Dokumentarfilm | Deutschland 2019 | 94 Minuten

Regie: Stephan Hilpert

Der Spanier Raúl Sánchez de la Sierra, die Belgierin Anne-Laure Van der Wielen und der Deutsche Peter Merten sind oder waren allesamt als Entwicklungshelfer in der Demokratischen Republik Kongo tätig. Die Dokumentation beobachtet an ihren drei Beispielen verschiedene Facetten des Begehrens danach, Entwicklungshilfe zu leisten, und macht zugleich die Ambivalenzen der Helferrolle sichtbar. Dabei verzichtet der Film auf konventionelle Dramaturgien und fügt Momente aus dem Alltag der drei Protagonisten zu einem komplexen Bild der Widersprüche von Entwicklungspolitik. So zurückgenommen er inszeniert ist, zeigt er doch nachdrücklich europäische (Denk-)Fehler im Umgang mit afrikanischen Ländern auf. - Sehenswert ab 14.
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Filmdaten

Produktionsland
Deutschland
Produktionsjahr
2019
Produktionsfirma
HFF Hochschule für Fernsehen und Film München/Stephan Hilpert Prod./ZDF - Das kleine Fernsehspiel
Regie
Stephan Hilpert
Buch
Stephan Hilpert
Kamera
Daniel Samer
Musik
Sebastian Fillenberg
Schnitt
Miriam Märk
Länge
94 Minuten
Kinostart
22.08.2019
Fsk
ab 12; f
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Komplexe Dokumentation über drei europäische EntwicklungshelferInnen in der Demokratischen Republik Kongo, die verschiedene Facetten ihrer Beweggründe aufzeigt und zugleich die Ambivalenzen der Helferrolle sichtbar macht.

Diskussion

Ein deutscher Außenminister zu Besuch in der Demokratischen Republik Kongo: Mit analytischer Genauigkeit folgt die Kamera den Dramaturgien einer interkulturellen Begegnung, die ins Leere läuft. Frank-Walter Steinmeier spricht in seiner Rede anlässlich des Ausbaus eines Flughafens mit dem üblichen professionellen Pathos eines Politikers. Die kongolesische Delegation hat zu seiner Begrüßung Baströcke angezogen und führt etwas „Traditionelles“ auf, die Blicke der Männer wirken jedoch skeptisch und lustlos, während sie auf die französische Übersetzung warten.

Stephan Hilpert nimmt in seinem Film die Infrastrukturen der Entwicklungspolitik in den Blick, doch diese umfassen nicht nur Verkehrswege und Architekturen, sondern vor allem affektive Investments, die engagierte Europäer an das afrikanische Land herantragen. Anhand von drei ProtagonistInnen beobachtet die Dokumentation verschiedene Facetten des Begehrens danach, Entwicklungshilfe zu leisten, und macht zugleich die inneren Ambivalenzen der Helferrolle sichtbar.

An die Grenzen kommen

Da ist Raúl Sánchez de la Sierra. Er ist ebenso Wissenschaftler wie Aktivist, eine Doppelrolle, die starke innere Widersprüche produziert. Die Untersuchung seines Forschungsgegenstands erfordert professionelle Distanz, zugleich bemüht er sich um Solidarität mit dem Schicksal der Menschen vor Ort, auf deren Unterstützung er bei der Wissensproduktion angewiesen ist. Um die wirtschaftlichen Strukturen im Kongo zu verstehen, die sich auch jenseits der staatlichen Organisationen bilden, führt er empirische Studien mit Rebellengruppen durch, die in ihren Interviews jedoch unmittelbar von der schweren Gewalt berichten, die sie zur Durchsetzung ökonomischer Souveränität mit großer Selbstverständlichkeit anwenden.

