Giravolte - Freewheeling in Roma

- | Italien 2001 | 85 Minuten

Regie: Carola Spadoni

Geschichten um verschiedene Protagonisten, die von der Kamera auf ihren Streifzügen durch Rom begleitet werden. Zugleich vereinigen sich seltsame Radiomeldungen zu einem vielstimmigen Porträt der italienischen Hauptstadt und ihrer Einwohner fernab bekannter Touristenattraktionen. Aus der Kombination von Schauspielern und Laiendarstellern sowie von improvisierten und inszenierten Szenen entsteht ein lebendiges Bild der Metropole, das zugleich Plädoyer für eine pluralistische Gesellschaft und einen alltäglichen Humanismus ist. (O.m.d.U.) - Ab 16.
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Filmdaten

Originaltitel
GIRAVOLTE
Produktionsland
Italien
Produktionsjahr
2001
Produktionsfirma
Axelotil Film/Boccia Film
Regie
Carola Spadoni
Buch
Graziano Misuraca · Carola Spadoni
Kamera
Paolo Carnera
Musik
Carlotta Cristiani
Schnitt
Carlotta Cristiani · Cecilia Pagliarani
Darsteller
Victor Cavallo (Victor) · Danilo Giannini (Danilo) · Vincenzo Pietroiaco (Enzo) · Moritz Alioto (Maurizio) · Massimo De Santis (Giubileo)
Länge
85 Minuten
Kinostart
12.08.2010
Pädagogische Empfehlung
- Ab 16.
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Diskussion
Sie trägt einen engen roten Rock, dazu ein schwarzes Shirt, weit ausgeschnitten. Bevor die hohen Sandaletten zu sehen sind, verrät ihr Gang das Schuhwerk. Vittoria ist nicht mehr jung; und ihre Kurven trauern einem Schönheitsideal aus den 1950er-Jahren nach. Rosa Pianeta spielt die von Enttäuschungen abgehärtete, aber noch nicht gebrochene Prostituierte nach Feierabend. Die Figur wirkt wie einem Film von Federico Fellini entsprungen, und sie ist nicht die einzige in „Giravolte – Freewheeling in Roma“ von Carola Spadoni, die solche Assoziationen weckt. Der Alltagsphilosoph Victor fährt auf seinem Motorino durch Rom wie einst der Fotograf auf der Vespa in „Das süße Leben“ (fd 9260). Victor landet allerdings nicht bei der Fontana di Trevi. Die Orte, die er ansteuert, sind untypischere Motive: Unter der Brücke in Testaccio isst er zu Mittag mit Obdachlosen, er verteilt Flugblätter auf Roms bekanntestem Flohmarkt an der Porta Portese in Trastevere, in einer Bar nahe des Großmarkts wird der Tag zu Ende gefeiert. Der einzige lange Spielfilm der in Rom und Berlin lebenden Videokünstlerin Carola Spadoni ist um die Jahrtausendwende angesiedelt und wurde 1998/99 gedreht. 2002 lief er im „Forum“ der „Berlinale“, nun erst kommt er ins Kino. Bis Ende Juni 2010 waren Arbeiten der Künstlerin im italienischen Kulturinstitut in Berlin zu sehen. Damals wie heute ist ihr Film auch als Gegenkino zum gleichgeschalteten, mit billigen Bildern überfluteten Italien Berlusconis zu lesen, als Plädoyer für eine pluralistische Gesellschaft und den alltäglichen Humanismus. Die Regisseurin kombiniert Laiendarsteller mit professionellen Schauspielern, viele der Dialoge und Sequenzen sind improvisiert. Inszenierte und in freier Improvisation entwickelte Passagen lassen sich kaum mehr voneinander trennen. Victor steht auf dem Flohmarkt und persifliert die anstehende Wahl des Bürgermeisters, indem er sich selbst zur Wahl stellt. Seine Qualitäten preist er in einem poetischen Pamphlet an, das sich nichts weniger als die reine Utopie zum Ziel setzt. Um ihn herum rauscht das Flohmarktleben, das Spadoni als spezifisches Glück der Begegnungen und des Handelns um erlesene, herbeigesehnte, zufällige Fundstücke übersetzt. Ein älterer, grau gelockter Herr (gespielt vom italienischen Experimentalfilmer Alberto Grifi) diskutiert mit autonomen Comic-Verkäuferinnen und sucht nach besonders gewalttätigem Filmmaterial aus „Henry: Portrait of a Serial Killer“ (fd 30 092) von John McNaughton, das nach der Zensur ausgemustert wurde. Damit rekurriert die Regisseurin nicht nur auf diesen Film, sondern vielmehr auf „Liebes Tagebuch“ (fd 30 867) von Nanni Moretti, der „Henry: Portrait of a Serial Killer“ ebenfalls zu einem seiner Themen – und Antipoden – machte. Auch dort fährt der Chronist römischer Lebenskultur auf seiner Vespa durch Roms touristenferne Viertel und denkt über die Stadt, über sich und über das Kino nach. Eigenartige Radiomeldungen tragen zur Vielstimmigkeit von Spadonis Liebeserklärung an Rom bei. Radio Punto Zero fordert seine Zuhörer beispielsweise zu imaginären Reisen auf oder berichtet von der Beschlagnahmung schadhafter DNA zwischen Albanien und dem Kosovo. Nachrichten aus der Zukunft, Reportagen aus Traumwelten: Die Frequenz wurde für den Film kreiert. Am Ende taucht ein amerikanisches Pärchen in der Bar auf, die Frau wird von Drena De Niro dargestellt, Robert De Niros Adoptivtochter. Die beiden haben allen Grund, sich hier unter denjenigen zu verstecken, die von der Nacht noch übrig geblieben sind. Schließlich wird Vittoria in ihrem engen roten Rock als Siegerin davon gehen. Vielleicht.
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