Drama | Deutschland 2008 | 109 Minuten

Regie: Christian Klandt

Spielfilm, der den tatsächlichen Tötungsversuch zweier Teenager an einem Obdachlosen (nach-)inszeniert. Die in einer strukturschwachen ostdeutschen Kleinstadt verorteten Ereignisse werden am Beispiel von fünf Figuren aufgerollt, wobei das destruktive Kumpelverhältnis der beiden Täter im Mittelpunkt steht. Die eindringliche Milieustudie verzichtet auf Schuldzuweisungen und konzentriert sich auf die um Authentizität bemühte Bestandsaufnahme eines Lebens ohne Zukunftsperspektive, das geprägt ist von Frustration und latenter Aggression. - Ab 16.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2008
Produktionsfirma
Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolff"/ARTE
Regie
Christian Klandt
Buch
Christian Klandt
Kamera
René Gorski
Musik
Paul Rischer
Schnitt
Jörg Schreyer
Darsteller
Hendrik Arnst (Heinrich) · Florian Bartholomäi (Till) · Justus Carrière (Günter) · Franziska Krumwiede (Karstens Mutter) · Karoline Schuch (Steffi)
Länge
109 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12; nf
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
Genre
Drama
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Diskussion
„Auf jeden Fall besser als hier“: Das ist so ein Satz, der hängen bleibt. Steffi und ihre beste Freundin wissen zwar einmal, wo genau diese westdeutschen Städte liegen, in denen es noch Jobs und Lehrstellen geben soll, doch klar ist: Schlechter als in ihrem brandenburgischen Kaff kann es dort nicht sein. „Weltstadt“ erzählt zwar von einem Geschehen, das sich auch in einem ähnlich strukturschwachen westdeutschen Ort hätte zutragen könnte; doch Autor und Regisseur Christian Klandt will seine Story explizit nicht als „typisch ostdeutsch“ verstehen. Und doch gehören die biografischen Brüche und die Erfahrungen, die mit der DDR und ihrem Ende einhergehen, untrennbar zu der Geschichte, wie der Film sie schildert. „Nach einer wahren Begebenheit“, heißt es eingangs: Klandt fiktionalisiert einen Vorfall, der sich 2004 in seiner Heimatstadt Beeskow ereignete. Ein 18- und ein 22-Jähriger hatten damals einen im Park schlafenden Obdachlosen angezündet, der die Tat nur mit viel Glück überlebte. Der Regisseur, der momentan noch an der HFF in Potsdam studiert, nahm den Brandanschlag zum Anlass, die (fiktiven) 24 Stunden vor und 12 Stunden nach dem Geschehen am Beispiel von fünf Personen zu erzählen: den beiden Tätern, Karsten und Till, dem Kioskbesitzer Heinrich, Tills Freundin Steffi, die eine Lehrstelle sucht, und Tills Vater Günter, einem Polizeibeamten. Im Film bleibt der Schauplatz – eine Kleinstadt mit einer hübschen Backsteinkirche, einem lieblichen Bach und heruntergekommenen Plattenbauten – namenlos: gedreht wurde jedoch in Beeskow. In langen Einstellungen sehen Klandt und sein Kameramann René Gorski (der aus Beeskow stammt) dem Leben scheinbar nur zu. Auf diese Weise bekommen banale, alltägliche Verrichtungen, Streitereien und Machtspielchen, aber vor allem die zum Großteil improvisierten Dialoge einen stark dokumentarischen Charakter. Der Film gewinnt dadurch eine bedrückende Authentizität, zeigt er doch einen Ort und ein Leben, das jegliche Möglichkeit zum Träumen oder zu wirklichen zwischenmenschlichen Kontakten abschnürt. Auf dise Weise wird eine Atmosphäre kreiert, die von sozialer Kälte und latenter Aggression geprägt ist. Im Zentrum steht das destruktive Kumpelverhältnis zwischen Karsten und Till. Für Karsten, der keinen Schulabschluss gemacht hat und der vor Gewaltbereitschaft förmlich vibriert, gibt es kein Miteinander, sondern nur Über- oder Unterlegensein; mit einer Glasscherbe ritzt er sich Verbindungslinien zwischen die Leberflecke auf seinem Oberkörper und nennt das dann „Selbstbild“. Mit beeindruckender physischer Präsenz spielt Gerdy Zint diese verlorene Figur. Nicht minder überzeugend ist Florian Bartholomäi (der wie Zint keine Schauspielschule besucht hat) in der Rolle des Till: Ein unsicherer, leicht zu beeinflussender Junge, der gerade seine Malerlehre abgebrochen hat, aber zumindest noch eine leise Ahnung von einem anderen Leben besitzt, wenn auch nicht die Kraft und das Selbstbewusstsein, dieses Leben auch anzupacken. Seine Freundin Steffi scheint diese Kraft im Lauf des 36-stündigen Geschehens immerhin zu entwickeln. Gegen die Langeweile, die kleinen Diebstähle, das Macho-Gehabe der Jungen schneidet der Regisseur die ältere Generation, die vielleicht genauso wenige Perspektiven, aber zumindest noch die Erinnerungen an (vermeintlich) bessere Zeiten hat, die zumindest ein Leben kennt, an dem sie so etwas wie Werte verorten lassen. Neben der vielleicht etwas zu zart skizzierten Figur des Spießers Günter, der sich selbst einen Steingarten, seinem Sohn aber nicht die teuren Markenturnschuhe spendieren will, ist es vor allem Heinrich, der viel über diese Generation erzählt. Gerade ist er zum zweiten Mal pleite gegangen; seine Imbissbude sperrt er an diesem Tag zum letzten Mal auf. Beim Abschiedsumtrunk wird darüber räsoniert, dass an Honecker und der Planwirtschaft nicht alles schlecht war. An solchen Szenen lassen sich die feine Beobachtungsgabe, die präzise Schauspielerführung und das inszenatorische Geschick des Autors und Regisseurs Klandt beobachten, der seine Figuren weder denunziert noch auf Klischees reduziert, sondern ihr rückwärtsgewandtes Denken zumindest nachvollziehbar macht. Szenen wie diese skizzieren aber auch das Klima aus Frustration und Resignation, in dem ein solch fatales Wertevakuum entstehen kann. Generell spart sich die Milieustudie (die in einer kürzeren Version unter dem Titel „Heimatfilm“ bereits im Fernsehen lief) die Anklagen und Schuldzuweisungen, auch was den finalen Ausbruch der Gewalt betrifft. „Weltstadt“ liefert „nur“ die Bestandsaufnahme eines Lebens ohne Hoffnung: Eben das macht den Film so erschütternd.
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