Raúl will die Kongolesen durch seine Dissertation darin unterstützen, die Strukturen zu verstehen, die das Land immer weiter destabilisieren, und muss dabei sein inneres Urteil zugunsten des wissenschaftlichen Nachvollzugs zunächst aussetzen. Doch die Motivation, sich in solche extremen Situationen zu begeben, scheint auch daher zu rühren, dass Raúl stets im Hochspannungsmodus arbeitet, um ungelösten Konflikten in der Heimat zu entgehen. Die befristeten Anstellungen, die er den kongolesischen Kollegen über seine Anbindung an internationale Institutionen ermöglicht, verhindern zugleich, dass sich ein kollegiales Verhältnis auf Augenhöhe entwickeln kann, da durch die große Armut ein Machtgefälle in der Forschergruppe entsteht, das ein Gelingen des Projekts zu gefährden droht.

Engagement von innen

Anne-Laure Van der Wielen hat genau diese Schieflage nicht mehr ausgehalten, weil sie um die Aufrichtigkeit in den Beziehungen fürchtet, die sie vor Ort zu den Menschen eingegangen ist. Um nicht mehr nur die Ressourcenquelle von anderen zu sein, und damit immer außen vor zu bleiben, hat sie die Stelle als Entwicklungshelferin aufgegeben, um sich gemeinsam mit der Gemeinde in Goma bei der Organisation eines großen Musikfestivals zu engagieren.

Man merkt ihr die Liebe zu dem Ort und den Menschen an, ihre Gestik und Sprache ist den Kongolesen sehr nahegekommen, zudem lebt sie mit einem wichtigen Regimekritiker zusammen. Doch der Wunsch nach einer Identifikation mit dem Nichteuropäischen gerät angesichts der eigenen Erwartungen nach Familie und Stabilität ins Wanken.

Peter Merten wiederum blickt als Aktivist der 68er-Generation auf eine lange Geschichte politischen Engagements zurück, das von einigem Idealismus getragen worden ist. Was sich dabei relativiert hat, ist vor allem die Überzeugung, dass es leicht ist, die Welt zu verändern. Stattdessen erweisen sich die Kämpfe im globalen Süden als hochkomplex und Mertens Fokus verlagert sich auf die konkrete Arbeit mit den Straßenkindern im Kongo. Doch der Umgang mit den Einheimischen ist immer wieder von Konflikten gezeichnet. Manchmal ist Merten wütender und engagierter als die Betroffenen selbst, dann wiederum scheint das, was er zu geben hat, nie genug zu sein.

Orte dokumentarisch entfalten

Hilpert begleitet seine ProtagonistInnen, indem er ihren Wirkungsort in den Blick nimmt – ein Zugang, der zunächst irritiert, weil er die üblichen Dramaturgien dokumentarischen Erzählens vermeidet. Doch genau dieser Verzicht auf Plot-Strukturen führt gemeinsam mit ausgedehnten Beobachtungen von Alltagssituationen zu einem komplexen Bild der Widersprüche, von denen Entwicklungspolitiken durchzogen sind. Eine zurückgenommene Regiearbeit, die auf Kommentare und Interventionen verzichtet, ermöglicht selbst einen Raum, in dem Fragen offen bleiben können und einfache Lösungsversuche ausgesetzt werden. Über die teilnehmende Beobachtung des Films wird deutlich, dass Ambivalenzen im Austausch zwischen europäischen und afrikanischen Ländern unausweichlich sind und somit immer mitgedacht werden müssen.

Was sich dabei auf der persönlichen Ebene der EntwicklungshelferInnen zeigt, lässt sich auch auf größere Zusammenhänge übertragen, wie bei einem Gespräch im Film deutlich wird: Es sind die Europäer, die hier eine Parallelgesellschaft errichten, und in einem fremden Land Infrastrukturen um die Probleme anderer herum entstehen lassen, die an den Ursachen vorbeigehen. Die Frage, wem eine solche Politik nützt, wird durch Hilperts Dokumentation dabei auf spannende Weise verkompliziert und lässt sich nur verstehen, wenn man die Hoffnungen, Erwartungen und Enttäuschungen auf der zwischenmenschlichen Ebene in den Blick nimmt, die solche Projekte tragen.

Durch den Fokus auf die ProtagonistInnen ist viel aus der kongolesischen Lebensrealität von Armut und Gewalt zu erfahren, einer offensichtlichen Kontinuität der Ausbeutungsverhältnisse, die sich gerade durch den Wunsch nach Entwicklung oft ungewollt reproduziert.

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