Ararat (2023)
Drama | Deutschland 2023 | 95 Minuten
Regie: Engin Kundağ
Filmdaten
- Produktionsland
- Deutschland
- Produktionsjahr
- 2023
- Produktionsfirma
- Zeitgeist Filmprod./Saarländischer Rundfunk
- Regie
- Engin Kundağ
- Buch
- Engin Kundağ
- Kamera
- Mikolaj Syguda
- Schnitt
- Evelyn Rack
- Darsteller
- Rasim Jafarov (Hasan) · Merve Aksoy (Zeynep) · Funda Rosenland (Fatma) · Aziz Capkurt (Ali) · Baran Seyhan (Dogan)
- Länge
- 95 Minuten
- Kinostart
- -
- Pädagogische Empfehlung
- - Ab 16.
- Genre
- Drama
- Externe Links
- IMDb
Familiendrama um eine Studentin, die aus Berlin nach Ostanatolien zu ihrer Familie flieht, welche durch eisiges Schweigen und ökonomische Nöte am Scheideweg steht.
Die Studentin Zeynep (Merve Aksoy) ist aus Berlin zu ihren türkischen Eltern nach Ostanatolien geflohen. Die junge Frau wird beschuldigt, absichtlich einen Autounfall verursacht zu haben, um ihrem Mann Dogan (Baran Seyhan) zu schaden. Ihr Vater Hasan (Rasim Jafarov) und ihre Mutter Fatma (Funda Rosenland) sind vor Jahren aus Berlin in die türkische Provinz zurückgekehrt, wo Hasan in der Nähe des erloschenen Vulkans Ararat die Leitung eines Marmorsteinbruchs übernommen hat.
Das Verhältnis zwischen Tochter und Eltern ist angespannt. Nach dem Unfall wird Zeynep noch schweigsamer. Während sie den bohrenden Fragen ihres Vaters ausweicht, versucht Fatma zwischen den beiden zu vermitteln. Hasan hat große Sorgen, denn sein Betrieb schreibt rote Zahlen. Außerdem verdächtigt er den Vorarbeiter Ali (Aziz Capkurt), Geld zu unterschlagen. Schließlich sieht er sich gezwungen, wichtige Maschinen zu verkaufen. Als Zeynep herausfindet, dass ihre Mutter eine Affäre mit Ali hat, kann sie ihre unterdrückte Wut und Aggressivität nicht länger bändigen.
Die Wunden einer Generation
Der Drehbuchautor, Regisseur und Produzent Engin Kundağ, der 1984 in Bielefeld geboren wurde, studierte nach seinem US-High-School-Abschluss an der Internationalen Filmschule (ifs) in Köln Drehbuch und Regie. Sein melancholisch gestimmter Film ist autobiografisch geprägt. Seine Eltern stammen aus Ostanatolien, er kennt die Gegend um den Ararat, den höchsten Berg der Türkei. „,Ararat‘ ist die Geschichte meines Lebens. Eines Daseins, das von archaischer Gewalt geprägt ist und mich immer wieder einholt“, notierte Kundağ. „Es sind seelische Misshandlungen, die jede anatolische Familie in sich trägt.“
Mit dem Berg Ararat ist ein mythologischer Subtext verknüpft. Nach der Überlieferung der Bibel strandete die Arche Noah nach der Sintflut an dem Berg und ermöglichte der Menschheit einen Neuanfang. Den Bogen zur biblischen Erzählung schlug Kundag schon in seinem Kurzspielfilm „Ararat“ (2012). Darin kehrt der Protagonist Noah zur Beerdigung seines Vaters aus Deutschland in sein Heimatdorf in die Türkei zurück.
Der Langfilm besitzt zugleich einen politischen Subtext. Der Berg Ararat befindet sich auf türkischem Territorium nahe der Grenze zu Armenien, Aserbaidschan und dem Iran. Vor dem Genozid der Türken an den Armeniern 1915/1916 lebten hier vor allem Armenier. Der Dauerkonflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Berg-Karabach dringt durch einen Fernsehbericht über eine gescheiterte Waffenruhe in Zeyneps Familie und scheint insbesondere Hasan zu interessieren, der offenbar aserbaidschanische Wurzeln hat.
Mit kammerspielartiger Intensität
Wie gestört das familiäre Verhältnis ist, spiegelt sich in der Kommunikation wider. Während Zeynep die Eltern nur auf Deutsch anspricht, benutzt die Mutter Deutsch und Türkisch, während der Vater nur Türkisch spricht. Die spröde Inszenierung mutet passagenweise minimalistisch an und kommt fast ohne Musik aus. Die oft statische Kamera hält das Geschehen in langen Einstellungen fest, zeigt geduldig eine geschlossene Tür, stumme Blicke oder lange Autofahrten. Während die bedrückenden Szenen in dem abgelegenen Haus der Familie oft eine kammerspielartige Atmosphäre entfalten, fängt die Kamera die weite Landschaft um den imposanten Berg in winterlich kaltem, fahlem Licht ein.
In gewisser Weise wirkt Zeynep, gerade weil sie sich so beharrlich in ihr Zimmer zurückzieht und eine Aussprache verweigert, als Katalysator in einer dysfunktionalen Familie. Denn Hasan und Fatma sind offenbar unfähig, ihr Schweigen zu durchbrechen und sich ihren verdrängten Problemen zu stellen. Merve Aksoy spielt die unangepasste, streckenweise auch autodestruktive Grenzgängerin mit minimaler Gestik; allein ihre Augen lassen die verborgenen Emotionen erahnen, die auf eine günstige Gelegenheit zum Ausbruch nur zu warten scheinen.
Das Familiendrama wirkt herausfordernd zäh und trist; mancher Konflikt bleibt in Andeutungen stecken, die Beweggründe der Figuren erschließen sich nur selten. „Ararat“ macht es einem nicht gerade leicht, Empathie für die Charaktere zu entwickeln. Durch seinen Mangel an emotionaler Dynamik steht sich das Spielfilmdebüt streckenweise selbst im Weg.