Dieses Sommergefühl

Drama | Frankreich/Deutschland 2015 | 107 Minuten

Regie: Mikhaël Hers

Der plötzliche Tod einer jungen Französin lässt ihr Umfeld fassungslos zurück und setzt einen mehrjährigen Trauerprozess in Gang. Dabei machen der amerikanische Freund der Toten sowie deren Schwester und Eltern unterschiedliche Erfahrungen des Weiterlebens, ohne dass die eigentlichen Gefühle ausgesprochen würden. Still beobachtende, dabei sehr intensive Studie über Trauerarbeit, die zugleich das stimmige Soziogramm einer kosmopolitischen Generation von Kreativen um die 30 bietet. Mit Anleihen bei Filmen von Eric Rohmer und Joachim Trier beeindruckt das erfrischend wortkarge Drama vor allem auch durch die interpretatorische Offenheit seiner Situationen und Figuren. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
CE SENTIMENT DE L'ÉTÉ
Produktionsland
Frankreich/Deutschland
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Nord-Ouest Films/Arte France Cinéma/Katuh Studio/Rhône-Alpes-Cinéma
Regie
Mikhaël Hers
Buch
Mikhaël Hers · Mariette Désert
Kamera
Sébastien Buchmann
Musik
David Sztanke
Schnitt
Marion Monnier
Darsteller
Anders Danielsen Lie (Lawrence) · Judith Chemla (Zoé) · Marie Rivière (Adélaide) · Féodor Atkine (Vladimir) · Dounia Sichov (Ida)
Länge
107 Minuten
Kinostart
03.11.2016
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
good!movies
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Entspannt inszenierte Trauer-Studie über drei Jahre und die Stationen Berlin, Paris und New York

Diskussion
Als Sasha, eine junge Frau Ende 20, auf dem Nachhauseweg von ihrer Arbeit im Künstlerhaus Bethanien im Park plötzlich umfällt und kurz darauf stirbt, ist das (auch) ein Schock für den Zuschauer, denn Regisseur Mikhaël Hers hatte zuvor alles ganz unspektakulär, aber konzentriert gezeigt: ihr Aufwachen, ihr Ankleiden, ihre Arbeit, ihre Alltagsroutine. Nun ist die in Berlin lebende Französin tot, und der Film hat seine vermeintliche Protagonistin verloren. Sashas Familie – Vater, Mutter, Schwester Zoé – reist zur Erledigung der Formalitäten und der Beisetzung an. Fassungslos ist auch Sashas Freund Lawrence, ein (wie man erst später erfährt) Schriftsteller, den es aus New York nach Berlin verschlagen hat. Sashas Tod als Skandalon: Der Film beobachtet, registriert, hält aber zurück, wovon er erzählen möchte und kann, auch weil das Ensemble von Figuren auf unterschiedliche Weise davon betroffen ist. Es gibt keine Rückblenden, die die Geschichte von Sasha und Lawrence rekapitulieren, nur die Gegenwart des Weiterlebens. In der trifft sich Lawrence mit June, einer Freundin aus New York. Man spricht miteinander und verbringt einige Tage zusammen. Ein Jahr später besucht Lawrence Zoé in Paris, die Mutter eines Sohns ist. Deren Leben hat sich mittlerweile verändert: Sie lebt getrennt von ihrem Mann und arbeitet nachts in einem kleinen Hotel. Gemeinsam besuchen Zoé und Lawrence eine Party, vermeiden oder versäumen aber, über ihre Trauer zu sprechen. So forciert der Film darauf besteht, dass sich „das Leben“ nicht einer Dramaturgie von Plot Points fügt, so arbeitet der Film doch mit Verdichtungen, weil er versucht, über die Protagonisten etwas von der Atmosphäre eines Lebensgefühls und unterschiedliche Mentalitäten einzufangen. Dazu gehört der zumeist etwas mehr als nur skizzenhafte Einbezug von Neben- und Randfiguren, die weitere Geschichten andeuten. Oder der sehr spezifische Einsatz von geschmackvoll kompilierter Musik. Ein Besuch im Elternhaus in Annecy zeigt Zoé, wie ihre Eltern mit dem Verlust des Kindes umgehen. Ein weiteres Jahr vergeht. Mittlerweile ist Lawrence nach Brooklyn zurückgezogen und hat neue Bekanntschaften gemacht. Diesmal ist es Zoé, die auf dem Weg nach Tennessee einen Zwischenstopp eingelegt. Sie hat sich endgültig von ihrem Mann getrennt und eines alten Studienfreunds erinnert, den sie besuchen will. Auch Lawrence, noch immer trauernd, steht im Begriff, sich neu zu verlieben. Man feiert Partys, besucht Konzerte, redet und lebt weiter. Mit seiner erfrischend wortkargen Studie über Trauerarbeit gelingt Mikhaël Hers gleichermaßen ein Soziogramm und ein Psychogramm einer Generation von Kreativen um die 30, die sich mit einiger Souveränität kosmopolitisch zwischen den „hippen“ Orten der nördlichen Hemisphäre bewegt und bewegen kann, weil sich die Kulturen weitgehend assimiliert haben. Wobei das Bild von Berlin aufgrund der Ereignisse etwas unscharf bleiben muss. Mit seiner interessanten Besetzung – der Norweger Anders Danielsen Lie einmal mehr als sensibler Schriftsteller wie zuletzt in „Alice und das Meer“ (fd 44 145), Marie Rivière als Sashas Mutter – besetzt Hers konsequent ein Feld zwischen Joachim Trier und Eric Rohmer. Auch Lana Cooper als Lawrences Freundin June fügt sich vorzüglich ins Ensemble. So bleibt dem Zuschauer dieses auf stille Weise höchst intensiven und offenen Films sehr viel Zeit, die Figuren zu beobachten, sich in die Milieus und Interieurs zu vertiefen und sich durch die zelebrierte, seltsam zwischen den Jahrzehnten irrlichternde Musik von Felt, Ben Watt oder auch Nick Garrie stilsicher in der eigenen Plattensammlung zu verlieren. Schlicht großartig!
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