Valerie (2006)

- | Deutschland 2006 | 84 Minuten

Regie: Birgit Möller

Eine attraktive Polin in Berlin hat den Zenit ihrer Model-Karriere überschritten und versucht dennoch, die Selbstinszenierung des schönen Scheins aufrecht zu erhalten. Ein wunderbar lakonisch inszenierter, in der Hauptrolle überzeugend gespielter Film, der ein entlarvendes Gesellschaftsbild skizziert. Über das individuelle Schicksal hinaus erzählt er so manches über innere Armut und allgemeine Befindlichkeiten. - Sehenswert ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2006
Produktionsfirma
credofilm/Deutsche Film- und Fernsehakademie (dffb)/ZDF (Das kleine Fernsehspiel)
Regie
Birgit Möller
Buch
Ruth Remet · Ilja Haller · Milena Baisch · Elke Sudmann · Birgit Möller
Kamera
Kolja Raschke
Musik
Christian Conrad
Schnitt
Piet Schmelz
Darsteller
Agata Buzek (Valerie) · Devid Striesow (André) · Birol Ünel (Jaro) · Guntbert Warns (Herr Isenberg) · Anne Sarah Hartung (Isa)
Länge
84 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 16.

Heimkino

Verleih DVD
Neue Visionen (16:9, 1.85:1, DD5.1 dt.)
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Diskussion
Im Berlin der Gegenwart scheint der soziale Absturz so nah wie die Präsenz materiellen Überflusses. Die Designerkleider, die extravagante Frisur und das aufwändige Make-up stimmen noch und zeugen von besseren Zeiten, doch hinter dem äußeren Glamour lauert bereits die Müdigkeit des gnadenlosen Verdrängungswettbewerbs unter den Reichen und Schönen. Der wunderbar lakonische dffb-Abschlussfilm von Birgit Möller (Jg. 1972) stellt ein kapriziöses polnisches Ex-Model vor, das vergeblich versucht, den eigenen Abstieg zu ignorieren. Auf den Laufstegen von Paris nicht mehr gefragt, strandet die 29-jährige Titelheldin ohne gültige Kreditkarte in Berlin. Kurz vor Weihnachten schleicht sie sich vom Luxuszimmer im exklusiven Hyatt am Potsdamer Platz hinunter in die Tiefgarage, wo sie noch nicht mal die Parkgebühren bezahlen kann und ihren alten Jaguar kurzerhand zur Bleibe umfunktioniert. Tagsüber hält sie Kontakt zu ihrer Agentin, reaktiviert alte Bekanntschaften wie zu dem von Birol Ünel wunderbar überdreht gespielten Fotografen, treibt sich auf Partys herum und verheimlicht ihren Freunden und Kollegen den Ernst ihrer so peinlichen wie existenziell bedrohlichen Situation. Valerie ist eine Meisterin der Verstellung, charmant und dreist klaut sie sich durch die Hotelflure, stets gefasst und scheinbar autark gibt sie auch weiterhin die kühle Diva, die immer noch gut im Geschäft ist. Irgendwann abgekoppelt von allen sozialen Bindungen, sieht sie sich dem Wohlwollen eines Parkhauswächters (Devid Striesow) ausgeliefert, der sich von ihrem Doppelleben nicht täuschen lässt und die obdachlose Schönheit zu sich nach Hause nimmt. In der bescheidenen Zweizimmer-Wohnung wirkt sie mit ihrer Grandezza wie ein Fremdkörper, und dass sie dort lange aushält, ist mehr als fraglich. Die porzellanhäutige Agata Buzek, in Polen ein angehender Star, spielt die Rolle des blinden Passagiers mit erstaunlicher Coolness und Nonchalance – vielleicht weil sie nach eigenen Jahren als international gefragtes Model die oft triste Realität hinter dem Glanz der Modewelt kennt. In ihrem stets auf die Erhaltung des Scheins bedachten Kampf um den Status Quo bewegt sich ihre Figur mühelos zwischen Gosse und Champagner-Empfang, scheut nicht einmal, sich zu prostituieren und kann den Abstieg doch nicht aufhalten. Ins Bodenlose wird sie nie fallen, dafür ist ihr Überlebensinstinkt zu ausgeprägt. Mit der New Yorkerin „Sue“ (fd 33 299) von Amos Kollek, die ohne Job, Beziehung und Wohnung in der Anonymität der Großstadt zu Tode vereinsamte, ist sie deshalb nur entfernt verwandt. Auch wenn ihr Äußeres Zerbrechlichkeit andeutet, ist sie stark und stolz, gerissen und intelligent genug, um immer wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. Ein Opfer ihrer Träume ist sie dennoch, Lüge und Selbstbetrug sind ihr lieber, als die Fragilität des nur temporär zu haltenden Selbstentwurfs anzuerkennen. Die kluge Regie widersteht den dem Stoff innewohnenden melodramatischen Versuchungen, bleibt sachlich beobachtend und offen für psychologische Nuancen. Birgit Möller, die für Catharina Deus in „Die Boxerin“ (fd 37 461) die Kamera führte, erzählt souverän und mitunter subtil komisch von äußerem Reichtum und innerer Armut, Schein und Realität, Einsamkeit und Egoismus in einer kalten, auf Erfolg und Gewinnmentalität getrimmten Welt. Nicht zuletzt dank der perfekten Besetzung ein ungemein spannendes, an Kinobildern reiches, schön und dicht fotografiertes Porträt einer Grazie im freien Fall, ein entlarvendes Gesellschaftsbild und Visitenkarte einer jungen Regisseurin, deren unbestechlicher Blick auf Großes hoffen lässt.
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