Dokumentarfilm | Schweiz 2020 | 100 Minuten

Regie: Thomas Rickenmann

Einen Sommer lang begleitet und beobachtet der visuell überwältigende Dokumentarfilm das Leben von vier unterschiedlichen Sennereien im Allgäu. Die beeindruckenden Impressionen eines noch immer harten Älplerlebens werden puzzleartig ineinander verwoben, wobei vor allem die Männer von Heimat- und Freiheitsgefühlen erzählen, während ihre Frauen eher weniger und dann über ihre Kinder sprechen. Der sorgfältig inszenierte und produzierte Film interessiert sich primär für Schönheit und Empathie und spart Dissonanzen und Brüche bewusst aus. - Ab 14.
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Filmdaten

Originaltitel
IM BERG DAHUIM
Produktionsland
Schweiz
Produktionsjahr
2020
Produktionsfirma
ExtraMile Films
Regie
Thomas Rickenmann · Rahel von Gunten
Buch
Rahel von Gunten
Kamera
Thomas Rickenmann
Schnitt
Thomas Rickenmann
Länge
100 Minuten
Kinostart
03.06.2021
Pädagogische Empfehlung
- Ab 14.
Genre
Dokumentarfilm
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Visuell überwältigender Dokumentarfilm über vier Sennereien im Allgäu, deren Leben und Arbeiten einen Sommer lang beobachtet wird.

Diskussion

„Im Berg dahuim - Milch, Luft und Heimat für die Seele“, verkündigt das Plakat. Treffender kann man nicht umschreiben, worum es in diesem Film geht. Thomas Rickenmann, der als Auftragsfilmer tolle Imagefilme und Musikvideos dreht, beweist in seinen Kinoarbeiten immer wieder eine unverblümte Vorliebe für urtümliche Berglandschaften, ihre tierischen und menschlichen Bewohner sowie die gelebten Traditionen.

In „Berg dahuim“ hat es ihn und seine Mitstreiterin Rahel von Gunten hoch hinaufgetrieben. Nicht in den Schweizer Bergen, wo fast alle seine Filme spielen, sondern im südbayrischen Allgäu. Zu den Hirten, die im Gebiet des Taufersbergs unterwegs sind, auf die Sölleralp, die Sennalpe Oberau und in die Kemptner Hütte, wo die Weiden zum Teil bis über 2000 Meter über dem Meer liegen. Die Berggipfel sind nahe. Der Boden, uneben und höckerig, fällt teilweise felsig stutzig ab. Dreharbeiten in einem solchem Gelände müssen strapaziös und anstrengend sein. Nicht nur, weil die Tiere frei herumlaufen oder ziehende Herden ihr Tempo nicht drosseln, wenn ein Filmteam seine Geräte aufbaut; mehrere Takes sind selten möglich. Zudem gibt es nicht überall Strom, das Wetter ist unvorhersehbar, und auch körperlich halten die Filmer nicht mit den gebirgsgewohnten Hirten mit.

Nachts wölbt sich der Himmel sternenklar

Dennoch ist „Im Berg dahuim“ visuell sensationell. Die Bilder sind postkartenschön, der Blick der Kamera verliert sich immer wieder am Horizont trutziger Gebirgsketten. Mächtig ragen Berge in den Himmel. Intensiv erscheint das Grün der Wiesen und Wälder; bunt blühende Blumen finden sich als verzierende Sprenkel. Glühend geht morgens die Sonne auf und verschwindet am Abend in schwelendem Rot. Wo tagsüber segelschiffgleich Wolken treiben, wölbt sich der Himmel nachts sternenklar.

Beeindruckend sind insbesondere Luftaufnahmen, in denen sich talwärts ziehende Herden wie Wasser in die Landschaft ergießen. Als „Viehscheid“ bezeichnet man im Allgäu das, was man in der Schweiz unter „Alpabzug“ versteht: den Tag, an dem die Alphirten das ihnen während des Sommers anvertraute Vieh den Bauern zurückbringen. Sofern die Hirten alle Tiere heil und gesund wieder ins Tal bringen, ist das ein Moment der Freude, der im Allgäu mit einem Volksfest gefeiert wird.

