Make My Day

- | Deutschland 2004 | 86 Minuten

Regie: Henrike Goetz

Eine junge, aus Korea stammende Frau treibt, rätselhaft melancholisch, durch Berlin und Paris und beginnt, als sie von ihrem französischen Geliebten verlassen wird, das Leben einer Gestrandeten. Dialogarm, statisch und verstörend unfertig inszenierter Debütfilm, teilweise mit Laien auf Digital Video gedreht, geprägt von einer realitätsnahen Ästhetik. Fernab von psychologischen Erklärungen, vermittelt sich das diffuse Lebensgefühl vereinsamter Seelen im Rahmen eines unaufgeregten, stilistisch überaus konsequenten und formbewussten Dramas. (Teils O.m.d.U.)
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2004
Produktionsfirma
Patrick Orth Filmproduktion
Regie
Henrike Goetz
Buch
Henrike Goetz
Kamera
Henrike Goetz
Schnitt
Eva Könnemann · Henrike Goetz
Darsteller
Kim Young-Shin (Hee-Jin) · Laurent Vivien (Laurent) · Ralf Verpalen (Ralf) · Sophie Huber (Judith) · Andreas Petri (Andreas)
Länge
86 Minuten
Kinostart
-

Diskussion
Dialogarm, statisch und verstörend wirkt dieses Debüt, mit seinen lichtarmen Bildern von einem Berlin, das in den Winterschlaf abgetaucht zu sein scheint. Ein wenig ist es, als hätten die Kälte und der Schnee nicht nur die Stadt, sondern auch die Gemüter der dort wohnenden Menschen unter sich begraben. Die koreanischstämmige Hee-Jin ist ein solch rätselhaft melancholisches Wesen: Sie vertrödelt täglich ein paar Arbeitsstunden im Sportcenter ihres Bruders, geht auf Partys und weicht doch jedem Wortwechsel aus. Zum Entsetzen der religiösen Mutter weigert sie sich, ihren deutschen Ex-Freund zu heiraten, der sie geschwängert hat, und verliebt sich stattdessen in einen Franzosen mit zwei Kindern in Paris und einer reichen älteren Freundin, die ihn heiraten will. Dass sie nicht die Favoritin ist, erfährt Hee-Jin erst, als ihr Geliebter angeblich aus beruflichen Gründen nach Paris zurückkehrt. Von einer Fehlgeburt gänzlich unbeeindruckt, folgt sie ihm heimlich und entdeckt, dass er ein notorischer Lügner ist, der vor keiner Grausamkeit zurückschreckt, um der jungen Frau die Aussichtslosigkeit ihres Werbens deutlich zu machen. Trotzdem gibt es keinen Streit. Die Fronten sind schnell geklärt, und Hee-Jin beginnt das Leben einer Gestrandeten. Nach Berlin, wo die Mutter sie aus der Wohnung geworfen hat, möchte sie nicht zurück, ein Hotel kann sie sich nicht leisten. An einer Bushaltestelle lernt sie einen älteren Maler kennen, der sich von ihr Texte aus dem Koreanischen übersetzen lässt und sie dafür einige Nächte lang bei sich aufnimmt. Später zeltet sie so lange auf einem Campingplatz neben dem Bois de Boulogne, bis ihr das Geld ausgeht. Obwohl ein redseliger Amerikaner ihr seine Hilfe anbietet, weist sie ihn schroff ab. Den Tiefpunkt der Isolation erreicht Hee-Jin, als ihr Zelt auf einen Acker neben der Autobahn aufschlägt und dort in der Nacht aus Versehen ihre Schlafstätte selbst in Brand setzt. Es ist ein unaufgeregtes, überaus formbewusstes Drama, das die Berlinerin Henrike Goetz hier vorlegt und das man angesichts der vielen inhaltlichen und stilistischen Gemeinsamkeiten problemlos der „Nouvelle vague allemande“ zuordnen kann, jenem Kino, das erst in Frankreich entdeckt werden musste, um hierzulande wahrgenommen zu werden. Auch wenn Henrike Goetz nicht der „Berliner Schule“ um Petzold, Schanelec und Arslan entstammt, sondern dem nachwachsenden Zweig um Hochhäusler, Winckler und Köhler, an dessen herausragendem Erstling „Bungalow“ (fd 35 810) sie als Co-Autorin mitwirkte, vereint ihr Debüt die Ingredienzen beider Strömungen, die man inzwischen schätzen gelernt hat – bis hin zur Reverenz an das französische Autorenkino in Gestalt von Lou Castel, einer schon von Fassbinder und Wenders gefragten Schauspieler-Legende, der hier einen Kurzauftritt als Misanthrop hat. Teilweise mit Laien auf Digital Video gedreht und dementsprechend von einer realitätsnahen Ästhetik geprägt, stellt der auffällig unperfekte, scheinbar unfertige Film die unglückliche Liebesodyssee der Heldin in den Mittelpunkt, um diese zugleich in den zahlreichen Nebenfiguren zu spiegeln, die allesamt ihr Begehren auf Menschen richten, die ihnen bestenfalls Gleichgültigkeit entgegenbringen. Anstatt den emotionalen Notstand ernst zu nehmen, wirkt Goetzes Personal seltsam uneinsichtig, beinahe monadenhaft von der Außenwelt getrennt und jeglicher Handlungsfähigkeit beraubt. Psychologische Erklärungen für die soziale Inkompetenz dieser mit viel Sinn fürs abgründige Detail porträtierten „Thirtysomethings“ fehlen gänzlich. Hierin unterscheidet sich die Regisseurin keineswegs von ihren Figuren. Sie nimmt den Ist-Zustand hin und beobachtet, dramatisiert jedoch nicht. Was übrig bleibt, ist ein zwanghaftes Unterwegssein zwischen Sprachen und Orten, ein Wille nach Abstand zum eigenen Leben, das sich letztlich nie abschütteln lässt. Dennoch ist „Make My Day“ keine bedrückende Studie der Verwahrlosung wie Agnès Vardas „Vogelfrei“ (fd 25 543) geworden, sondern die Annäherung an ein Lebensgefühl unbestimmter Sehnsucht inmitten verlorener sinnstiftender Koordinaten. Nach einem elliptischen Schnitt, der erstaunlich jenem von Schanelecs „Marseille“ (fd 36 715) nachempfunden ist, mit dem diese ihre ähnlich problembeladene Heldin von Marseille nach Berlin verfrachtet hatte, findet auch Hee-Jin den Weg zurück nach Hause. Dort gleitet ihr Leben gewohnt unspektakulär dahin, ohne Höhen und Tiefen, begleitet von einer Ratlosigkeit, die zunehmend absurde Züge annimmt. Zuletzt verdichtet die Regisseurin zwei der zahlreichen Erzählminiaturen des Films zu einem tragikomischen Schlussakkord: Der Zufall führt Hee-Jin und den Amerikaner vom Bois de Boulogne in Berlin wieder zusammen. Gemeinsam mit der Ex-Freundin von Hee-Jins deutschem Ex-Freund ziehen sie ziellos und mental abwesend durch das Berliner Nachtleben. Ein bemitleidenswertes Trio globalisiert vereinsamter Seelen, das trotz aller Vielsprachigkeit und Mobilität sich fremder denn je ist.
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