Ich. Immendorf

Dokumentarfilm | Deutschland 2007 | 98 Minuten

Regie: Nicola Graef

Ein noch zu Lebzeiten verfasster filmischer Nachruf auf den Malerfürsten Jörg Immendorf (1945-2007), der, obwohl bereits an einer unheilbaren Nervenkrankheit leidend, die Fäden in seinem Atelier fest in der Hand hält. Der mitunter von zu großem Respekt getragene Dokumentarfilm hinterfragt weder das Wesen des Künstlers noch das seiner Kunst entscheidend und lässt kunsthistorische Bezüge weitgehend offen. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2007
Produktionsfirma
Lona.media (für WDR)
Regie
Nicola Graef
Buch
Nicola Graef
Kamera
Alexander Rott
Musik
George Kochbeck
Schnitt
Kay Ehrich
Länge
98 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 0 (DVD)
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
Real Fiction (16:9, 1.78:1, DD2.0 dt.)
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Diskussion
Wie malt man mit eingeschlafenen Händen? Dieser Frage musste sich der im vorigen Jahr verstorbene Künstler Jörg Immendorff in seinem letzten Lebensjahrzehnt stellen, nachdem bei ihm eine unheilbare Nervenkrankheit diagnostiziert wurde. In einem schleichenden Prozess lähmt die Amyotrophe Lateralsklerose Arme und Beine des Betroffenen, bevor sie auf die Lunge übergreift und schließlich zum Tode führt. Die Dokumentaristin Nicola Graef durfte Immendorff zwischen 2005 und 2006 mit der Kamera begleiten und greift für eine vorläufige Antwort auf die bei Immendorff ohnehin stark strapazierte Formel vom Malerfürsten zurück. Als solcher dirigiert er einen Hofstaat dienstbarer Geister, die, im herrischen Tonfall angeleitet, seine ermattete Hand ersetzen. Es wäre ihm gänzlich unerträglich, sagt Immendorff dazu im Film, wenn die Persönlichkeit seiner Assistenten auf seinen Bildern erkennbar würde – weshalb man später mit Erleichterung registriert, dass sowohl der Maler wie auch die Dokumentaristin den fleißigen Lieschen immerhin abseits der Immendorffschen Leinwand eine eigene Persönlichkeit zugestehen. Wie in seiner Malerei war Jörg Immendorff auch als Mensch ein auf Reibung geeichter Charakter. Dass daran die Krankheit nichts geändert hat, ist die wesentliche Botschaft von „Ich. Immendorff“. Pünktlich zum ersten Todestag des Porträtierten kommt Graefs Film in die Kinos – weniger eine kritische Würdigung denn ein zu Lebzeiten erstellter Nachruf. Neben dem Künstler selbst kommen Freunde und Weggefährten zu Wort, Immendorffs Mutter öffnet ihre Bilderalben, von allen Seiten wird die Kunst als Lebenselixier des Sterbenden beschworen. Markus Lüpertz sähe seinen Freund wegen dessen offenen Umgangs mit dem Tod gerne zum Helden ausgerufen, Franz Erhard Walther, ein Kommilitone aus Düsseldorfer Akademietagen, wundert sich hingegen immer noch über Immendorffs frühe biografische Wandlung vom wohlerzogenen, ja kindlich-verspielten Studenten zum Jungen Wilden und Bürgerschreck. Auch andere Aussagen legen dem Betrachter nahe, dass Immendorff erst spät zu seiner Rolle fand und aus Anlehnungsbedürfnis heraus „auf Lüpertz machte“ (Franz Erhard Walther). Dass der Porträtierte letzteren in künstlerischer Hinsicht um Längen überragt, hätte Graef nicht davon abhalten dürfen, diesem möglichen Wendepunkt ein paar Gedanken mehr zu widmen. Das große Manko von „Ich. Immendorff“ ist denn auch seine Abstinenz in kunsthistorischen Fragen. Weder erhält der Zuschauer einen schlüssigen Einblick in die späte Produktion des auf kollektive Hilfe angewiesenen Malers, noch geht der Film auf die Positionen seines Werkes ein. Dabei drängen sich die Themen geradezu auf: Immendorffs Akademie-Lehrer Joseph Beuys setzte die Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte wieder auf die Tagesordnung und bereitete der modernen Historienmalerei des „Café Deutschland“-Zyklus’ erst den Boden – in den späten 1970er-Jahren behandelte Immendorff die deutsche Teilung dann nahezu exklusiv. Was wiederum Immendorffs Werdegang in der Düsseldorfer Kunstszene anbelangt, muss sich der Zuschauer mit einer Bemerkung des Galeristen Michael Werner begnügen. Der resümiert den Riss zwischen der „coolen“ Fraktion um Gerhard Richter, Sigmar Polke und Blinky Palermo und dem Jungen Wilden recht unverblümt: „Die konnten ihn alle nicht ausstehen.“ Viel Feind, viel Ehr, dieses Motto begleitete Jörg Immendorff sein gesamtes Künstlerleben, und obwohl Graef den ersten Teil der Ableitung pietätvoll unterschlägt, liefert ihr Film Anschauungsmaterial für beide Seiten. Es gibt einige anrührende Momente in ihrem Film, darunter die gemeinsame Porträtsitzung mit einem vor Verehrung glühenden Jonathan Meese, aber auch manches Irritierende. Bis das Leiden Überhand gewinnt, bleibt Immendorff vor Nicola Graefs Kamera ein Malerfürst im Guten wie im Schlechten: Großspurig und unbeirrbar, distanziert und geradeheraus, von seiner Krankheit gezeichnet, aber nicht von ihr besiegt.
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