Dass die Performance-Künstlerin und Musikerin Laurie Anderson eine begnadete Erzählerin ist, weiß man spätestens seit ihrem Album „Big Science“. Mit ihrer warmen, ruhigen, einnehmenden Stimme lädt sie den Zuhörer auf assoziative Reisen ein, die nur bei oberflächlicher Betrachtung kontingent erscheinen. In ihrem filmischen Essay „Heart of a Dog“, dessen reflexive Imagination nicht von ungefähr an Chris Markers „Sans Soleil“
(fd 24 435) erinnert, erzählt sie Geschichten aus dem Leben ihres verstorbenen Hundes Lolabelle vor dem Hintergrund des Sterbens ihrer Mutter vor dem Hintergrund des Todes ihres langjährigen Partners und Ehemanns Lou Reed, dessen „magnificent spirit“ der Film gewidmet ist.
Es ist eine ausgedehnte, versponnene und spirituell inspirierte Gedankenbewegung, die „Heart of a Dog“ ausmacht, wobei bewusst nicht zwischen Profunden und Profanen getrennt wird. Der Film erzählt vom Zusammenhang von Liebe und Tod, vom Erlernen spiritueller Haltungen gegenüber beiden Erfahrungen, bedeutet der Tod doch auch, dass die Liebe freigelassen wird.
Der Film erzählt aber auch davon, wie ein Terrier sich binnen kurzer Zeit ein neues Revier erschließt, wie er seine Umgebung wahrnimmt, Bekanntschaften macht und vielleicht im hohen Alter noch beginnt, experimentelle Musik zu performen oder einen Facebook-Account einzurichten. Nicht zu vergessen: die Anschläge von 9/11, die die New Yorker lehrten, von einer Minute auf die nächste mit anderen Augen in den Himmel zu blicken, weil nicht zu erwarten war, dass von dort Gefahr droht. So unvergesslich es Anderson rückblickend erscheint, dass noch wochenlang Rußpartikel vom World Trade Center die Bordsteige von New York City weiß färbten, so unvergesslich spiegeln sich die skeptischen Blicke der New Yorker in dem Blick von Lolabelle, als der Hund einmal von Raubvögeln attackiert wird.
Laurie Anderson, die im Rahmen ihres bewegenden Town-Hall-Konzertes am 19. September 2001 von „Pieces And Parts“, von „Strange Angel“ und „Life On A String“ erzählte und sang, registriert in „Heart of a Dog“ sehr präzise die Veränderungen des American Way of Life im Gefolge von 9/11: die Militarisierung des öffentlichen Raumes, die Omnipräsenz der Überwachungskameras, die Datenerfassung der Bürger. Wurden einst nur die Biografien der Könige erzählt, so werden jetzt sämtliche Biografien erfasst und im National Security Agency’s Utah Data Center verarbeitet.
Kierkegaard, Wittgenstein und David Foster Wallace zitierend, mischt Anderson das Politische mit dem Spirituellen und gibt eine buddhistische Handreichung weiter: Man müsse lernen, traurig zu sein, ohne traurig zu sein. Dazu fließen Bilder, die mal näher, mal entfernter vom Diskurs sind: Animationen, Zeichnungen, Ausschnitte aus Gemälden, Home Movies, Unscharfes, Überblendungen, Bilder von Überwachungskameras, Meditatives, Verregnetes, gerne auch einmal die Perspektive von Lolabelle einnehmend. Dazu eindrucksvolle, zumeist sehr zarte Soundscapes von Laurie Anderson selbst, die Episoden aus ihrer eigenen Biografie erzählt: Kindheitserinnerungen, Unfälle, Krankenhaus-Geschichten, mutige Rettungsaktionen, die schwierige Liebe zur sterbenden Mutter, halb Vergessenes, fast Vergessenes.
Wie erzählt man sein Leben? Wenn David Foster Wallace mit seinem Satz „Jede Liebesgeschichte ist eine Geistergeschichte“ recht hat, dann gilt für Anderson zumal: „I Walk Accompanied By Ghosts!“ Von Freunden wie dem Konzeptkünstler Gordon Matta-Clark, der Mutter, Lolabelle und Lou Reed, der zum Schluss mit dem Song „Turning Time Around“ seine Idee von Liebe einwirft, das Andersons schwebende Meditation perfekt ergänzt: „My time is your time whren you’re in love.“