Nettoyage à sec - Eine Dreierbeziehung

Drama | Frankreich 1997 | 93 Minuten

Regie: Anne Fontaine

Nach 15 Ehejahren liefert die Bekanntschaft mit dem Star einer Transvestiten-Show einem Ehepaar, das gemeinsam eine chemische Reinigung betreibt, die Gelegenheit, vermeintliche (sexuelle) Defizite ihres Lebens einzulösen. Ein Tanz auf dem Vulkan, der in der Katastrophe endet. Eindrucksvoll gespieltes und inszeniertes Drama um verschiedene Formen von Abhängigkeit, den Wunsch nach Sicherheit und die Hoffnung auf Erfüllung. Der nachdenklich stimmende Film lässt in bürgerliche Abgründe blicken und bricht die Metapher vom Waschen schmutziger Wäsche gleich mehrfach auf intelligente Weise. - Sehenswert.
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Filmdaten

Originaltitel
NETTOYAGE A SEC
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
1997
Produktionsfirma
Les Films Alain Sarde Cinea/Maestranza Films/Canal +/ Sofinerie 4/Sofiagram/Région Franche Comté
Regie
Anne Fontaine
Buch
Gilles Taurand · Anne Fontaine
Kamera
Caroline Campetier
Musik
Jean-Claude Laureux · Jean-Pierre Laforce
Schnitt
Luc Barnier
Darsteller
Miou-Miou (Nicole) · Charles Berling (Jean-Marie) · Stanislas Merhar (Loic) · Mathilde Seigner (Marylin) · Nanou Meister (Yvette)
Länge
93 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Genre
Drama
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Diskussion
Die Übersetzung des Titels lautet „Chemische Reinigung“ oder „Trockenreinigung“ - was nicht unbedingt Interesse weckt, assoziiert man damit doch bestenfalls Sauberkeit, Flecken entfernen, die schmutzige Wäsche anderer Leute waschen. Doch wenn diese Tätigkeiten nicht nur dargestellt, sondern in ihrer übertragenen Bedeutung gespiegelt werden, dann kann daraus durchaus eine Geschichte entstehen, die unter die Haut geht. Und dies hat Annie Fontaine in ihrem dritten Spielfilm geschafft. Nicole und Jean-Marie sind scheinbar glücklich verheiratet. Seit 15 Jahren betreiben sie in der französischen Provinz eine florierende Reinigung, ihr Sohn Pierre gedeiht prächtig. Große Träume stehen nicht mehr zur Debatte, Zufriedenheit im Alltag heißt das Lebensziel. Eines Abends gerät das Paar in einen Nachtclub und wohnt einer Transvestiten-Show bei, der es sich nicht so ohne Weiteres entziehen kann. Als der Star der Show, Loic, ein junger Mann mit blendendem Aussehen, tags darauf sein Kleid in die Reinigung bringt, ist der Grundstein für eine Tragödie gelegt. Nicole und Jean-Marie interessieren sich nämlich beide für ihn und sein Leben jenseits der bürgerlichen Normen; beide fühlen sich angezogen und wollen es sich zunächst nicht eingestehen. Selbst nachdem Loic, der mit seiner Schwester nicht nur auftritt, sondern sich auch prostituiert, seine Schattenseiten offenbart, lockt die Faszination des Verbotenen. Als Loic von seiner Schwester verlassen wird und so seine Bühnenexistenz verliert, nehmen sich Nicole und Jean-Marie seiner an und geben sich der trügerischen Hoffnung hin, ihn wie ein verlorenes Kind aufzunehmen und ins Wäschereigeschäft einzuführen - und ahnen hinter ihren hehren Gefühlen doch eine schlummernde Sehnsucht, die Abgründe freigäbe, wenn sie denn geweckt würde. Nicole erkennt als erste die Defizite ihres Lebens und gibt sich dem verführerischen Mann hin, der es virtuos versteht, mit den Gefühlen seiner „Zieheltern“ zu spielen. Bald sorgt er für emotionale Wechselbäder, da er von Jean-Marie hinausgeworfen und wieder zurückgeholt wird. Loic dominiert die „menage à trois“, ohne mit der zutiefst bürgerlichen Verwurzelung von Jean-Marie und dessen Traum vom einfachen Glück zu rechnen. Als der junge Mann ihn sich auch sexuell gefügig machen will, erschlägt ihn der Ältere. Der Spuk scheint vorbei. Nicole beseitigt die Leiche, entfernt das Blut und geht ihrer Arbeit nach. Alles bleibt, wie es war, und doch nichts ist mehr so, wie es sein sollte.

„Nettoyage à sec“ ist ein extrem irritierender Film über (sexuelle) Sehnsüchte und den Wunsch, den Alltagstrott abstreifen zu können. Die Eheleute wollen das Vertraute als sicheres Pfand in der Hinterhand behalten, doch Anne Fontaine schildert schonungslos, warum es keine Rückversicherung geben kann, wenn die magische Grenze erst einmal überschritten ist und Tabus gebrochen sind, die das Selbst und die vermeintlich sichere Existenz in Frage stellen. Mit viel Gespür für die psychologische Konstitution der Protagonisten führt sie vor Augen, wie sich Boshaftigkeiten in den winzigen Haarrissen des Zusammenlebens festsetzen und Wahrheiten ans Licht fördern, ohne deren Kenntnis man wohl hätte auch leben können. Im Mittelpunkt steht dabei nicht der Seitensprung, sondern die Qual, die er allen Beteiligten bereitet. Erinnerungen werden ebenso in Frage gestellt wie die Zukunft, das Leben gerät zum Taumel ohne festen Bezugspunkt, alle Klarheit scheint weggewischt. Anne Fontaine wählt eine schlichte, psychologisierende Lichtsetzung, die im Rahmen der Inszenierung überzeugt; der Stimmungsgehalt der Szenen wird durch eine aussagekräftige Farbdramaturgie unterstützt, die die Emotionen potenziert. Hauptkapital sind die wundervollen Darsteller, die in ihren Rollen aufzugehen scheinen: Charles Berling als biederer Spießbürger, der lustvoll in den Abgrund schaut und doch wider besseren Wissens den Blick nicht abwenden kann; Stanislas Merhar als androgyner Verführer, dem man nicht nur Boshaftigkeit unterstellen möchte, sondern auch die Suche nach Schutz; Miou-Miou, die die Anspannung ihres frustrierten Ehe- und Gesellschaftslebens in vielen Nuancen ausdrückt. Am Ende ist das Paar wieder vereint; auf einer Landstraße laufen sie nebeneinander her, sprechen kein Wort, halten Abstand zueinander. Nach einiger Zeit sucht Miou-Miou die Seite ihres Mannes, schmiegt sich an ihn, sie gehen Seite an Seite, geradeaus. Ein Bild der Hoffnung und der Hoffnungslosigkeit zugleich, in dem Augen und Körperhaltung der beiden alles sagen.
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