Malcolm X (1992)

Biopic | USA 1992 | 201 Minuten

Regie: Spike Lee

Leben und Tod des Black-Muslim-Führers Malcolm X, der nach einer Gangsterkarriere in den 40er Jahren im Gefängnis zum Islam bekehrt und nach seiner Entlassung zum wirkungsvollsten Prediger der "Nation of Islam"-Organisation wird. Er fordert die totale Trennung von Weißen und Schwarzen und deren Rückbesinnung auf ihre afrikanischen Ursprünge. Langatmig und ohne aktualisierende soziale Schärfe inszeniertes "Polit-Epos", das mehr an Legendenbildung interessiert ist als an einem historisch präzisen und psychologisch differenzierten Porträt einer umstrittenen Persönlichkeit der amerikanischen Geschichte. Allenfalls durch das pointierte Spiel des Hauptdarstellers von einigem Interesse. - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
MALCOLM X
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
40 Acres and a Mule Filmworks
Regie
Spike Lee
Buch
Arnold Perl · Spike Lee
Kamera
Ernest Dickerson
Musik
Terence Blanchard
Schnitt
Barry Alexander Brown
Darsteller
Denzel Washington (Malcolm X) · Angela Bassett (Betty Shabazz) · Albert Hall (Baines) · Al Freeman jr. (Elijah Muhammad) · Delroy Lindo (West Indian Archie)
Länge
201 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Biopic | Drama | Literaturverfilmung
Externe Links
IMDb | TMDB

Heimkino

Verleih DVD
BMG (16:9, 1.85:1, DD5.1 engl./dt.)
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Diskussion
Wie schwierig es in Hollywood ist, einen Film über eine umstrittene Persönlichkeit der jüngeren amerikanischen Geschichte zu drehen, wenn diese "schwarz" ist, zeigt "Malcolm X" (vgl. fd 1/1993, Seite 9). Spike Lee mußte die Warner Bros. davon überzeugen, daß nur ein Afro-Amerikaner dieser Aufgabe gewachsen ist. Tatsächlich gelang es ihm, den für die Regie vorgesehenen (weißen) Kanadier Norman Jewison zu verdrängen.

Der Film blendet zurück ins Boston der 40er Jahre: Malcolm Little und sein Freund Shorty streifen in grellfarbenen Anzügen, breitkrempigen, federngeschmückten Hüten und im ausladenden Gang eines Schlittschuhläufers durch die Straßen des Schwarzen-Ghettos. Um sich seinen weißen Vorbildern noch mehr anzunähern, läßt Malcolm sich die Haare glätten, bändelt mit der blonden Weißen Sophia an, deren unterwürfige Hingabe ihm ein fragwürdiges Selbstbewußtsein gibt. Er schmeißt seinen Job als Zugkellner und gerät in New York unter die Fittiche des Gangsters West Indian Archie. Malcolm verdient nun sein Geld mit illegalen Lotterie-Losen, Kokain und Zuhälterei; er läßt Sophia, Shorty und dessen ebenfalls weiße Freundin nachkommen. Als sie sich "selbständig" machen und in die Villa eines reichen weißen Mannes einbrechen, werden sie gefaßt. Die beiden Frauen erhalten zwei Jahre Erziehungsanstalt, während Malcolm und Shorty zu 8 bis 10 Jahren Gefängnis verurteilt werden. Dieses ungerechte, rassistische Urteil wirkt bei Malcolm wie ein Erweckungserlebnis, das vollends durchbricht, als er im Gefängnis Baines, einen Anhänger der schwarzen Moslem-Sekte des selbsternannten Propheten Elijah Muhammad, kennenlernt. Baines bekehrt ihn zum Islam, stärkt sein Selbstbewußtsein und seinen Wissensdurst, so daß sich Malcolm in der Bibliothek daran macht, ein ganzes Lexikon abzuschreiben, und eines Tages dem bigotten Gefängnis-Geistlichen stolz verkündet, daß Jesus kein blonder, blauäugiger Weißer, sondern ein dunkelhäutiger Hebräer war.

Aus der Haft entlassen, sireicht Malcolm den Sklavennamen seiner Vorfahren "Little" und ersetzt ihn durch ein "X". Elijah nimmt ihn in die "Nation of Islam" auf, und Malcolm steigt bald zum wortgewaltigsten und erfolgreichsten Prediger der Sekte auf. Er verurteilt öffentlich Martin Luther Kings These vom gewaltfreien Widerstand, fordert die totale Trennung der weißen und schwarzen Bevölkerung. Immer wieder verhöhnt er in Talk-Shows und Zeitungsinterviews die Onkel-Toms-Hütte-Mentalität der Weißen, die von vielen Schwarzen noch unterstützt wird. Er legt sich sogar mit der ganzen Nation an, als er den Mord an John F. Kennedy als Saat der Gewalt bezeichnet, die die Weißen gesät haben. Elijah belegt ihn daraufhin mit einem 90tägigen Auftrittsverbot. Baines und einige andere einflußreiche Sekten-Mitglieder, denen Malcolms Medienpräsenz und größer werdende Macht ein Dom im Auge ist, versuchen ihn loszuwerden; seine Frau erhält dauernd anonyme Anrufe, und einer seiner Leibwächter gesteht ihm, daß man ihn beauftragt hat, Malcolms Auto in die Luft zu sprengen. Als sich Gerüchte über Elijahs verantwortungsloses Sexualleben bestätigen, verläßt Malcolm die "Nation of Islam" und gründet eine eigene Organisation. Auf einer Pilgerfahrt nach Mekka schwört er dem Rassenkampf ab, predigt nach seiner Rückkehr weniger Haß denn Gerechtigkeit und reicht Martin Luther King die Hand zur Versöhnung. Trotzdem reißen die Anschläge gegen ihn und seine Familie nicht ab: eine Brandbombe fliegt in das Kinderzimmer seines Hauses, und am Abend des 21. Februars 1969 wird er bei einer Versammlung vor den Augen seiner Frau und Kinder niedergeschossen.

