Minuten

Regie: Jessica Hausner

Der Dichter Heinrich von Kleist (1777-1811) findet in seiner Bekannten Henriette Vogel (1780-1811) eine Seelenverwandte und schließt, als sie von einer tödlichen Erkrankung erfährt, mit ihr einen Selbstmordpakt. Das in makellosen, aber aseptischen Bildern erstarrende Historiendrama stellt die ebenso kluge wie verlorene junge Frau in den Mittelpunkt und beschreibt ihr Schicksal auf universale Weise. Auch darstellerisch uneinheitlich, lässt der Film jede Form von Lebendigkeit vermissen und wird in seiner artifiziellen Kunstsprache weder der dargestellten Epoche noch seinen Figuren und seinem Thema gerecht. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
AMOUR FOU
Produktionsland
Österreich/Luxemburg/Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
Coop99 Filmprod./AMOUR FOU Luxembourg/Essential Filmprod.
Regie
Jessica Hausner
Buch
Jessica Hausner
Kamera
Martin Gschlacht
Schnitt
Karina Ressler
Darsteller
Birte Schnöink (Henriette) · Christian Friedel (Heinrich) · Stephan Grossmann (Friedrich Louis Vogel) · Sandra Hüller (Marie) · Katharina Schüttler (Sophie)
Länge
96 Minuten
Kinostart
15.01.2015
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Biopic | Historienfilm
Externe Links
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Diskussion
„Wollen Sie mit mir sterben?“, fragt der junge, offenkundig recht schüchterne Mann unvermittelt eine fremde Dame. Die errötet und blickt noch ein wenig entschlossener zu Boden, auf das geometrische Muster eines Sessels. Doch entgegen manchen Gerüchten ist dies kein Film über Heinrich von Kleist, Henriette Vogel und den gemeinsamen Selbstmord der beiden am Wannsee. Die Werbetexte zum Film führen auch in die Irre, wo sie suggerieren, hier würde irgendetwas von Belang über jene Epoche um 1800 ausgesagt, in der die Moderne entstand und in der Kleist, einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller aller Zeiten, Texte schrieb, die wie weniger andere zum Ausdruck einer geistig-ästhetischen Revolution wurden. Ein paar hübsche Kleist-Sätze dekorieren die Einfälle und Erfindungen der Macher, Kostüme und Möbel entsprechen weitgehend unserer Vorstellung der Epoche – mehr historischen Bezug gibt es nicht. Unter den zahlreichen Filmen über diese Epoche ist „Amour Fou“ ein Solitär. Zu seinem historischen Gegenstand verhält er sich ähnlich wie der zu Unrecht vergessene „Baader“ (fd 35 624) von Christopher Roth. Fehlte nur noch, dass sich „Heinrich“ am Ende des Films doch nicht umbringt. Soviel Chuzpe geht Jessica Hausner, die begabteste österreichische Regisseurin nicht nur ihrer Generation, allerdings ab. Der Name Kleists fällt aus guten Gründen nie. Man tut „Amour Fou“ daher einen Gefallen, wenn man ihn als völlige Fiktion begreift. Heinrich und Henriette sind lose Bekannte, sie lieben sich nicht, aber vertrauen einander, zumindest so weit, dass es zu den Vorbereitungen ihres gemeinsamen Freitods taugt. Hauptfigur Henriette ist eine verheiratete Mutter und chronisch krank. Heinrich wirkt egoman, frivol, und ohne erkennbaren Leidensdruck. Eine Lachnummer. Frühere Filme von Hausner wie „Lovely Rita“ (fd 35 377), „Hotel“ (fd 37 671) oder „Lourdes“ (fd 39 801) besaßen einen sehr besonderer Humor, der auf die Skurrilität zwischenmenschlicher Kommunikation zielte, auf die Abgründe, die jeden Einzelnen von allen anderen trennen. Diese kann man auch in „Amour Fou“ finden. Mehr aber interessiert Hausner an dem Stoff ein universales Frauenschicksal mit feministischen Konsequenzen. Henriette ähnelt Hausners anderen Frauenfiguren: Verloren, passiv, dabei gierig auf Neues und offen, wird sie zum Opfer der Rituale einer männergeprägten Welt. Ihr letzter Satz bricht einfach ab: „Was ich noch sagen wollte...“ So funktioniert der Humor des Films: Mehr edel kostümierter Salon-Zynismus als Ironie. Stilistisch ist dies ein Antikostümfilm-Kostümfilm, eine didaktische Lektion für alle, die in vergangenen Zeiten schwelgen möchten: Eintauchen darf nicht sein, Anteilnahme ist Trug, zur Empörung soll es nicht kommen, Abbilder gehören dekonstruiert und Wahrheit ist sowieso Illusion – dies ist inzwischen akademischer Mainstream. Der Schauspieler-Ton schwankt zwischen Bressonʼschem „leer Sprechen“, Rohmerʼscher Zurückhaltung und unvermitteltem Overacting, wie man es von Theaterschauspielern kennt. Jeder befindet sich hier auch sprachlich in seiner eigenen Welt. Die Bilder sind makellos, aber auch clean; ihre Aseptik steigert den Eindruck des Artifiziellen noch. Alles ist starr und leblos, es gibt keine Zooms und keine Schwenks, keine einzige Kamerafahrt, bis auf eine am Ende – der Tod als Befreiung aus einem statischen Lebenskäfig? Noch nie hat Hausner so wenig spielerisch gewirkt, noch nie so skrupulös wie in ihrem ersten „historischen“ Werk. Während Dominik Grafs „Die geliebten Schwestern“ (fd 42 491) ein Film der Bewegung ist, wirkt dieser starr; während Graf die Figuren nahebringen will, was an ihnen universal und aktuell ist, hält „Amour Fou“ die Figuren bewußt fern. Im Gegensatz zum konventionellen Historienkino setzt Hausner dabei auf reine Künstlichkeit statt auf die üblichen Verfremdungseffekte. Nur die Hunde sind hier lebendig. Von Kleist hätte man aber durchaus lernen können, dass Ratio und Anmut, Kontrolle und Grazie einander bedingen.
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