Drama | Deutschland 2005 | 100 Minuten

Regie: Alexander Schüler

Im Stil von Edward Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf" treffen in der gestylten Wohnung gut bürgerlicher Protagonisten zwei Paare aufeinander und zerfleischen sich im sich entspinnenden Dialog um Entäuschungen und Eifersucht, Betrug, Lüge und Leidenschaften gegenseitig. Der Low-Budget-Spielfilmdebüt entfaltet formal brillant ein klaustrophobisches, gnadenloses Kammerspiel mit hervorragenden Darstellern.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2005
Produktionsfirma
shot by shot/m2medien/e2e visuals/filmwerk berlin
Regie
Alexander Schüler
Buch
Bob L. Sack
Kamera
Leif Karpe
Musik
Michael Rodach
Schnitt
Omar Abulzahab
Darsteller
Sven Walser (Walter) · Lisa Martinek (Anna) · Anika Mauer (Yvonne) · Tim Lang (Jost)
Länge
100 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 16; f
Genre
Drama
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Heimkino

Verleih DVD
Pandora (1:1,85/Deutsch DD 2.0)
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Diskussion
Jean-Luc Godard hat in einigen Interviews (in: „Das Gesagte kommt vom Gesehenen“, 2000/01) über das Filmen von Sport nachgedacht und in diesem Zusammenhang davon gesprochen, dass der fiktionale Film mit dem Sport nichts anfangen kann, weil er der Wahrheit des Sports nicht gerecht zu werden wisse. „Fiktion kann einer Sache nicht gerecht werden. Man müsste nicht nur den Sieger und das Spiel filmen, sondern auch den Abend davor und danach, die Freundin, die Familie...“ Und: „Was heute so betrübt, ist die Tatsache, dass alle Filme gleich gefilmt sind. Die erste Runde genau wie die letzte. Es ist die Herrschaft des ‚Immergleichen‘.“ Godard beklagt die Arbeit gelangweilter Kameraleute: „Sobald sie weit weg sind, langweilen sich die Kameraleute, also zoomen sie, rücken nah ran. Sobald sie aber nah sind, langweilen sie sich wieder, zoomen und gehen auf Distanz.“ Wer weiß, ob der junge Regisseur Alexander Schüler dieses Interview gelesen hat. Sein Low-Budget-Spielfilmdebüt, gedreht mit der Handkamera, ist jedoch ganz großer Sport – und zwar im ambivalenten Sinne Godards. Unübersehbar liegt dem Film ein pointiertes Theaterstück (von Bob L. Sack) zugrunde: fast durchgängig spielt er in der „stylish“ eingerichteten, weitläufigen Wohnung von Walter und Anna. Überraschend begegnet sich das Paar am frühen Abend in der gemeinsamen Wohnung, beide gingen davon aus, der Partner sei anderweitig unterwegs. Beide haben gute Gründe, die vermutet „sturmfreie Bude“ aufzusuchen. Man belauert sich, verletzt einander mit souveräner Routine, die Lebensentwürfe passen längst nicht mehr zusammen. Geblieben sind Verachtung und Frustration. Später kommen überraschend Gäste. Erst Walters Freund Jost, später dessen Frau Yvonne. Auch sie kommen nicht zufällig. Vieles kommt im Lauf der Nacht in Bewegung, wenn die Figuren ein tiefes Bad der Gefühle, des Zynismus und der Lebenslügen nehmen. Man „spielt“ miteinander, bekommt Vermutungen bestätigt und wird vom Wissen der Anderen überrascht. Obszöne Anspielungen schlagen in offene Aggression um und werden wieder zu Meta-Kommunikation kanalisiert. Fortan laufen die Figuren mit rauchenden Colts durch die Wohnung – jeder Satz ein Treffer. Man kennt die Schwächen und Stärken des Gegenübers, gnadenlos werden mit Rasiermesser scharfen Invektiven unheilbare Wunden geschlagen. Walter, ein (von Sven Walter furios gespieltes) Ekelpaket, ahnt früh, dass er Anna und Jost ins Gehege gekommen ist, sammelt Indizien, stellt sie provokant zur Rede, rechnet mit Verve ab – und ist in diesem Moment selbst ein selbstgefällig-amoralischer Betrüger und zugleich ehrlich empört. Die verspätet hinzukommende Yvonne trifft unvorbereitet auf ein vermintes Gelände, ist ahnungslos und bis zur Dummheit oberflächlich – und doch selbst Teil des Gegenspiels. „Ist doch alles nur ein Spiel!“, heißt es einmal. „Wir reden doch nur!“ „Rendezvous“ (oder zumindest das zugrunde liegende Theaterstück) steht in der Tradition von Edward Albees „Wer hat Angst vor Virginia Wolff?“, dessen Konflikte hier verdoppelt und zugespitzt werden. Was auf dem Theater mit einer brillant auf Effekt gedrechselten Choreografie papieren und ausgedacht wirken könnte, wird durch die filmische Montage lebendig. Regelrecht sportiv, formal brillant, mit großartigen Darstellern und funkelnden Dialogen folgt Schüler den Auseinandersetzungen des klaustrophobischen Vier-Personen-Stücks, geht ganz nah heran, gönnt dem Zuschauer ab und an eine Halbtotale zum Durchatmen, sondiert das Gelände, registriert die Verletzungen, Überforderungen und auch die Sadismen, bevor er munter ins nächste Scharmützel zieht. Der Film ist wie ein quirliger Boxkampf inszeniert, geht dahin, wo Worte weh tun, zeigt die ständig die Fronten wechselnden Akteure und überzieht nur in zwei, drei Szenen, die die Drastik ins unfreiwillig Komische umschlagen lassen. Dass die Paare einander wechselseitig betrügen, weiß der Zuschauer längst; fraglich, ob der obszöne Showdown in der Sauna da noch notwendig gewesen wäre. Dennoch ist Schülers glänzender Film rasantes, unbarmherziges Kino über Menschen, die irgendwann dazu übergehen, sich nur noch die Wahrheit zu sagen und einander auch ganz alte Verletzungen und Demütigungen offenbaren. Was hier in Echtzeit kulminiert, hat eine lange Geschichte. Wie einst Fassbinders „Chinesisches Roulette“ (fd 20 319) ist auch „Rendezvous“ eine treffsichere, kalte, bis zur Erschöpfung konsequente Studie über alltäglichen Faschismus mit (wahrscheinlich) tödlichem Ausgang für die schwächste Figur.
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