Family Business (2015)

Dokumentarfilm | Deutschland 2015 | 93 Minuten

Regie: Christiane Büchner

Die polnische Pflegerin Jowita ist eine der vielen Helferinnen, die alte Menschen in Deutschland rund um die Uhr betreuen. Finanzielle Nöte haben sie nach Bochum geführt, wo sie sich um eine 88-Jährige Rentnerin kümmert. Allerdings kommen die beiden nicht sonderlich gut miteinander aus, was den halbjährlichen Einsatz zu einer unharmonischen, mitunter aber auch ausgesprochen komischen Angelegenheit macht. Der vordergründig unspektakuläre, aber äußerst aufschlussreiche Dokumentarfilm lebt von wunderbaren Kameraeinstellungen und ist von großer Empathie getragen. Die Gestaltung enthält sich jeder Form von Schuldzuweisung und gibt beiden Frauen Raum, karikiert den tragischen Kleinkrieg aber durch eine betonte Nüchternheit. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2015
Produktionsfirma
Bückner & Heller Film/Büchner Filmprod.
Regie
Christiane Büchner
Buch
Christiane Büchner
Kamera
Justyna Feicht · Thomas Plenert
Musik
Ben Lauber
Schnitt
Henk Drees · Stefan Oliveira-Pita
Länge
93 Minuten
Kinostart
28.01.2016
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm

Heimkino

Verleih DVD
Real Fiction (16:9, 1.78:1, DD5.1 pol./dt.)
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Humorvolle Doku über eine polnische Seniorenpflegerin

Diskussion
Das Problem ist hinlänglich bekannt. Da Drei-Generationen-Haushalte in westlichen Industrienationen inzwischen die Ausnahmen sind, stellt sich für Kinder irgendwann unweigerlich die Frage: was tun mit den Eltern, wenn diese ihren Alltag nicht mehr allein bewältigen können, aber eine Heimunterbringung vorerst nicht in Frage kommt? Ambulante Pflegedienste sind ein boomender Geschäftszweig, doch wenn die Senioren eine Rund-um-die Uhr-Betreuung brauchen, ist deutsches Personal kaum zu finanzieren. Viele der Helferinnen, die bei den Senioren in Deutschland wohnen und arbeiten, kommen deshalb aus osteuropäischen Ländern. Jowita etwa, die der Dokumentarfilm von Christiane Büchner bei ihrem ersten Job in Deutschland begleitet. Zunächst sieht man sie daheim in Polen, wo sie mit Mann und Tochter seit Jahren in ihrem halbfertigen Haus wohnt, da das Geld zur Vollendung fehlt. Nach einem Vorbereitungsseminar bricht Jowita nach Bochum auf, wo sie die alleinstehende Anne in deren Eigenheim betreuen soll. Die 88-Jährige ist nicht mehr gut zu Fuß und von ersten Symptomen der Demenz geplagt. Ihre beiden Töchter, die längst eigene Familien haben und anderswo leben, können die Dauerbetreuung nicht leisten und haben sich deshalb für den Pflegedienst entschieden. Als Jowita ihre Arbeit aufnimmt, wird schnell deutlich, dass die beiden Frauen einander nicht ins Herz schließen werden. Misstrauisch beäugt die Seniorin vom Sofa aus jeden Schritt der fremden Frau in ihrem Haushalt, nörgelt über deren Raucherpausen auf dem Balkon und beklagt sich über mangelhafte Deutschkenntnisse. „Die ist blöd, nicht meine Kragenweite“, sagt Anne bei einem Besuch zu ihrer Tochter. Der Film bleibt nahezu die gesamte Zeit in der Wohnung, beobachtet die alltäglichen Verrichtungen der beiden Hauptprotagonisten und die vorsichtigen Versuche einer Annäherung. Zwischendurch erklärt Jowita in Statements für die Kamera ihre Gemütsverfassung, klagt über Heimweh und ihr Unbehagen an der Situation. Nach zwei Monaten, exakt zur Mitte des Films, kommt ihre Ablösung: Anja, ebenfalls Polin, die schon länger in dem Job ist, besser Deutsch spricht und entsprechend selbstbewusster auftritt. Der Film begleitet Jowita zurück in ihre Heimat und dann wieder zu ihrem nächsten Einsatz bei Anne. Das alles ist vordergründig unspektakulär und doch ist der Dokumentaristin ein unbedingt sehenswerter Film gelungen, der trotz des distanzierten Blicks auf das Geschehen von großer Empathie getragen ist. Die Gestaltung besticht überdies durch wunderbare Kameraeinstellungen und eine (sparsam dosierte) Originalmusik. Dabei bleibt der Film ohne jeden Kommentar und bezieht auch sonst keine Position, etwa in Form von Schuldzuweisungen. Ist man anfangs geneigt, Jowita wegen Annes Schikanierungen zu bemitleiden, macht eine eingeschobene Sequenz mit privaten Urlaubsfilmen deutlich, dass die verhärmte Seniorin früher eine agile und lebenslustige Frau war. Zwischendurch ist der Film mit dem täglichen Kleinkrieg der beiden so unterschiedlichen Frauen bei aller Tragik aber auch einfach nur zum Brüllen komisch.
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