Dezent wird in „Im Berg dahuim“ erwähnt, was bei der Viehscheid für deftige Kraftausdrücke sorgen dürfte: Dass der traditionelle Anlass immer mehr zur Tourismusattraktion verkommt. Dass die Zuschauer den Hirten die Arbeit erschweren und die durch den Abstieg schon erregten Tiere noch nervöser machen. Für die Hirten ist dieser Tag ein emotional aufwühlender Krampf; zudem gesellt sich zur Erleichterung doch auch eine langsam aufsteigende Wehmut, die sich erst legt, wenn es im nächsten Frühsommer wieder auf die Alp geht.

Feines Gespür für Stimmungen und das Positive

Allerdings sucht man solche Worte wie „Krampf“, Kraftausdrücke und Klagen in „Im Berg dahuim“ vergebens. Dafür ist Thomas Rickenmann der falsche Mann. Der Filmemacher hat sich schon in seinen bisherigen Filmen, etwa „Silvesterchlausen“, „Z’Alp“ oder „Alpzyt“, als überzeugter Idealist erwiesen. Er pflegt die schildernde Betrachtung, nicht die kritische Beobachtung. Er besitzt ein geschultes Auge für das Schöne und ein feines Gespür für das, was man „Mood“ nennt. Er verfügt über ein gutes Musikgehör und verwendet Musik selten als Hintergrundsound. Außerdem versteht er es, seine Protagonisten ihr (Er-)Leben grundsätzlich positiv beschreiben zu lassen.

Was allerdings nicht heißt, dass Rickenmann ein Schönwetterfilmer wäre. Doch wenn es in seinen Filmen regnet, scheint die Natur dankbar zu sein für das labende Nass, und nahezu immer reißt der Himmel unverhofft auf und es gibt einen Regenbogen. Und wenn Hirten erzählen, dass die für die Milchproduktion gezüchteten Rinder für Gebirgskraxeleien nicht fit genug seien, zeigt Rickenmann nicht abgeschürfte Hufen oder blutende Wunden, sondern wie die Tiere mit schneeweißem Mull verbunden werden.

Rickenmann und von Gunten begleiten in „Im Berg dahuim“ vier Sennereien durch einen Sommer. Die Sölleralp und die Alpe Oberau sind traditionelle Familienbetriebe. Auf der Sölleralp haben Max und Kristina Boxler das Sagen. Ihr knapp einjähriges Söhnchen ist in der Wirtsstube so selbstverständlich mit dabei wie beim Melken im Stall oder wenn Käse gemacht wird. Drei Jungsennen, zwei Knaben und ein Mädchen im Teenageralter, unterstützen die Familie. Die Alpe Oberau wird von Wolfgang und Monika Finkel geführt. Sie haben zwei Töchter, einen Sohn und zehn Enkelkinder. Die Sennerei liege der Familie im Blut, heißt es bei ihnen, und wenn man Kinder von Anfang an mitmachen lasse, würden sie die nicht als anstrengend, sondern als Freude empfinden.

Kühe, Pferde, Enten und ein zahmes Murmeltier

Auf dem Taufersberg sind die Dinge anders organisiert, wo drei junge Hirten und ihre Partnerinnen mit Sack und Pack und dem Vieh zwischen sieben verstreut liegenden Hütten hin- und herziehen. Die Kemptner Hütte liegt dagegen am Europäischen Fernwanderweg E5 und beherbergt täglich 300 bis 400 Gäste. Aus Passion betreibt das Hüttenteam nebenbei Alpwirtschaft. Man hält Kühe, Schweine, Enten, Pferde und sogar ein handzahmes Murmeltier.

Rickenmann und von Gunten haben auf den vier Alpen Impressionen eingefangen und diese für den Film puzzleartig ineinander verwoben. Sie lassen die Protagonisten, vor allem die Männer, erzählen. Von Zusammengehörigkeits-, Heimat- und Freiheitsgefühlen, die sich beim Älplerleben einstellen, und dass bei der Käseherstellung Sauberkeit das oberste Gebot ist. Die Frauen, sofern sie zu Wort kommen, betonen, dass es ihren Kindern an nichts fehle und dass gemeinsames Singen verbinde. Dass dabei vieles unausgesprochen bleibt und die Filmemachenden selbst da nicht nachfragen, wo Dissonanzen anklingen, mutet seltsam an, ist aber gewollt. Er habe nie vorgehabt, einen kritischen Film zu drehen, hat Thomas Rickenmann in Interviews verlauten lassen. Kann sein, dass sich dieser künstlerische Wille zur Nicht-Kritik bezahlt macht. Denn „Im Berg dahuim“ vermag in seiner romantisierenden Idealisierung auch kritische Geister sanft einzulullen.

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