Drama | Deutschland 2016 | 97 Minuten

Regie: Dennis Todorovic

Nach einem Autounfall, bei dem ihr Mann und ihre Tochter getötet wurden, erwacht eine Frau ohne Gedächtnis. Ihre Schwester, eine Ordensfrau, nimmt sie bei sich im Kloster auf, doch ihre Hoffnung, dass sich die Amnesie überwinden lässt, scheint vergeblich. Darüber gerät die Nonne zunehmend in eine tiefe Glaubens- und Identitätskrise, in der sie ihr ganzes Leben hinterfragt. Das tragikomische Ringen der beiden ungleichen Schwestern ist mit irritierender Leichtigkeit in Szene gesetzt, wobei die geschliffenen Wortgefechte im schwäbischen Dialekt, subtile Bedeutungsverschiebungen und Kippmomente auf einem schmalen Grat zwischen Tragik und Satire balancieren. Glänzend gespielt und kunstsinnig inszeniert, haftet dem winterlichen Drama dennoch etwas Künstliches an. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2016
Produktionsfirma
Segler & Borowski Filmprod./SWR
Regie
Dennis Todorovic
Buch
Dennis Todorovic
Kamera
Andreas Köhler
Musik
Peter Aufderhaar
Schnitt
Jonas Thoma
Darsteller
Zeljka Preksavec (Schwester Martha Weiß) · Lisa Martinek (Helene Weiß) · Beatrice Richter (Dolores Hagedorn) · Sabine Hahn (Agathe Schiefer) · Anna Ottmann (Schwester Judith)
Länge
97 Minuten
Kinostart
20.10.2016
Fsk
ab 0; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
W-Film/Lighthouse
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Tragikomödie um eine Ordensfrau und ihre atheistische Schwester

Diskussion

Winterzeit auf der Schwäbischen Alb. Es riecht nach Schnee, die Tage sind kurz, das Leben zieht sich ins Warme zurück. Doch auch die dicksten Mauern schützen nicht vor der klammen Kälte, die aus den Anfechtungen der Inneren kriecht. Martha, die einer klösterlichen Schwesterngemeinschaft am Rande einer kleinen Stadt vorsteht, kämpft mit den Behörden um die Finanzierung eines Altenheims. Die versierte 50-Jährige versteht sich auf den Umgang mit Menschen unterschiedlichster Couleur. Nur mit ihrer jüngeren Schwester Helene tut sie sich schwer, die mit schwäbisch-derber Zunge die kämpferische Atheistin gibt. Gerade erst sind die beiden wieder heftig aneinander geraten, weil Martha die religiösen Sehnsüchte von Helenes Tochter allzu gern bedient. Doch Marthas Gebet, dass Gott ihre kleine Nichte geleiten möge, bleibt unerhört: Das Mädchen und sein Vater sterben bei einem Unfall auf der Landstraße. Helene aber wacht mit schwerer Amnesie im Krankenhaus auf und kann sich an nichts mehr erinnern.

Das ist der Ausgangspunkt eines tragikomischen Ringens, das Regisseur Dennis Todorovic mit autobiografischen Untertönen, aber auch einer irritierenden Leichtigkeit in Szene setzt. Denn Martha nimmt sich ihrer Schwester an, quartiert sie bei sich im Kloster ein und setzt alles daran, Helenes Gedächtnisverlust rückgängig zu machen. Was durchaus nicht selbstlos ist, denn zum einen streitet Martha mit Helenes Schwiegermutter erbittert über die Art der Bestattung: nach kirchlichem Ritual auf dem klösterlichen Friedhof oder eingeäschert in einer Urne im Wald. Zentraler aber sind Marthas innere Auseinandersetzungen, die im Bemühen, die Schwester an ihr früheres Leben heranzuführen, unweigerlich mit ihrer eigenen Biografie konfrontiert wird.

Mit großem Geschick spielt die Inszenierung auf unterschiedlichen Ebenen mit subtilen Bedeutungsverschiebungen. Das spiegelt sich schon im raffinierten Filmplakat, dessen klein geschriebener Titel „schwester weiß“ auf den zweiten Blick auch so gelesen werden kann, dass die im Vordergrund platzierte, optisch aber verschwommene Martha, deren bürgerlicher Name Birgit Weiß lautet, die Identität der im Hintergrund überscharf konturierten Helene definiert. Oder eher nach ihren eigenen Wünschen und Bedürfnissen zurechtzimmert? Das vielschichtig oszillierende „Weiß/weiß“ hebt in Gestalt des Schnees Differenzen auf, verwischt Konturen, ermöglicht als schillernde (Bild-)Metapher aber auch prägnante Kippmomente, etwa während des Chorgebetes, wenn beim „Herr, erbarme Dich“ zum ersten Mal überdeutlich wird, dass es um Marthas inneren Kampf, nicht um die Trauer der Schwester geht.

Das Gleichnis vom verlorenen Sohn wird im Film erst spät, aber prägnant angespielt. Denn auch die Ordensschwester ist durch den Tod der kleinen Maja seelisch zutiefst erschüttert; in den schleichenden Zweifel an Gottes Allmacht und Güte mischt sich zunehmend ein Hader über ihr Leben, in dem stets die Pflicht an erster Stelle stand, Verantwortung und eine recht freudelose Rechtschaffenheit, während das wilde, ungezügelte Leben, beispielsweise das von Helene, auch noch den Segen der Eltern fand.

Doch wie bei den Psalm-Zitaten, die schon eingangs zwischen der Sehnsucht nach Gott und der Erfahrung seiner Abwesenheit einen Bogen schlagen, nutzt die Inszenierung die biblischen Folien nur als eine Art Überwurf. Im Bemühen, nicht der Schwermut zu erliegen, balanciert der Film auf einem schmalen Grat zwischen Tragik und einer bisweilen absurden Komik, die verwirrend-befremdlich wirkt, aber auch zum Nachdenken reizt. So irrlichtert eine demente Alte an einer Bushaltestelle durch den Film und ist noch immer mit dem Nationalsozialismus beschäftigt. Was in ihrer Figur als kollektive Amnesie aufblitzt, der radikale Bruch mit der Vergangenheit, wird von Helene individuell zunehmend als Chance begriffen, als könnte man tatsächlich neu anfangen. Marthas Weg durch die Dunkelheit ihrer Existenz führt in der Auseinandersetzung mit einer Pieta-Figur wenigstens zu Schuberts Trauerlied „Des Mädchens Klage“: Endlich kann auch sie weinen, über die tote Nichte, über sich und die schreiende Ungerechtigkeit der Welt.

„Schwester Weiß“ glänzt mit geschliffenen Wortgefechten und durch den nicht hoch genug zu lobenden Mut, den schwäbischen Dialekt der Figuren nicht ins Hochdeutsche abschwächen. Die beiden Hauptfiguren sind mit der großartigen Zeljka Preksavec und der gewohnt souveränen Lisa Martinek glänzend besetzt, wie auch die Nebendarsteller ihre meist mit Umsicht konzipierten Kurzauftritte bestens ausfüllen. Das alles vermag aber nicht die Irritation aufzuheben, mit der die Inszenierung in einem kunstsinnig wattierten Zwischenreich über tragische Existenzen handelt. Dem Versuch, den existenziellen Schock der Katastrophe nach Art eines künstlichen Komas eine Weile zu bannen, um neue Möglichkeiten zu eröffnen oder durchzuspielen, haftet etwas zutiefst Künstliches an, durchaus vergleichbar dem Befremden, das einen beschleicht, wenn man die erinnerungslose Helene wie einen Gedächtniszombie durch ihr Leben laufen sieht.

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