Kommen Rührgeräte in den Himmel?

Dokumentarfilm | Deutschland 2016 | 101 Minuten

Regie: Reinhard Günzler

Eine unglücklich verliebte Frau aus Jena wendet sich nach einem geplatzten Rendezvous dem orangefarbenen Ost-Rührgerät RG 28 zu, das sie eigens erstanden hat, um den Mann mit einem Kuchen zu beeindrucken. Diese spielerische Ebene dient als Folie für einen Dokumentarfilm über die Langlebigkeit sozialistischer Gebrauchsgüter. Konstrukteure, Designer, Arbeiterinnen und Ökonomen erinnern sich an eine untergegangene Art des Herstellens. Obwohl keine kritischen Stimmen zu Gehör kommen, verblüfft der von Nostalgie ungetrübte Blick auf die ostdeutsche Produktion, in dem alles Thesenhafte zugunsten einer träumerischen Liebe zum Gegenstand zurückgestellt wird. Ein kulturphilosophisch erfrischender, provozierend unzeitgemäßer Beitrag zur Nachhaltigkeitsdebatte. - Sehenswert ab 14.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Clip Film
Regie
Reinhard Günzler
Buch
Reinhard Günzler
Kamera
Frank Sthamer
Musik
Eike Hosenfeld · Erik Swiatloch · Andreas Waldheim
Schnitt
Sebastian Pehl
Länge
101 Minuten
Kinostart
29.09.2016
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
IMDb | TMDB | JustWatch

Dokumentarische Hommage auf die realsozialistische Warenwelt

Diskussion
Carmen hat sich verliebt. Einen Kuchen will sie für ihn backen, wofür sie eigens ein Rührgerät anschafft. Das Backen aber ist nicht ihre Sache. Dann gibt auch das Rührgerät seinen Geist auf. Sie versucht es zu reparieren, doch es lässt sich nicht öffnen. Also nochmal aufs Fahrrad und ab in den Elektro-Markt. Unterwegs sieht sie ein altes Rührgerät auf dem Flohmarkt. 20 Euro, da greift sie zu. Und siehe da, es funktioniert. Der Kuchen ist zubereitet, die gekühlte Flasche Weißwein steht bereit. Doch Carmen wird versetzt. Was für ein Tag. Kann man sich auf nichts mehr verlassen, nicht mehr auf Menschen und nicht mehr auf Dinge? Welche Beziehungen haben wir eigentlich zu unseren Dingen, fragt sich Carmen. Und begibt sich auf die Suche, zuerst in der Bibliothek und dann mit dem Zug quer einmal quer durch den deutschen Osten, um dem Geheimnis ihres neuen Freundes auf die Spur zu kommen, des Rührgeräts RG28. Eine Antwort auf die titelgebende Frage bekommt Carmen zwar nicht. Dafür aber erfährt sie, wie das RG28 innen beschaffen ist, wie es hergestellt wurde und welche Beziehung die Mitarbeiter des VEB Elektrogerätewerks zu den von ihnen produzierten Elektrogeräten hatten. Erstaunlicherweise kommen keine kritischen Stimmen zu Wort; das Arbeitsklima im Kombinat war anscheinend von einer beispielhaften Mitmenschlichkeit geprägt. Da sei jeder mit Respekt behandelt worden. Ist das Rührgerät RG28 ein Symbol dafür, dass die sozialistische Utopie teilweise auch Realität und zudem eine der Nachhaltigkeit war? Von diesem konkreten Beispiel eines in der DDR hergestellten Gebrauchsgegenstandes, der nahezu unkaputtbar gewesen zu sein scheint (viele Exemplare funktionieren wohl heute noch), erweitert der Dokumentarist Reinhold Günzler den Horizont hin zum großen Thema des nachhaltigen Konsums. Damit verlässt der Film auch weitgehend die anfängliche Vermischung von Fiktion und Dokumentation. Ob es weiterhin Carmen oder die Schauspielerin Laura Angelina Palacios ist, die als Erzählerin fungiert, spielt zunehmend keine Rolle mehr. Begrüßenswert ist der sparsame Einsatz von Musik. Während andere Umweltfilme Musik über ihre ohnehin oft viel zu pathetischen Bilder donnern, wird hier behutsam vorgegangen. Auffälliger wird die Musik nur dann, wenn Carmen in betont kitschig inszenierten Bildern mit dem RG28 tanzt, es dabei zärtlich an ihre Wange drückt und es, nicht ohne Begehren im Blick, sogar küsst. Während in der herkömmlichen Werbeästhetik die Frau selbst zum Objekt gemacht wird, indem die erotische Beziehung zum Gebrauchsgegenstand vor allem über ihre eigene Erotisierung stattfindet, wird die Liebe zum Produkt hier zu einer minimalistischen Essenz verdichtet: dass sich die Frau auf dieses Ding verlassen kann.
Kommentar verfassen

Kommentieren