The Real American - Joe McCarthy

Dokumentarfilm | Deutschland 2011 | 98 Minuten

Regie: Lutz Hachmeister

Ein Versuch des Historikers und Filmwissenschaftlers Lutz Hachmeister, US-amerikanische Geschichte filmisch neu zu schreiben: In einer Mischung aus Dokumentation, Zeitzeugen-Aussagen und nachgestellten Spielszenen beschreibt er Aufstieg und Fall des umstrittenen US-Senators Joseph McCarthy (1908-1957). Daraus entwickelt sich eine thematisch interessante, in der fließenden Integration von nachgedrehten Spielszenen ins Wochenschau-Material durchaus beeindruckende Aufbereitung, die eher eine akribische Dokumentation für politische Seminare als ein auch visuell adäquat verdichteter Kinofilm ist. (Teils O.m.d.U.) - Ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
HMR Prod.
Regie
Lutz Hachmeister
Buch
Lutz Hachmeister · Simone Höller
Kamera
Hajo Schomerus
Musik
Jewgeni Birkhoff
Schnitt
Mechthild Barth
Darsteller
John Sessions (Joseph McCarthy) · Justine Waddell (Jean Kerr) · Trystan Gravelle (Roy Cohn) · James Garnon (Richard Nixon) · Philip Bulcock (Alvin Spirak)
Länge
98 Minuten
Kinostart
12.01.2012
Fsk
ab 6; f
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Diskussion
Das Pech von Lutz Hachmeisters „The Real American“ ist es, dass er etwa zeitgleich mit Clint Eastwoods „J. Edgar“ in die Kinos kommt (deutscher Start: 12.2.). Joe McCarthy und J. Edgar Hoover waren nicht nur Zeitgenossen und gleichgesinnte Kombattanten im Kampf gegen eine vermeintliche kommunistische Unterwanderung, sondern auch ähnliche Karrieristen, denen jedes Mittel recht war, solange es ihrem persönlichen Vorteil nützte. Doch wie verschieden gehen Hachmeister und Eastwood bei ihren Versuchen zu Werke, eine Biografie dieser Männer auf die Leinwand zu bringen! Eastwood beschreitet den Weg eines Spielfilms, Hachmeister den einer mit „Re-Enactments“ durchsetzten Dokumentation. Eastwood gibt sich Mühe, hinter die allgemein bekannten historischen Fakten zu leuchten, und scheut auch vor persönlicher Spekulation nicht zurück, um ein heutiges Kinopublikum für eine der umstrittensten politischen Figuren der US-amerikanischen Geschichte zu interessieren. Hachmeister hingegen klammert sich an eine Fülle alten Nachrichtenmaterials und verpasst es weitgehend, den Menschen Joe McCarthy hinter den vielen Reden und Komiteesitzungen und vor allem dem um ihn entstandenen Mythos aufzuspüren. Vielleicht war Letzteres gar nicht seine Absicht. Aber in einer Zeit, in der McCarthy fast noch umstrittener ist als zu seinen Lebzeiten und in der rechtsrepublikanische US-Splittergruppen mit ihrer Politik und ihrem Auftreten allzu häufig an McCarthy und Hoover erinnern, ist es genau das, was das Publikum von einem jetzt in die Kinos kommenden Film erwartet. Nun mag Hachmeister argumentieren, dass ihm gar nicht daran gelegen sei, Kinoerwartungen zu bedienen, sondern dass es ihm einzig und allein um die Korrektur des Klischeebilds gehe, das von McCarthys Politik und dessen Tätigkeit im US-Senat durch die Köpfe geistert. Historiker werden zu entscheiden haben, ob Hachmeister richtiger liegt als andere Autoren, die sich vor ihm mit McCarthy befasst haben. Jedenfalls wird die Hoffnung nicht erfüllt, dass er sich beispielsweise mit emphatischen McCarthy-Verteidigern wie der konservativen Schriftstellerin und Fernsehkommentatorin Ann Coulter (die in seinem Film zu Wort kommt) auseinander setzen würde. Er lässt Zeitzeugen wie Henry Kissinger und Ben Bradlee das Objekt ihrer Erinnerungen als „Little Jerk“ abtakeln, während er parallel dazu allenfalls den eingefleischten Widerwillen der Ostküsten-Elite gegen den Emporkömmling aus Wisconsin für ein solches Urteil verantwortlich macht, was letztlich nichts anderes beweist als die gefährliche Unterschätzung, die McCarthys Kommunisten-Hetze überhaupt erst ermöglichte. Hachmeister hat sich offenbar in den Kopf gesetzt, Geschichte neu schreiben zu wollen. Was er dazu vorbringt, wird in den USA kontroverse Diskussionen auslösen, vor allem seine Theorie, dass es Präsident Eisenhower und die CIA gewesen sind und nicht die Entlarvungen durch den populären CBS-Journalisten Edward R. Murrow, die McCarthy schließlich zu Fall brachten; eine Auffassung, die außer Acht lässt, dass McCarthys „Approval Ratings“ erst unmittelbar nach der Murrow-Sendung dramatisch fielen. „The Real American“ ist mehr eine Dokumentation für politische Seminare als ein Kinofilm – und das trotz der oft beeindruckend fließenden Integration von nachgedrehten Spielszenen in das Wochenschau-Material. Am stärksten ist der Film bei der Beschreibung jener Ereignisse, die an McCarthys Fall Anteil hatten: bei den Vorgängen um McCarthys junge Adlaten Roy Cohn und David Schine, die McCarthys Sache während ihrer „Bücherverbrennungsreise“ nach Europa heftig blamierten, bei der Darstellung des Konflikts mit der Army und bei der Rüge durch den Senat. Interessant ist allerdings auch, was Hachmeister weglässt, vor allem die starke Unterstützung, die McCarthy aus den Reihen der amerikanischen Katholiken erfuhr und dessen enges Band mit der Kennedy-Familie, insbesondere mit Joseph P. Kennedy Sr., dem Patriarchen des Kennedy-Clans. Gewiss stecken genügend Informationen für ein geschichtsversessenes Publikum in Hachmeisters Film, aber hinter George Clooneys „Good Night, and Good Luck“ (fd 37 540) bleibt er für die Kinoauswertung trotz einer breiteren Perspektive schon deshalb zurück, weil er sich eines Stils bedient, den die Amerikaner „pedestrian“ nennen, was am besten mit „temperamentlos“ übersetzt werden kann.
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