House of Boys

- | Luxemburg/Deutschland 2010 | 117 Minuten

Regie: Jean-Claude Schlim

Sein spießiges Elternhaus hinter sich lassend, taucht ein junger Mann in den 1980er-Jahren in die schwule Subkultur Amsterdams ein. In einem Bordell für männliche Prostituierte findet er Arbeit, begegnet diversen schillernden Figuren und verliebt sich in einen Kollegen. Was zunächst als buntes Zeitbild und Porträt der schwulen Szene wie ein unbeschwertes Coming-of-Age-Musical mit einigen drastischen Sexszenen inszeniert ist, schlägt in der zweiten Hälfte in ein Drama um die Immunschwäche AIDS um, die der Sorglosigkeit ein Ende setzt. Während angesichts der vielen Erzählstränge die Charaktere und Beziehungen der Hauptfiguren etwas oberflächlich bleiben, gelingt im zweiten Teil ein ungeschönter Blick auf den Verlauf der Krankheit.
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Filmdaten

Originaltitel
HOUSE OF BOYS
Produktionsland
Luxemburg/Deutschland
Produktionsjahr
2010
Produktionsfirma
Delux/Elsani Film
Regie
Jean-Claude Schlim
Buch
Jean-Claude Schlim · Christian Thiry · Bob Graham
Kamera
Carlo Thiel
Musik
Gast Waltzing
Schnitt
Katharina Schmidt
Darsteller
Layke Anderson (Frank) · Benn Northover (Jake) · Udo Kier (Madame) · Eleanor David (Emma) · Steven Webb (Angelo)
Länge
117 Minuten
Kinostart
02.12.2010
Fsk
ab 16; f
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Diskussion
Das Leben war bunt und beschwingt in den 1980er-Jahren, voller glitzernder Möglichkeiten – zumindest, wenn man jung und dem spießigen Elternhaus entronnen war. So zeichnet Jean-Claude Schlim am Anfang das Bild einer Epoche, fast schon bonbonfarben und musikalisch mitreißend im Sound der Zeit, von Jimmy Sommerville bis zu Soft Cell. Sein Held, der 17-jährige homosexuelle Frank, verlässt die biedere Luxemburger Heimat und landet in Amsterdam, in einem „House of Boys“ – einem Bordell, in dem männliche Prostituierte arbeiten. Frank reizt an dem Etablissement vor allem die kleine Bühne, auf der die Mitarbeiter kitschig-erotische Varieté-Nummern in Fantasiekostümen darbieten. Seine Karriere beginnt freilich zunächst hinter der Bar. Chefin im „House of Boys“ ist die exzentrische Drag-Queen „Madame“, neben ihr gibt es als sanftes Pendant zur gestrengen Hand noch Emma, die gute Seele und einzige Frau im Haus. Frank verliebt sich in „das beste Pferd im Stall“, den bisexuellen Jake, der allerdings eine Geliebte hat. In annähernd den ersten zwei Dritteln des Films regiert das schillernde Bild eines Jahrzehnts und einer Subkultur, die unbeschwert feiert und sich sexuell austobt: Die Bedrohung der noch unbekannten Krankheit, der so verschrienen „Schwulenseuche“, ist weit weg, in Amerika. Die fünf jungen Männer, die im Bordell arbeiten, scheinen paradigmatisch für einen Querschnitt durch die Szene zu stehen. Es gibt neben Frank und Jake noch Angelo, einen Transvestiten, der auf seine Geschlechtsumwandlung spart, und Dean, einen Punk, der nachts Graffitis sprüht, außerdem den sensiblen Herman, der unter seinem gewalttätigen Vater leidet und bald von Frank ersetzt wird. Die jungen Darsteller, insbesondere Benn Northover als Jake, spielen gut und mit Leidenschaft. Der Film beginnt mit einer Tanzszene, kurz darauf wird Frank als „König der Tanzfläche“ eingeführt. Die Revuenummern im Club sind eigenständige lange Sequenzen, die an Choreografien wie in „Priscilla – Königin der Wüste“ (fd 31 053) denken lassen; so wird der erste Teil des Films zum gut gelaunten Coming-of-Age-Musical mit einigen, eher komödiantisch gefärbten Liebeswirren. Während die Tanz- und Singszenen und das kommunenähnliche Zusammenleben schwungvoll inszeniert sind, überträgt sich der Rhythmus nicht auf die Spielhandlung. Die Liebesgeschichte zwischen Frank und Jake transportiert sich nicht so recht und wird etwas zerfasert im Bemühen, die anderen Stränge, Charaktere, Rückblenden zu erzählen. Es gibt einige leicht irreführende, fast pornografische Szenen; die Dialoge sind mitunter simpel. Insgesamt führt das zu Längen. Abrupt wechselt danach die Stimmung: Bei Jake wird AIDS diagnostiziert. Ein amerikanischer Kunde hat ihn angesteckt. Mitte der 1990er-Jahre gab es viele Filme, die sich mit der Immunschwäche beschäftigten, etwa den ersten Hollywood-Film zum Thema, „Philadelphia“ (fd 30 662), den Schweizer Film „Ausgerechnet Zoé“ oder Larry Clarks „Kids“ (fd 31 598). Gleichzeitig wurden in Westeuropa die wirksamen antiretroviralen Kombinationstherapien eingeführt. Das Thema verschwand weitgehend von der Bildfläche, was wohl zu einer neuen Sorglosigkeit beitrug. Die Infektionszahlen sind in den vergangenen Jahren auch in Westeuropa wieder angestiegen. Ab 2000 gab es nur noch wenige Filme, die sich mit der Pandemie auseinander setzten; eine der wenigen Ausnahmen war Almut Gettos „Fickende Fische“ (fd 35 542). Fünf Jahre lang kämpfte Jean-Claude Schlim für die Finanzierung seines Films; nun ist „House of Boys“ sein Langfilmdebüt als Regisseur und Autor. Den Verlauf der Krankheit zeigt er ungeschönt. Der Stimmungswechsel wird auch farbdramaturgisch sehr deutlich. Wo vorher satte, leuchtende Farben dominierten, herrscht nun das fahle Grün der Krankenhausflure vor. Es ist Winter und dunkel.
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