Satire | Georgien/Frankreich/Großbritannien/Deutschland 2014 | 119 Minuten

Regie: Mohsen Makhmalbaf

Das diktatorische Oberhaupt eines fiktiven Staates wird nach Jahre der selbstherrlichen Regentschaft von einer Revolution hinweggefegt und findet sich mit seinem Enkel auf der Flucht wieder. Verkleidet als Straßensänger, begegnet er den Opfern seines Regimes und erlebt hautnah den Hass und die Verzweiflung der Menschen. Die politische Parabel auf den Spuren großer Revolutionsfilme verfährt in ihren melodramatischen Zuspitzungen nicht gerade subtil, findet aber beeindruckende Szenen und Bilder, um vom Teufelskreis politischer Gewalt zu erzählen. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
THE PRESIDENT | LE PRÉSIDENT
Produktionsland
Georgien/Frankreich/Großbritannien/Deutschland
Produktionsjahr
2014
Produktionsfirma
20 Steps Prod./F&ME
Regie
Mohsen Makhmalbaf
Buch
Mohsen Makhmalbaf · Marziyeh Meshkiny
Kamera
Konstantine-Mindia Esadze
Musik
Guja Burduli · Tajdar Junaid · Daler Nazarov · Kvicha Manglakelidze
Schnitt
Hana Makhmalbaf · Marziyeh Meshkiny
Darsteller
Mischa Gomiaschwili (Präsident) · Dachi Orwelaschwili (Enkel) · Ia Sukhitashvili (Prostituierte) · Guja Burduli (Singender politischer Gefangener) · Zura Begalischwili (Barbier)
Länge
119 Minuten
Kinostart
14.01.2016
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Satire | Tragikomödie
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Satirische Parabel über einen gestürtzten Diktator von Mohsen Makhmalbaf

Diskussion
In einem unbekannten Land sitzen ein alter Mann und ein kleiner Junge in dunkelgrünen Galauniformen im Regierungspalast hoch über der Stadt. Großvater und Enkel reden sich gegenseitig mit „Majestät“ und „königliche Hoheit“ an. Während der Alte geistesabwesend die Todesurteile für sieben vermeintliche Terroristen unterzeichnet, nörgelt der Kleine, weil er Eiscreme haben will. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, erzählt der Alte von seiner absoluten Macht, die der Kleine irgendwann übernehmen werde: Mit einem Anruf könne er alle Lichter der Stadt ausschalten, fabuliert er für den staunenden Enkel – und tatsächlich werden die Straßen nach einem Anruf dunkel; danach lässt er sie wieder leuchten. Auch der Kleine darf das nachmachen. Die Lichter gehen aus, aber nicht mehr an. Und auch der Präsident bringt sie nicht mehr zum Leuchten. Unten aus der Stadt sind Schüsse zu hören. Der 58-jährige iranische Regisseur Mohsen Makhmalbaf ist ein ungewöhnlicher Filmemacher zwischen Satire, Poesie und aufklärerischer Agitation. Sein jüngster Film „The President“ führt in ein Märchenland der Despoten, in die blühenden Landschaften postkommunistischer Diktaturen. Doch was wie eine märchenhafte Groteske eines neureichen Operettenstaates beginnt, wandelt sich zur Tragödie einer Flucht und eines schwindelerregenden Absturzes vom Gipfel der Macht in die tiefsten Niederungen von Verfolgung und Armut. Denn während die Familie sich mit dem Privatjet absetzt, glaubt sich der Präsident mächtiger als der Volksaufstand, und auch der Kleine will unbedingt noch seine Spielsachen aus dem Palast holen. Aber die Rebellen haben in der Hauptstadt die Armee des Diktators besiegt. Die Limousine bleibt ohne Benzin inmitten einer blökenden Schafsherde stehen; auf den Alten und seinen Enkel ist ein Kopfgeld ausgesetzt. Für die beiden beginnt eine hoffnungslose Irrfahrt. Makhmalbaf spielt auf die orientalischen Harun-Al-Raschid-Geschichten an, jenem Kalifen, der sich in verkleideter Gestalt unter das einfache Volk mischte und so erfuhr, was seine Untertanen wirklich denken. Sein Präsident erinnert aber auch an aktuelle Diktatoren auf der Flucht, von Reza Pahlavi über Saddam Hussein bis zu Muammar Gaddafi. In erster Linie ist „The President“ aber ein dramatisches Road Movie, das vom luxuriösen Palast und den Straßenkämpfen der Hauptstadt über von Armut, Diktatur und Krieg zerstörte Landschaften bis ans Meer führt. Die beschwerliche Reise bildet auch den Bewusstseinswandel der beiden Protagonisten nach. Den des kleinen Jungen, der immer stiller und verzweifelter wird und keine Freude mehr an diesem vermeintlichen „Spiel“ empfindet; aber auch des verstockten Tyrannen, der in der tödlichen Bedrohung wieder zum schlauen Fuchs und facettenreichen Überlebenskünstler wird. Als Straßenmusikanten verkleidet, begegnen Enkel und Großvater den Opfern ihres Regimes, erleben die Verzweiflung, den Hass und die abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit. Mohsen Makhmalbaf ist kein Minnesänger der friedlich-fröhlichen, feierlustigen orangen-, grün- oder wie auch immer farbigen Revolutionen, kein Beförderer arabisch-, kaukasisch-, ukrainisch-, georgisch- oder sonstwie ethnisch gefärbter Frühlingsgefühle. Er zeigt die blutigen Wirren von Umsturz und Bürgerkrieg aus den Augen eines verängstigten Oberschichtkindes, er führt vor Augen, wie die neue Ordnung mitnichten besser als die alte ist, wenn Soldaten beispielsweise eine frischverheiratete Braut vergewaltigen. Der Diktator und sein Erbe flüchten durch ein Land im apokalyptischen Zusammenbruch, in dem die niedersten Instinkte wüten, die das gestürzte Regime herangezüchtet hat. Das alles erzählt der Film in beeindruckenden georgischen Landschaften, mit eindringlichen, aber zurückgenommenen Schauspielern. Mit ästhetischen Referenzen an die großen Revolutionsfilme von Eisenstein bis in die Gegenwart verwandelt Makhmalbaf den Mythos von der siegreichen Revolution demokratischer Massen in eine absurde Tragödie. Diejenigen, die töten, so lehrt Makhmalbafs Epos vom alten Diktator in seinem verbrannten Land, sind immer dieselben: die Krieger der Rache und der Gerechtigkeit, die Soldaten für oder gegen Saddam Hussein, für oder gegen Assad.
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