Land in Sicht (2013)

Dokumentarfilm | Deutschland 2013 | 97 Minuten

Regie: Judith Keil

Scheich Abdul stammt aus dem Jemen, der stille Farid kommt aus dem Iran, Brian wurde in Kamerun geboren - gemeinsam ist ihnen, dass sie in der brandenburgischen Kleinstadt Bad Belzig leben und teilweise seit Jahren auf die Anerkennung ihrer Asylanträge warten. Ein erhellender, kurzweiliger Dokumentarfilm über das Schicksal, als Flüchtling in Deutschland eine neue Heimat zu suchen. Im Spiegel der fremden Mentalitäten und Einstellungen erscheint das eigene Land wie eine grotesk verknöcherte Beton- und Behördenburg aus einem allzu vertrauten Paralleluniversum.(Teils O.m.d.U.) - Ab 12.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2013
Produktionsfirma
INDI Film/rbb-arte
Regie
Judith Keil · Antje Kruska
Buch
Judith Keil · Antje Kruska
Kamera
Marcus Winterbauer · Katharina Bühler · Dietmar Ratsch
Musik
Michael Beckmann
Schnitt
Calle Overweg
Länge
97 Minuten
Kinostart
23.01.2014
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 12.
Genre
Dokumentarfilm
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Drei Männer hat das Schicksal in die brandenburgische Kleinstadt Bad Belzig verschlagen: Abdul aus dem Jemen, ein kleiner, drahtiger Charmeur, dessen „adelige“ Herkunft – sein Vater ist ein Scheich –, auch nach sieben endlosen Jahren in der Fremde noch immer in jeder Bewegung seines schmächtigen Körpers zu spüren ist; Farid, ein stiller, in sich gekehrter Koloss, der nach der manipulierten Präsidentschaftswahl 2009 aus Iran floh, ohne Frau und Kind, was bleischwer auf seiner Seele lastet; und Brian aus Kamerun, der jüngste der drei Flüchtlinge; er ist noch nicht lange in Deutschland, weshalb er seinem Asylverfahren mit naivem Optimismus und Gottvertrauen entgegen blickt. Über ein Jahr begleitet die Kamera die Männer in ihrem Alltag zwischen Warten, Kochen, endlosen Behördengängen und tausend anderen Dingen, mit denen sich die Zeit bis zur nächsten Entscheidung überbrücken lässt. Obwohl alle drei im gleichen Heim leben, haben die Dokumentaristinnen Judith Keil und Antje Kruska gut daran getan, ihre Wege auf der Leinwand nicht zu kreuzen; wie schon in „Der Glanz von Berlin“ (fd 35 398) oder „Dancing with Myself“ (fd 37 997) geht es den Filmemacherinnen weder um exemplarische Einsichten noch um plakative Thesen; ihr Blick sucht vielmehr eine freundschaftlich-vertraute Nähe, die auch vor Fremdheitserfahrungen nicht zurückschreckt, sondern die Unterschiede mit Bedacht festhält. Besonders augenfällig wird das in der Körpersprache: Während die Sachbearbeiter, Angestellten und Consultants in ihren Rollen höflich-blass bleiben, schwingt im Habitus der Flüchtlinge ihre Herkunft und Geschichte so plastisch mit, dass man sich immer wieder fragt, ob sie je in der deutschen Wirklichkeit ankommen werden. Denn tief in seinem Herzen scheint Farid immer noch Kat kauend auf dem Diwan im Kreis anderer Männer zu sitzen und alle Probleme mit einer eleganten Geste wegzulächeln; Farid hingegen wirkt wie ein schlafender Vulkan: konzentriert, aber chancenlos im nicht endenden Kampf mit Paragraphen und Verfahrensordnungen, die er ebenso unermüdlich wie erfolglos seiner Familie im Iran zu vermitteln versucht. Brian schlendert derweil durch die Provinz und ventiliert seine Möglichkeiten, nach einer (wahrscheinlichen) Ablehnung seines Antrags auf Asyl dennoch nicht nach Kamerun abgeschoben zu werden: Heiraten, Kinder, juristische Winkelzüge. Wie sehr es der Inszenierung gelingt, den Blick der Porträtierten aufzunehmen, merkt man am eigenen Befremden, wenn man mit Brian einer Bauchtänzerinnen-Gruppe bei ihrer Darbietung auf dem Marktplatz folgt, oder Abduls Versuche miterleidet, aus seiner militärischen Vergangenheit beruflich Kapital zu schlagen. Allerdings wird keines der drei Schicksal „auserzählt“: Man erfährt nur bruchstückhaft und eher zufällig etwas über die Biografien der Männer, dafür aber umso mehr über ihre neuen Erfahrungen im Exil, bei Single-Parties, in einschlägigen Berliner Discos, auf den Straßen und Plätzen der Provinzstadt. Wichtige Rollen spielen auch Betreuer wie die resolute Sozialarbeiterin Rose, die nichts unversucht lässt, um Brücken in die neue Welt zu schlagen, oder ein Pfarrer, der als Seelsorger ein offenes Ohr für Farids seelische Nöte hat. Der Film setzt dramaturgisch durchaus auf Zugänglichkeit, mit pointierten Szenen und einer Schnittfolge, die das Geschehen mitunter fast inszeniert erscheinen lässt; doch zugleich wahrt er seine offene, bruchstückhafte Form, in der Momente und Situationen wichtiger sind als der narrative Bogen. Das Resultat dieser geduldigen Annäherung ist ein kurzweiliger, äußerst vielschichtiger Film voller Humor und bizarrer Einsichten, der viel über die Erfahrungen der drei Migranten erzählt, aber auch das eigene Land als seltsam fremd erscheinen lässt.
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