Verlorene Landschaft

Drama | Deutschland 1992 | 106 Minuten

Regie: Andreas Kleinert

Ein westdeutscher Politiker begegnet seinen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR lebenden Eltern, die er längst gestorben glaubte, und muß sich mit seiner behüteten Kindheit, die er in Isolation verlebte, auseinandersetzen. Ein faszinierender Film, der mühelos die verschiedenen Zeitebenen verbindet und formal wie inhaltlich keinen Vergleich zu scheuen hat. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
1992
Produktionsfirma
von Viettinghoff Filmprod.
Regie
Andreas Kleinert
Buch
Andreas Kleinert
Kamera
Sebastian Richter
Musik
Brynmor Llewelyn Jones
Schnitt
Helga Gentz
Darsteller
Roland Schäfer (Elias) · Leo Wittrien (Elias, 8jährig) · Frank Stieren (Elias, 20jährig) · Friederike Kammer (Mutter, jung) · Sylvester Groth (Vater, jung)
Länge
106 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.
Genre
Drama
Externe Links
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Diskussion
Eine Liebe im Zweiten Weltkrieg. In dem zerschossenen Haus hallen Bombenlärm und Granatfeuer nach. Man weiß nicht, ob sich das junge Paar aus Lust oder aus Angst ineinander verkriecht.

40 Jahre später erhält der Politiker Elias einen Anruf. Seine Eltern seien gestorben, heißt es; sein Erbe: deren Haus in der ehemaligen DDR. Elias, der mit der Vergangenheit rigoros gebrochen hatte, wußte gar nicht, daß seine Eltern so lange gelebt hatten, und macht sich auf, um die Erbschaftsangelegenheiten zu regeln. Im abgelegenen Haus am Waldesrand und ehemaligen Grenzfluß erwartet ihn eine Überraschung. Seine Eltern erfreuen sich guter Gesundheit, und obwohl er mit Flucht reagieren möchte, zwingt er sich zu einer Besuchswoche. Eine Woche, die ihn nicht nur seinen Eltern nahebringen wird, sondern in der er sich auch ununterbrochen mit seiner Kindheit auseinanderzusetzen hat. Seine Eltern negierten die Existenz des Staates DDR, ein hoher Zaun umgibt ihr Anwesen. Sie leben für sich allein, halten den kleinen Elias von der Welt fern, schicken ihn nicht auf die "Lügen-Schulen", verbieten ihm, die "Lügen-Zeitungen" zu lesen. So wächst Elias zwar liebevoll behütet, aber auch völlig isoliert auf. Nur ab und zu gelingt ihm die Flucht über den Holzzaun, doch was er von der Welt kennenlernt, den Tod am Grenzfluß, kommunistische Aufmärsche, ist nicht dazu angetan, die Einstellung seiner Eltern in Frage zu stellen. Allein das mit einem Freund gezimmerte Baumhaus ist ein Refugium für kindliche Träume, doch das Leben ist tückisch; Genosse Stalin hält auch hier Einzug, sein überlebensgroßes Auge dient als Zierrat.

Irgendwann erfährt der Staat von Elias' Existenz und irgendwann wird der geliebte Vater abgeholt und verschwindet für Jahre im Gefängnis. Als er endlich wiederkommt, ist er ein gebrochener Mann, der ins Bett näßt. Der mittlerweile 17jährige Elias erträgt das alles nicht mehr und wagt die Flucht in den Westen. Dort erwartet ihn eine erste Liebe, eine - noch unvorhersehbare - Karriere. Erst viel später vollzieht sich eine Rückführung zu den Wurzeln, die im Begreifen und Verzeihen und mit dem Tod der Eltern endet.

Formal wie dramaturgisch eine außergewöhnliche Auseinandersetzung mit dem zweigeteilten Deutschland, eine bittere Anklage an ein totalitäres System, das seine Kinder - im wahren Sinne des Wortes - erstickt. Andreas Kleinert hat ein faszinierendes Plädoyer für "offene Grenzen" inszeniert, wobei er diese Grenzöffnung nicht nur völkerstaatlich, sondern auch zwischenmenschlich verstanden haben will. In ruhigen, bewegenden Bildern beschreibt er den langen Rückweg seiner Hauptfigur, die sich nur nach und nach mit ihren Eltern aussöhnen kann, nur langsam begreift, warum man ihr als Kind so viel Liebe und Leid gleichzeitig antat. Kleinert verschachtelt die unterschiedlichen Erzählebenen grandios, wechselt die Zeiten ohne Bruch, anscheinend von leichter Hand, erzählt in Farbe und Schwarz-Weiß und kann sich auf großartige Schauspieler verlassen, die immer eine Aura leiser Trauer umgibt, ohne das sie in Wehmütigkeit erstarren. Dieses hochgeschraubte dramaturgische Konzept hätte leicht ins Auge gehen können, doch anscheinend spielerisch fügt sich eins ins andere. So zählt die "Verlorene Landschaft" zu den besten deutschen Filmen der letzten Zeit, der keinen internationalen Vergleich zu scheuen braucht, auf Grund seines Themas jedoch unverwechselbar deutsch ist. Was Kunstgewerbe hätte werden können, gerät durch die beiläufige Art, wie die Geschichte erzählt wird, zur Kunst. Da wird kein Handwerk ausgestellt, sondern eine wichtige Geschichte um ihrer selbst willen erzählt. Und das ist lange schon keine Selbstverständlichkeit mehr - im deutschen wie im internationalen Kino.
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