George Harrison - Living in the Material World

Musikfilm | USA 2011 | 209 Minuten

Regie: Martin Scorsese

Dokumentarfilm über den englischen Musiker George Harrison, der auch die Zeit vor und nach den "Beatles" umfasst und ein chronologisches Lebensbild aus Archivmaterial und Zeitzeugen-Interviews skizziert. Formal konventionell, aber sehr facettenreich bestätigt der Film das Bild des innovativen Gitarristen als ruhender Pol der Beatles, ohne die Spannungen in Harrisons Persönlichkeit zu verschweigen, der seinen Frieden am Ende in indischer Mystik fand. Dabei unternimmt er freilich keinen Versuch, die Widersprüche zu erklären, sondern begnügt sich mit einer reichhaltigen Sammlung von Erlebnissen, Erfahrungen und Anekdoten. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
GEORGE HARRISON: LIVING IN THE MATERIAL WORLD
Produktionsland
USA
Produktionsjahr
2011
Produktionsfirma
Grove Street Pic./Spitfire/Sikelia Prod.
Regie
Martin Scorsese
Kamera
Martin Kenzie · Robert Richardson
Schnitt
David Tedeschi
Länge
209 Minuten
Kinostart
-
Fsk
ab 12
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Musikfilm | Dokumentarfilm
Externe Links
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Heimkino

Verleih DVD
StudioCanal (16:9, 1.78:1, DD5.1 engl./dt.)
Verleih Blu-ray
StudioCanal (16:9, 1.78:1, dts-HDMA engl./dt.)
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Diskussion
Ein Film über George Harrison ist immer auch ein Film über die Beatles. Weder John Lennon und Paul McCartney noch Ringo Starr und Harrison lassen sich ohne ihre Zugehörigkeit zu einer Band sehen, die wie kaum eine zweite Musikgeschichte geschrieben hat. So kann man Martin Scorseses Dokumentation gut in zwei Hälften aufteilen: die Zeit mit und ohne die Beatles. Formal bleibt Scorsese im konventionellen Rahmen, mischt Archivmaterial mit Interviews und geht chronologisch vor. Zeitzeugen und Weggefährten kommen ausführlich zu Wort, wobei nicht so sehr verschiedene Blickwinkel entstehen, als vielmehr Erfahrungen, Erlebnisse und Anekdoten gesammelt werden. Neben vielen anderen äußern sich Eric Clapton, Paul McCartney, Klaus Voormann, George Martin, Eric Idle, Terry Gilliam und Familienangehörige wie Sohn Dhani und Harrisons Witwe Olivia. Nach der knapp skizzierten Kindheit markiert die frühe musikalische Zusammenarbeit mit Lennon und McCartney den eigentlichen Beginn dieses Lebensbildes. Der Bogen spannt sich von den Auftritten des 17-Jährigen mit den anfangs fünfköpfigen Beatles in Hamburg (und noch ohne Ringo Starr) bis zur „Beatlemania“, von der spirituellen Sinnsuche bis zur Auflösung der Gruppe, von der Solokarriere über die Begegnungen mit dem Musiker Ravi Shankar bis zum Attentatsversuch auf Harrison 1999 in seinem Haus und dem Krebstod zwei Jahre später. Scorsese, der bereits Dokumentationen über die Rolling Stones, Bob Dylan und The Band gedreht hat, widmet sich hier erneut einem Idol der Popkultur. Neben der Begeisterung für die Musik mag noch etwas eine Rolle gespielt haben: Mit George Harrison teilt er die katholischen Wurzeln und den Geschmack an spiritueller Erfahrung. Diese Affinität, die sich an „Kundun“ (fd 33 031) beobachten lässt, macht die besondere Konzentration auf Harrisons Selbstfindung im Hinduismus nur zu verständlich. Bei gut dreieinhalb Stunden Laufzeit muss man allerdings einiges an Ausdauer aufbringen (die Doppel-DVD bietet zusätzlich noch zwei Musikextras und drei Interviews). Für interessierte Zuschauer, die keine Harrison-Fans sind, ist die Dokumentation überlang geraten, zumal sie kein ungewohntes Porträt des 1943 geborenen Künstlers entwirft. Eindrucksvoll und facettenreich ist sie dennoch: Dafür sorgen zuvor unveröffentlichte Fotos und Filme, die sowohl die private als auch die öffentliche Person zeigen, obgleich nicht immer leicht zu ermessen ist, wo die eine aufhört und die andere beginnt. Der Film bestätigt das Bild vom innovativen Musiker, der in seiner zurückhaltenden Art der ruhende Pol der Beatles war, aber genauso gut in Rage geriet, wenn er sich an den Dingen dieser Welt rieb. Ringo Starr nennt ihn „sanftes Lamm“ und „zornigen Wüterich“ und beschreibt damit zwei Temperamente, die ähnlich auch von anderen beobachtet wurden. Widersprüche in Harrisons Person erklärt Scorsese nicht, vielleicht weil er sein Material nur ausbreitet und man es nicht unbedingt als unvereinbar betrachten muss, dass der Einzelgänger einen großen Freundeskreis hatte, um seine Wirkung auf Frauen wusste und zu Extremen bei allem neigte, was er tat. Als Mensch, der sich gründlich auf die fernöstliche Meditation einließ, lebte er ganz in der „materiellen Welt“. Mit dem Erfolg war er schnell zu Geld gekommen und zugleich einer inneren Leere gewahr geworden, die er mit Drogen und Hippie-Träumen zu überspielen versuchte, bevor er die Mystik für sich entdeckte. Scheinbar verschaffte ihm sein Humor die nötige Bodenhaftung, weshalb er wohl auch ein stilles Vergnügen an dem Wirbel empfand, den der von ihm produzierte Monty-Python-Film „Das Leben des Brian“ (fd 22 602) unter religiösen Eiferern verursachte – nicht anders als Scorseses „Die letzte Versuchung Christi“ (fd 27 169), womit es eine weitere Brücke zu Harrison gibt. Bereits die Beatles hatten in den 1960er-Jahren Missfallen erregt, als die Jugend sie wie Heilsbringer feierte. Da wundert man sich nicht, dass Scorsese den Zuschauer miterleben lässt, wie Heiligenlegenden entstehen, indem er mit einem Bekenntnis von Olivia Harrison endet, die beim Tod ihres Mannes eine außergewöhnliche Lichterscheinung bemerkt haben will.
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