Die Hintergründe des Mordes sind ähnlich wie bei den Attentaten auf die Kennedy-Brüder und Martin Luther King weitgehend ungeklärt. Offenbar, weil FBI und CIA in die Morde verwickelt sind, was Spike Lee nur am Rande durch die Figuren zweier Weißer andeutet, die Malcolms Telefon abhören und ihn auf Schritt und Tritt beschatten. Ansonsten ist sein Film weit entfernt von einer akribischen Recherche, wie sie etwa Oliver Stone in seinem "J.F.K." (fd 29 511) betrieb. Spike Lee ging es mehr um die Legendenbildung. In drei Akten führt er die erstaunliche Wandlung eines Kleinganoven zu einem umjubelten "Black Power"-Führer vor. Im ersten, in kräftigen Farben gehaltenen Teil mit seinen vibrierenden Nachtclubszenen erlaubt sich Spike Lee schon mal ein paar ausgeklügelte Kamerafahrten, wie die über einen schmusenden Malcolm, um die Lebenslust dieser vom Ragtime und Boogie Woogie geschwängerten Zeit einzufangen. "Cotton-Club"-Atmosphäre ist angesagt, und selbst wenn sich Malcolm an die Überfälle des Klu-Klux-Clan auf sein Elternhaus erinnert, bestimmen nicht grausame Bilder die Szenerie, sondern die pittoresk dem untergehenden Mond entgegenreitenden Silhouetten der Kapuzen-Männer füllen die Leinwand. Schon fast aufreizend vermeidet Lee eine in die Tiefe gehende Kritik an der Diskriminierung der Schwarzen, geschweige denn an der Widersprüchlichkeit seiner Hauptperson. Malcolms kriminelle Machenschaften erscheinen wie Kavaliersdelikte, aufbereitet für ein jugendliches (schwarzes) Publikum, dem man den zur "Verehrung" vorgesetzten Helden nicht vorzeitig vergällen will.

Im zweiten Akt, als Grau- und Blautöne seine Bekehrung zu einem neuen spirituellen Leben voller Disziplin (kein Alkohol, kein Tabak, kein Schweinefleisch) symbolisieren, schreckt Lee auch nicht vor einer "Erscheinungsszene" mit Elijah zurück, um Malcolms Wandlung den letzten Kick zu geben. Kein kritisches Wort über das schon geschichtsverfälschende Programm der "Nation of Islam", die den weißen Christen ihre Sklavenhaltermentalität vorwerfen, während sie selbst noch bis zum Beginn dieses Jahrhunderts in Afrika Sklavenhandel betrieben.

Der dritte und längste Teil des Films, der Malcolm als "Erlöser" präsentiert, zeigt mit seinen erdverbundenen, meist in Braun- und Grüntönen gehaltenen Farben, daß Malcolm immer mehr Halt in der schwarzen Bevölkerung findet. Seine Demagogie ist witzig ("Ich mag Integration nur auf eine Weise: wenn ich Milch in den Kaffee schütte"), seine Macht fast übermenschlich: als er nur mit einem Fingerzeig eine schon von der Polizei umstellte Demonstration seiner Anhänger auflöst, läßt einem das eher Schauer über den Rücken laufen als viele Gewaltszenen. Die Weißen, wenn sie überhaupt im Bild vorkommen, sind nur lächerlich gemachte Vertreter eines verhaßten Establishments oder jene sich anbiedernden Sozial-Hippies, über die Malcolm seinen Hohn ausschüttet: "Wie kann ich als Weiße der schwarzen Sache dienen?", fragt erwartungsfroh eine Flower-Power-Studentin. "Gar nicht", antwortet Malcolm.

Kein Wort verschwendet Lee über Malcolms merkwürdiges Verhältnis zu Frauen, die er als Patriarch mehr als Eigentum denn als Partnerin ansieht. Seine fast blinde Hingabe zu Elija Muhammads obskurer Sekte wird genauso wenig in Frage gestellt, wie die Militanz seiner Ansichten, die er erst sehr spät revidierte. Und als im Epilog des Films der leibhaftige Nelson Mandela eine schwarze Schulklasse mit Malcolms Ideen infiltriert, so daß diese aufsteht und "Ich bin Malcolm X" bekennt, denn hat sich Spike Lee genau auf jene unreflektierte demgagogische Ebene begeben, die viele Aussagen Malcolms lange haben unversöhnlich klingen lassen. Denzel Washington mildert mit seinem differenzierten Spiel, das immer auf den Punkt genau die Nuancen jedes Lebensabschnittes - vom Möchte-gern-Weißen über den Kleinganoven bis hin zum Schwärzen-Führer - trifft, zwar etwas die oberflächliche Sehweise Spike Lees ab, haucht diesem allzu langatmig und -weilig geratenen Polit-Epos aber auch keine gesellschaftliche Schärfe ein. Vielleicht hätte Norman Jewison mit dem Abstand eines weißen Betrachters eine historisch präzisere (und spannendere) Studie geliefert, wäre nicht mit dem Vorsatz an das Projekt herangegangen, unbedingt einen "reinen Helden" filmisch inthronisieren zu müssen.
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